Ukraine-Krise / Luxemburger Flüchtlingshelferin über die Spenden: „Das liegt jetzt alles auf einem Haufen“
Fabienne Dimmer reist schon seit Jahren regelmäßig zu europäischen Flüchtlingscamps. Sie weiß, wie gute Flüchtlingshilfe auszusehen hat. Im Tageblatt-Gespräch redet die 53-Jährige über die Ukraine-Krise, Solidarität mit anderen Flüchtenden aus anderen Ländern – und über den Teil der Spenden, der wohl nicht benutzt wird.
Fabienne Dimmer kennt sich mit Flüchtlingsarbeit aus. Sie arbeitet als „Venue Manager“ beim Atelier – und als Freiwillige bei der luxemburgischen NGO „Catch a Smile“. Heißt: Sie hilft in ihrer Freizeit in europäischen Flüchtlingscamps aus. „Ich war vergangene Woche noch in Calais und Dunkerque“, sagt die 53-Jährige im Gespräch mit dem Tageblatt. Sie reist auch regelmäßig nach Bosnien, Serbien und Griechenland, um dort Flüchtenden auszuhelfen. Das Thema liegt ihr also besonders am Herzen, vor allem weil sie sich schon seit 2015 bei „Catch a Smile“ engagiert – also lange vor der Ukraine-Krise.
„Ich finde die Hilfsbereitschaft gegenüber der Ukraine super, aber gleichzeitig frage ich mich, seit wann die Gemeinden so viele Häuser zur Verfügung haben“, sagt Dimmer. Die Flüchtlingsunterkünfte seien seit sieben Jahren voll und niemand unternehme etwas. „Wie musst du dich als Afghane oder Syrer oder wer auch immer fühlen? Als Mensch fünfzehnter Klasse?“, fragt sich Dimmer. Die Gemeinde habe jetzt plötzlich Häuser und andere Menschen würden seit sieben Jahren in einem einzelnen Zimmer mit Kindern ohne Privatsphäre leben. Gleichzeitig gebe es auch Luxemburger, die kein Dach über dem Kopf haben. „Warum ist die Hilfsbereitschaft nicht immer da?“
So hilft „Catch a Smile“ den Ukrainern
„Catch a Smile“ unterstützt lokale Gruppen während der Ukraine-Krise: die polnische „Grupa Granica“ und „LOGS“ in Rumänien. „Wir überweisen ihnen Geld, damit sie vor Ort sofort Sachen kaufen könne. Das ist nützlicher.“ Die NGO reise allerdings nicht selbst zur polnisch-ukrainischen Grenze. „Wir gehen eher zur Polen-Belarus-Grenze, vor zwei Monaten sind dort noch Menschen erfroren – aber da fährt ja kein Bus hin, die interessiert niemanden“, sagt Dimmer.
Europäisch und weiß
Den Grund für die unterschiedliche Aufnahme der Geflüchteten scheint für die Luxemburgerin klar: Die Ukrainer sind aus Europa, weiß und „sie sind in den Köpfen der Menschen wie du und ich“, sagt Dimmer. Das beweise, dass die Gesellschaft auch weiterhin eine Fremden- und Islamophobie habe. „Dem Marokkaner sagen wir, du bist ein Wirtschaftsflüchtling und dem Portugiesen: ‚Kein Problem, du kannst hier arbeiten.‘ Der Unterschied ist nur EU oder nicht EU – und darauf basieren wir die Menschenrechte“, meint Dimmer. „Das ist das, was uns empört.“
Die freiwillige Flüchtlingshelferin habe am Mittwochmorgen noch mit Menschen aus Griechenland telefoniert. Bei Athen werde in den kommenden Wochen das größte Flüchtlingscamp komplett zugemacht und die Bewohner auf die Straße gesetzt. Ein Teil dieser Menschen wandere dann wahrscheinlich tiefer in Europa rein. „Am Telefon haben die gesagt: ‚Den Ukrainern wird überall die Tür aufgemacht, dann wird das für uns auch der Fall sein‘“, so Dimmer.
Vergangene Woche habe sie in Calais mit einem Afghanen geredet, der in der Ukraine den Flüchtlingsstatus habe und jetzt auch von dort flüchten musste. „Und er hat gesagt: Ich zähle nicht, ich bin ja kein Ukrainer. Sie haben auch ein Handy und lesen die Weltpresse. Sie sehen die Hilfsbereitschaft für Ukrainer“, sagt Dimmer.
