Portrait / Luxemburger Filmstudent wandelt auf den Spuren der polnischen Filmgrößen
Als einziger Luxemburger studiert der junge Cineast Damir Mehic an der renommierten Filmhochschule von Lodz. Im Tageblatt-Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen, die er dort gemacht hat, wo einst Kieslowski, Polanski und Wajda ihre Karrieren begannen.
Die Sonne scheint endlich auf den hauptstädtischen Place de Paris. Damir Mehic und ich suchen uns einen schattigen Platz in einem Café. Licht und Schatten gehören zur siebten Kunst, der sich der 23-Jährige verschrieben hat – wie die bewegten Bilder. Und die ihn nach Lodz geführt hat. „Viele Luxemburger studieren in Deutschland, Belgien, Frankreich oder Österreich“, sagt Damir, „ich wollte dagegen woanders hin, vor allem dahin, wo ich Film studieren kann.“ Unter den möglichen Kandidaten als Studienort befanden sich auch Prag und Sarajevo. Letztere ist die Stadt, wo Damirs Eltern herkommen. Sie flohen einst aus den Wirren des Bosnienkrieges in den 90er Jahren nach Luxemburg. Damir ist, ebenso wie seine Schwester Ema, im Großherzogtum geboren und aufgewachsen und besuchte das Lycée Ermesinde in Mersch. Bereits in seiner Schulzeit begann er, Filme zu drehen.
„Typewriter“ heißt sein erster, 24 Minuten langer Streifen in Schwarzweiß. Die Dialoge sind knapp. Der Nachwuchsregisseur hat sich aufs Wesentliche konzentriert. Was zählt und besonders auffällt, ist bereits in diesem Erstlingswerk seine Filmsprache und die Bedeutung des Schnitts. Es sind die ersten Zeichen, die Damir gesetzt hat. Wie fast alle Regisseure, hat er seinen Blick für diese Sprache geschult, indem er von klein auf Filme anschaute, zuerst im Fernsehen, dann im Kino. „Die Cinémathèque wurde mein zweites Zuhause“, erinnert er sich.
Als Damir in Lodz angenommen worden war, galt es zuerst, eine andere Sprache zu erlernen. „Das erste Jahr verbrachte ich damit, in einem Vorbereitungsjahr Polnisch zu lernen“, erzählt er, „ich hatte an fünf Tagen in der Woche bis zu sechs Stunden Unterricht. Ich führte immer einen Notizblock mit und schrieb jedes Wort auf, das ich noch nicht kannte. Am Anfang hatte ich wenige Kenntnisse, dann ging alles von selbst. In der Filmhochschule wird traditionell auf Polnisch unterrichtet. Damir war nicht der einzige Nichtpole, der diesen Weg gehen musste. „In meinem Jahrgang waren ein Franzose, ein Deutscher, ein Niederländer, zwei Chinesen, einer kam aus dem Iran“, zählt er auf. „In der Hochschule ist sogar ein Mexikaner, ein anderer kommt aus Marokko.“
Polnische Talentschmiede
In der Sprache des Landes zu kommunizieren, gilt als Grundvoraussetzung für ein Regiestudium an der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater „Leon Schiller“ in Lodz, die berühmt sowohl für ihre Ausbildung als auch für ihre Absolventen ist: Polnische Filmgrößen wie die Regisseure Andrzej Wajda, Roman Polanski, Jerzy Skolimowski und Krzysztof Kieślowski haben sie durchlaufen und sind von ihr geprägt worden, aber ebenso berühmte Kameramänner wie Pawel Edelman und Hoyte van Hoytema. Ersterer erlebte 2002 seinen internationalen Durchbruch mit Polanskis „Der Pianist“, für den er unter anderen den César und den Europäischen Filmpreis sowie eine Oscar-Nominierung erhielt. Auch danach stand er bei Filmen von Polanski hinter der Kamera. Edelman unterrichtet an der Filmhochschule in Lodz, ebenso die Regisseure Jan Komasa und Magnus von Horn. Van Hoytema wurde mit dem Oscar in der Kategorie „Beste Kamera“ für „Oppenheimer“ ausgezeichnet, nachdem er schon für einen anderen Film von Christopher Nolan nominiert worden war. Der niederländisch-schweizerische Kameramann war auch für andere Filme des Regisseurs wie „Interstellar“ und „Tenet“ zuständig.
„Ich habe hier schon so unglaublich viel gelernt“, sagt Damir Mehic. Schließlich hat die Hochschule einen guten Ruf zu verteidigen. Im Kamerafach gilt sie manchen sogar als beste weltweit. Die starke Orientierung an der Kameraarbeit habe ihm, der mittlerweile drei Jahre in Lodz ist, viel gebracht. „Man lernt, warum etwas aus diesem Blickwinkel und nicht aus dem anderen gezeigt wird“, erklärt Damir. „Ähnliches gilt für die Farben. Es geht schließlich nicht nur darum, schöne Bilder zu kreieren.“ Neben dem Studium in Regie und Produktion, den beiden Fächern des Luxemburgers, gibt es etwa die Sparten Dokumentarfilm, aber auch Schauspiel.
