Aufrüstung / Luxemburg rüstet massiv auf: Rekordinvestition in die Verteidigung
Einmal mehr hat Yuriko Backes von einem „Paradigmenwechsel“ in der Verteidigungspolitik gesprochen, als sie gemeinsam mit General Steve Thull, dem Generalstabschef der Armee, am Mittwochnachmittag die Einzelheiten des Gesetzesentwurfs vorstellte, der die Regierung dazu ermächtigt, die Beschaffung neuer Fahrzeuge für das luxemburgische Militär zu finanzieren. Dabei handelt es sich um die größte Investition in die Verteidigung in der Geschichte Luxemburgs.
Doch es sind nicht nur die Worte wie vom „absoluten Paradigmenwechsel“, wie die Verteidigungsministerin zu Beginn der Pressekonferenz sagte, als suche sie nach einem neuen Superlativ für die historische „Zeitenwende“, in der sich die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zurzeit befinde. Es ist auch die Entschiedenheit, mit der die Veränderungen vorgetragen werden.
Der Paradigmenwechsel von einer Verlagerung des Fokus der Nato von Friedenssicherungsmissionen hin zu Kampfeinsätzen hat bereits 2014 eingesetzt, während des Beginns des bewaffneten Konfliktes in der Ost-Ukraine und der russischen Annexion der Krim. Demnach muss sich auch die luxemburgische Armee an das neue Sicherheitsumfeld anpassen, um handlungsfähig zu sein und „den internationalen Verpflichtungen nachzukommen“, heißt es seitens des Ministeriums. Die neue Sicherheitslage sei „komplex“, „volatil“ und „unsicher“, sagte Backes. Um nicht zu sagen: Sie ist das Gegenteil von „entspannt“. Dies gelte spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Daraufhin hat die Nato gleich im selben Jahr ein neues strategisches Konzept entwickelt. Dem entsprechen auch die neuen luxemburgischen Sicherheitsleitlinien vom Mai 2023.
Aufrüstung mit neuem Material…
„Wer denn Frieden will, muss auf den Krieg vorbereitet sein“, heißt es – die neue Wortwahl von Verteidigungsministern wie Backes oder ihrem deutschen Kollegen Boris Pistorius sind inhaltlich nicht neu. Denn welche Armee muss nicht auf den Ernstfall vorbereitet sein? In der Realität sah dies aber in den vergangenen Jahrzehnten oft anders aus: Wer nicht auf Auslandsmission im Dienst eines supranationalen Bündnisses war oder im Ernstfall sogar bei einer Naturkatastrophe eingesetzt wurde, war in den Kasernen mit der Instandhaltung des schnell veraltenden Materials oder im selteneren Fall bei einem Nato-Manöver im Einsatz.
Vorbei sind jetzt aber die Zeiten, in der europäische Armeen Einheiten in mehr oder weniger weite Ferne zu friedenserhaltenden Maßnahmen schickte. „Jetzt müssen wir uns darauf konzentrieren, unser Territorium zu verteidigen“, sagte die Ministerin. Es gelte schließlich auch für Luxemburg, als Nato-Staat seinen Beitrag zu leisten. Das bedeutet zum einen, dass jedes Mitgliedsland des Transatlantischen Bündnisses zwei Prozent seines Bruttoinlandproduktes respektive der Wirtschaftsleistung für das Militär ausgeben soll: Allerdings schaffen das nach Aussagen von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dieses Jahr nur 18 der 31 Staaten. Zum anderen bedeutet es aber, Beistand im Bündnisfall zu leisten, also wenn einer der Staaten angegriffen wird.
Welche Schritte nun unternommen werden, das haben Backes und General Thull am Sitz der Direction de la Défense vorgestellt. Wie im Koalitionsvertrag der Regierung genannt, werden die Verteidigungsausgaben erhöht. Die Rekordinvestitionen seien unumgänglich, betonte Backes, schließlich gelte es, „solidarisch mit den Partnern zu sein“. Zu dem „effort de défense“ gehört neues Material ebenso wie die Zusammenarbeit mit den Partnern. In diesem Fall heißt das, ein binationales Bataillon – ein Kampferkundungsbataillon des mittleren Typs – zusammen mit Belgien zu bilden und dazu die nötige „Interoperabilität“ herzustellen.
