Menschenrechte / Luxemburg: Fedil bremst Lieferkettengesetz
Tote Migranten auf Tomatenplantagen in Italiens Süden und der Prozess gegen den Mineralölkonzern Total in Frankreich zeigen, wie Lieferketten geregelt sind oder eben nicht. Beide Male geht es um Menschenrechtsverletzungen. In Luxemburg kämpfen 17 Organisationen der Zivilgesellschaft für eine nationale Lösung. Der Industrieverband Fedil bremst.
Der 27-jährige Camara Fantamadi aus Mali stirbt am 24. Juni 2021 in Italien auf dem Rückweg von der Feldarbeit am Straßenrand. Er hat bei über 40 Grad Tomaten geerntet. Der Bürgermeister von Brindisi reagiert mit einem Verbot der Feldarbeit bei sehr hohen Temperaturen. RaiNews berichtet über den Vorfall. UN-Schätzungen sprechen von 400.000 Landarbeitern, die in Italien der Ausbeutung ausgesetzt sind.
Rund 100.000 leben unter unmenschlichen Bedingungen. In Frankreich hingegen läuft ein Prozess gegen den Mineralölkonzern Total. Angestrengt hat ihn die NGO „Les amis de la terre“ im Verbund mit Partnern aus Uganda. Der globale Multi zerstört mit dem Plan einer 1.450 Kilometer langen Ölpipeline Lebens- und Naturräume. Während der Vorfall in Italien bis auf die zeitlichen Einschränkungen zur Ernte folgenlos bleibt, haben betroffene Einwohner aus Uganda den französischen Konzern verklagt.
Luxemburgs Nachbar hat bereits 2017 die im Land ansässigen Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, Menschenrechte in ihren Lieferketten zu achten. Total hat seinen Unternehmenssitz in Paris. Die Amtshandlung des damaligen sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande gilt zu dem Zeitpunkt als wegweisend.
Betroffene können in Frankreich klagen
„Erstmals haben die von Menschenrechtsverletzungen betroffenen Menschen die Möglichkeit, gegen die Unternehmen zu klagen“, sagt Jean-Louis Zeien (57). Er ist einer der Koordinatoren bei „L’Initiative pour un devoir de vigilance“, in der sich 17 Organisationen der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen haben. Die „Initiative“ kämpft seit Jahren für ein solches Gesetz in Luxemburg.
„Freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen eröffnen diese juristischen Möglichkeiten bedauerlicherweise nicht“, sagt Zeien. „Deshalb ist Freiwilligkeit keine Lösung des Problems.“ Das aber will die Industrievereinigung Fedil für ihre Mitglieder, wie öffentlich zugängliche Äußerungen zeigen. Als EU-Justizminister Didier Reynders im Oktober 2020 eine Anhörung in den Mitgliedstaaten zum Thema eröffnet, erreicht das Thema die europäische Ebene.
Reynders will ein europäisches Rahmengesetz anstoßen, um Lieferketten zu regeln. Er organisiert einen öffentlichen Konsultationsprozess, an dem Bürgerinnen und Bürger, Zivilgesellschaft und Unternehmen teilnehmen können. Die öffentlich zugänglichen Antworten sind ein Lehrstück in Sachen Lobbying, wie die gerade veröffentliche Studie des Netzwerkes „European Coalition for Corporate Justice“ (ECCJ) zeigt.
EU-Anhörung liefert peinliche Details
Nicht nur die Fedil mauert. Andere Industrieverbände wie der Bund der deutschen Industrie (BDI) haben ebenfalls ein Problem. Laut ECCJ geht es dabei darum, ambitiöse nationale Gesetze zu neutralisieren und eine europäische Gesetzgebung abzuschwächen. Eine der Fragen der Reynders’schen Anhörung lautet: Sind Sie der Meinung, dass ein EU-Rechtsrahmen für die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette entwickelt werden sollte, um nachteilige Auswirkungen auf Menschenrechte und Umweltfragen anzugehen?
Die Antwort der Fedil lautet: „Nein, es sollte ausreichen, sich darauf zu konzentrieren, Unternehmen aufzufordern, bestehende Richtlinien und Standards zu befolgen.“ Die Anhörung ist im Februar 2021 ausgelaufen. Das heißt: lieber kein EU-Rahmengesetz, stattdessen Status quo mit existierenden, freiwilligen Verpflichtungen. Knapp drei Monate später, im Mai 2021, hat Fedil-Hauptgeschäftsführer René Winkin eine „Carte blanche” bei RTL.