„Wir lernen viele Aspekte in der Theorie wie auch in der Praxis“, weiß Damir, „und drehen ständig Filme. Letzte Woche, kurz vor den Semesterferien, war ich noch auf einem Set. Insgesamt war ich seit Januar auf zehn Filmsets. Dabei lerne ich nicht nur viel über Regie und Produktion, sondern auch in Szenografie oder über Beleuchtung. Vorher hatte ich kaum eine Ahnung, wie man beim Filmen mit Licht umgeht. Hier hatte ich schon nach kurzer Zeit einen Einsatz als Produktionsmanager, musste mich aber auch um die Kostüme kümmern. Oder ich wurde gefragt, ob ich bei der Arbeit an einem Drehbuch helfen wollte.“
In der fünfjährigen Ausbildung werden praktisch alle Aspekte des Filmemachens abgedeckt. Die Studenten setzen jedes Jahr eine Reihe von vier bis fünf Minuten langen Kurzfilmen um, sogenannte Etüden, die dann bewertet werden. „Man macht seine eigenen Projekte. Ich hatte letzten Monat einen eigenen gedreht, für den ich auch das Drehbuch geschrieben habe“, erzählt Damir. „Aber wir müssen auch mit anderen zusammenarbeiten. Im Laufe der Zeit findet man seine Leute, mit denen man besonders gerne arbeitet.“
„Krasse Solidarität“
Vorbei sind die schweren Anfangszeiten, in denen der junge Student mit der neuen, schwierigen Sprache zu kämpfen hatte. „Ich dachte, ich würde alles verstehen, aber das war nicht so“, sagt er. „Im Fach ‚Copyrights Law‘ habe ich so gut wie nichts verstanden, und ich durfte nicht einmal mein Handy benutzen. Ich rief zu Hause an und sagte, ich weiß nicht, ob ich es packe.“ Letztendlich hätten ihn sowohl die Professoren als auch die anderen Studenten ermutigt. „Hier herrscht eine krasse Solidarität.“
Mit der Zeit habe sich auch sein Filmgeschmack gewandelt. In seiner Jugend waren es vor allem die Filme von Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock gewesen, die ihn besonders beeindruckten, Klassiker wie „2001: A Space Odyssey“ oder „Vertigo“. In Polen erweiterte sich sein filmischer Horizont. Nicht zuletzt das mittel- und osteuropäische Kino kam hinzu. „Auch hat sich meine Sicht darauf verändert. So betrachte ich manche Aspekte ganz neu.“ Erst kürzlich hat er „Roter Himmel“ des Deutschen Christian Petzold gesehen. Nicht zuletzt entdeckte er die polnische Filmgeschichte. „Die polnischen Filmemacher setzen sich stark mit der Geschichte ihres Landes auseinander. Und sie benutzen spezifische Farbtöne.“
Nicht zuletzt beherrschen Filmemacher wie Kieślowski virtuos die Montagetechnik: „Der wirkliche Film entsteht überhaupt erst am Schneidetisch“, sagte der 1996 im Alter von 54 Jahren verstorbene Regisseur von Meisterzyklen wie „Dekalog“ und „Drei Farben“ einmal. Im Schneideraum sei Kieślowski nie zu einem Ende gekommen. Er soll einst erwogen haben, „Die zwei Leben der Veronika“ in 17 unterschiedlichen Versionen in 17 Pariser Kinos herauszubringen. Stanley Kubrick schrieb über Kiéslowskis Technik, man wisse nie genau, was passiert und merke erst später, dass seine Filme „das eigene Innere berührt haben“.
Regimekritisch und avantgardistisch
Die Hochschule von Lodz sei außerdem schon immer regimekritisch und avantgardistisch gewesen, weiß Damir. „Als zum Beispiel die nationalkonservative PiS-Regierung an der Macht war, sah man, dass viele Leute gegen PiS und für die LGBTQ-Bewegung waren. Generell ist die junge Generation in Polen sehr liberal bis links orientiert. Viele junge Leute sind offen.“ Dass die Hochschule eng mit der Filmindustrie verbunden ist, hat sich als großer Vorteil ausgewirkt. Es bestehe eine gute Balance zwischen Kunst und Kommerz. Die Hochschule arbeitet zudem mit Netflix zusammen. „Allerdings bekommen wir immer magerere Budgets“, weiß Damir. „Von früh an lehrt man uns, mit vielen Beschränkungen zu arbeiten. Etwa, mit 2.000 Zlotys (rund 500 Euro) einen Film zu drehen. Das ist vielleicht auch die Mentalität in Polen, dass man mit wenig viel machen kann.“
Für einen Kurzfilm sind etwa drei Drehtage veranschlagt. Das Team arbeite mindestens acht Stunden am Set, manchmal zwölf oder mehr Stunden, sogar nachts, weiß der Luxemburger. „Das bedeutet viel Stress“, sagt er. „Und Zeit ist Geld.“ Einer seiner Professoren habe den Filmstudierenden auf den Weg gegeben: „Für einen Film braucht man drei Sachen – Zeit, Geld und Leute; merkt euch das bis an euer Lebensende!“ Außerdem sei Lodz vielleicht die einzige Filmhochschule der Welt, die auf 35 und 16 mm dreht. „Das erfordert viel Disziplin. Wir lernen, mit diesen Beschränkungen zu arbeiten – und mit wenig Material, weil es einfach teuer ist. Es darf nichts schiefgehen. Am Anfang müssen wir in Schwarz-Weiß drehen. Die Shots sehen einzigartig aus.“
Vor lauter Filmen komme man kaum noch dazu, ins Kino zu gehen. Sowieso gibt es in Lodz nur drei kommerzielle und ein kleines Arthouse-Kino. Ab und zu geht Damir mit Kommilitonen dorthin. Dann heißt es wieder: Licht aus, Film an, Staunen und Träumen. Wie es einmal weitergeht, muss sich noch herausstellen. Damir ist als Previewer der „Giornate degli Autori“, einer eigenständigen Sektion des Filmfestivals von Venedig, zuständig. Und er wird auch wieder in Luxemburg drehen. Wie er sagt, wünscht er sich, dass mehr junge Luxemburger sich trauen, „aus ihrer Komfortzone zu treten“, um in Ländern wie etwa Polen zu studieren.
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