Diese sei ein wichtiger Punkt, erklärte General Thull. „Wir müssen robuster aufgestellt und voll einsatzfähig, gut trainiert und vorbereitet sein. Das wird von den Partnern verlangt.“ Er nennt dabei den Begriff „readiness“ für Bereitschaft. Als Basis der Interoperabilität gelte die „Skorpionisierung“. Der Begriff geht zurück auf das französiche Scorpion-Programm mit höchst mobilen Fahrzeugen, die sich für schnelle Eingreiftruppen eignen und an Kriegshandlungen unterschiedlicher Intensität teilnehmen können: ob in Form von gepanzerten Truppen. Belgien ist bereits über eine strategische Partnerschaft mit dem französischen Programm Scorpion verbunden. Die „Skorpionisierung“ bedeutet letztendlich die Vereinheitlichung eines Systems in puncto Soldaten, Waffen- und Gefechtsinformationssystemen
…sowie mit Personal und Worten
Zu den neuen Fahrzeugen gehört etwa 38 Jaguar EBRC (Engin Blindé de Reconnaissance et de Combat), Aufklärungs- und Kampffahrzeuge für eine Drei-Mann-Besatzung aus Kommandant, Fahrer und Richtschütze), 16 Griffon VBMR (Véhicule Blindé Multi-Role), also multifunktional einsetzbare Radfahrzeuge ebenso für drei Personen und fünf gepanzerte Serval VBMR-L, auch für eine Dreierbesatzung. Die neuen Fahrzeuge werden die CLRV-Fahrzeuge (Fahrzeug zur Führung, Steuerung und Kontrolle) ergänzen.
Für die Neuinvestitionen sind Gesamtkosten von 2.616.180.000 Euro veranschlagt, also sage und schreibe mehr als 2,6 Milliarden Euro, allein für die Fahrzeuge 811,5 Millionen Euro für den Zeitraum 2025 bis 2033. Das bisherige Material der luxemburgischen Armee eignet sich eher für leichte Aufklärung. Es soll künftig auf sogenannte Medium-Aufklärung umgestellt werden, auf Kampfaufklärung. Die neuen Fahrzeuge, von denen die ersten voraussichtlich 2028 geliefert werden sollen, erfordern nicht nur eine besondere Schulung des Personals.
Darüber hinaus muss die Truppenstärke erhöht werden. Eine genaue Zahl konnte zwar nicht genannt werden, aber General Thull geht von mehr als 200 neuen Personen aus, „Tendenz nach oben“, wie der Generalstabschef hinzufügt. Um dies zu bewerkstelligen ist, sucht die Armee über eine Anwerbekampagne Nachwuchs, außerdem gibt es zwei neue Laufbahnen und die Verlängerung des Dienstes von drei auf vier Jahre.
Das Kooperationsabkommen sieht die gemeinsame Einrichtung und den gemeinsamen Betrieb des belgisch-luxemburgischen Aufklärungsbataillons „à l’horizon 2030“ vor, unterteilt in drei Phasen und mit Schwerpunkten in Marche-en-Famenne und Diekirch sowie die schrittweise Einrichtung des binationalen Bataillons in Arlon. Es soll bis 2032 voll einsatzfähig sein. Der luxemburgische Teil des Bataillons soll insgesamt etwa 350 Personen umfassen.
Dem verbalen Paradigmenwechsel folgen demnach Taten in Form von Militärgerät. Der letzte Gesetzesentwurf zur Aufrüstung soll es nicht sein. Denn die Investitionen für militärische Infrastruktur und etwa Munition sind darin noch nicht enthalten. Vom „Enemy“ war bei der Pressekonferenz mehrfach die Rede. Die Zeitenwende hat die Luxemburger Armee eingeholt.
Neu Fahrzeuge für die Armee
Der Gesetzentwurf sieht die Beschaffung der folgenden Fahrzeuge vor:
Kampf- und Kampfunterstützungsfahrzeuge
– 16 gepanzerte Mehrzweckfahrzeuge (MZMF) Griffon
– 38 gepanzerte Aufklärungs- und Kampffahrzeuge (EBRC) Jaguar
– 5 gepanzerte Mehrzweckfahrzeuge (VBMR-L) Serval
Logistikfahrzeuge zur Unterstützung des Kampfes
– 2 gepanzerte Überziehfahrzeuge- 3 gepanzerte Abschleppwagen
– 50 multi logistic support trucks (MLST)
Logistische Fahrzeuge und Waggons
– 24 Panzertransporter-LKWs
– 48 Mehrzweck-Tiefladewaggons(WAPS)
Der „Nato Defence Planning Process“
➢ 2021: Luxemburg und Belgien haben als Fähigkeitsziel die Aufstellung einesBinationales Kampfaufklärungsbataillon des mittleren Typs bis 2030;
➢ 2021: Absichtserklärung zur Aufstellung des Bataillons;
➢ 2022: Einrichtung der binationalen Arbeitsgruppe „Ermesinde“;
➢ 2022: Absichtserklärung zum Standort des Bataillons;
➢ 2023: Kooperationsvereinbarung über die gemeinsame Aufstellung und den gemeinsamen Betrieb;
➢ 2024: Technische Vereinbarung „Ermesinde“ über die Regierungsführung.
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