Darin spricht er sich dennoch für eine europäische Lösung in dieser Frage aus und führt „starke Argumente“ gegen einen nationalen Alleingang ins Feld. Das erste ist die Annahme, es gebe dann einheitliche Definitionen und Kriterien auf EU-Ebene, die anschließend national umgesetzt werden müssen. Dem hält „Initiative“-Co-Koordinator Jean-Louis Zeien (57) entgegen, dass es schon Vorreiter gibt, wie die Beispiele Frankreich, Deutschland und die Niederlande zeigen.
Nationale Lieferkettengesetze existieren bereits
Zuletzt verabschiedet Norwegen am 10. Juni 2021 ein entsprechendes Gesetz. „Blaupausen“ existieren demnach. „Luxemburg sollte unter den Pionieren sein“, sagt Zeien. „Und nicht als letzter mit dem Bummelzug ankommen. In Luxemburg gibt es Unternehmen, die sich für ein nationales Gesetz einsetzen und heute bereits eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht umsetzen.“
Europäische Lösungen dauern lange. „Beim Gesetz zu den Konfliktmineralien hat es acht lange Jahre gedauert, bis es endlich da war“, sagt der „Initiative“-Koordinator. Fedil-Hauptgeschäftsführer Winkin bringt neben anderen noch ein weiteres Argument gegen eine nationale Lösung ins Spiel: die Größe des Landes. Luxemburg als kleines Mitgliedsland könne „nun wirklich kein Interesse“ daran haben, an einer „bedenklichen“ Fragmentierung des EU-Binnenmarktes mitzuwirken, schreibt er bei RTL.
„Wir können doch nicht immer nur mit der territorialen Größe des Landes argumentieren“, hält die „Initiative“ dem entgegen. „In der globalen Fondsindustrie sind wir beispielsweise weltweit die Nummer zwei.“ Die Konsequenz sollte vielmehr sein: Eine globale Wirtschaftskraft des Landes einerseits bedeutet auch globale Verantwortung andererseits. Befeuert wird die aktuelle Debatte zusätzlich von der Tatsache, dass sich Luxemburg neben Finnland und den USA um einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat ab 2022 bewirbt.
UN überprüft gewählte Kandidaten
In der Präambel des Bewerbungsverfahrens ist zu lesen, dass bei der Wahl der Kandidaten deren „Beiträge zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte“ berücksichtigt werden. Außerdem sollen gewählte Mitglieder „höchste Standards bei Förderung und Schutz der Menschenrechte“ vorweisen können. Mitglieder müssen sich darauf einstellen, dass das während ihrer Amtszeit überprüft wird, heißt es weiter bei OHCHR.org.
Luxemburg hat die Schwerpunkte seiner eventuellen Arbeit im UN-Menschenrechtsrat definiert. Laut Außenministerium will sich das Land um die Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien, eine unabhängige Zivilgesellschaft, Presse- und Meinungsfreiheit und den Kampf für Geschlechtergerechtigkeit kümmern. Konkrete Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte wie ein Lieferkettengesetz fehlen. Die Initiative dazu kommt aus der luxemburgischen Zivilgesellschaft.
Sitz im UN-Menschenrechtsrat
Finnland und die USA bewerben sich neben Luxemburg um einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Er gilt für drei Jahre. Der UN-Menschenrechtsrat ersetzt sei 2006 die UN-Menschenrechtskommission. Der neue Rat mit selbem Sitz im schweizerischen Genf hat 47 Mitglieder. Sie werden in geheimer Wahl von der UN-Generalversammlung mit absoluter Mehrheit bestimmt. Die Sitze in dem Gremium sind territorial verteilt, Westeuropa hat sieben Sitze. Zwei davon werden für 2022 bis 2024 frei.
Industrieverband Fedil
Nach eigenen Angaben sind bei der Fedil 670 Mitglieder aus 35 Sektoren organisiert. Sie repräsentiert 95 Prozent der industriellen Produktion des Landes, 75 Prozent der privaten Forschungsaktivitäten, ein Viertel der Beschäftigten im Land und 35 Prozent des Bruttoinlandsvermögens (BIP). Sie versteht sich seit ihrer Gründung 1918 als „politisch unabhängig“, wie aus der Webseite www.fedil.lu hervorgeht. Die Präsidentin des Verwaltungsrates ist Michèle Detaille.
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Die Fedil bremst seit vielen Dekaden.