Überhaupt müsse die komplette Flüchtlingspolitik komplett überarbeitet werden – auch in Luxemburg. Das Aufarbeiten verschiedener Dossiers würde Jahre dauern. „Es ist super, dass der Ukrainer sofort seine Dokumente bekommt, aber dann bitte auch schauen, dass du Menschen hast, die die anderen Dossiers bearbeiten. Es kann nicht sein, dass es Jahre dauert, bis man erfährt, ob man den Flüchtlingsstatus erhält oder nicht.“
Mit der Wasserflasche bis in die Ukraine
Die Hilfsbereitschaft für die Ukrainer sei also prinzipiell super, die Form, die diese Solidarität annimmt, allerdings eher nicht. „Als ich gesehen habe, dass die Menschen Spenden gesammelt haben, dachte ich mir: Das liegt jetzt alles auf einem Haufen, das wird irgendwann verbrannt, weil kein Mensch das braucht“, sagt Dimmer. Vor allem Kleiderspenden seien in dieser Situation nicht besonders nützlich. Dimmer sitzt bei „Catch a Smile“ im Komitee und ist für alles, was mit Spenden zu tun hat, zuständig. Eine Person habe ihr zum Beispiel erzählt, dass sie mit fünf Paletten Wasser nach Polen fahren würde. „Da habe ich gesagt: Glaubst du in Polen haben sie kein Wasser in den Supermärkten? Dann spende das lieber an den Luxemburger Primo Accueil“, so Dimmer.
An der ukrainischen Grenze werde niemand blockiert. Heißt: Die Menschen sollen ihre Sachen behalten, bis die Geflüchteten in Luxemburg ankommen. „Wenn sie bis hier ankommen, dann gibt es genug Arbeit“, sagt Dimmer. Sie habe versucht, den Menschen zu erklären, dass es keinen Sinn ergebe, hier Sachen zu kaufen und die dann nach Polen zu bringen. Deswegen habe „Catch a Smile“ auch einen Flyer erstellt, der genau auf diese Problematik eingehe. „Wir wurden europaweit gefragt, ob sie unseren Flyer benutzen können“, sagt Dimmer. „Das, was hier in Luxemburg mit den Lieferwagen passiert ist, ist überall in Europa passiert.“
Wie kann man am effektivsten helfen?
Doch wie soll man den Ukrainern jetzt am besten helfen? Mittlerweile sind knapp 4.000 ukrainische Geflüchtete in Luxemburg angekommen – und das innerhalb von drei Wochen. „Davon sind mindestens ein Drittel Kinder. Deswegen ist das, was jetzt am wichtigsten ist, zu schauen, wo kann ich der Gemeinde und den Schulen helfen“, meint die erfahrene Flüchtlingshelferin. Die Situation sei anders als noch vor ein paar Jahren. Die Syrier seien über mehrere Jahre verteilt angekommen. Man solle aktiv im kleinen lokalen Kreis nach Hilfsmöglichkeiten suchen. Auf die Gemeinden und Schulen würde sehr viel zukommen, deswegen würde es am meisten Sinn ergeben, dort auszuhelfen.
Wenn man in der Ukraine helfen will, dann soll man sich aktiv informieren, wo das Geld vor Ort benötigt wird. Aber: „Du musst nicht mit deinem Auto dorthin fahren – dann hast du viel Benzin gespart.“ Das Geld solle man dann eher nutzen, um an gute Hilfsorganisationen vor Ort zu spenden. „Wir wissen nicht, wie der Krieg sich entwickelt, es ist noch sehr früh – es muss auch nicht alles in den ersten drei Wochen verschossen werden“, sagt Dimmer.
- PAG abgeändert: Gemeinde erlaubt den Bau von Tiny Houses - 11. November 2024.
- Die Berichterstattung über „Dëppefester“ ist ein essenzieller Teil unserer Gesellschaft - 4. November 2024.
- Tierschutzverein stößt an seine Grenzen: „Schafft euch nur ein Tier an, wenn ihr Zeit habt“ - 31. Oktober 2024.
Wenn man diesen Haufen Plastiksäcke sieht, denkt man eher an ausrangierte Klamotten (Marie Kondo) oder gar Lumpen. Die Ukrainer kommen hier nicht in Fetzen an und schmuddelige Stofftiere brauchen sie auch nicht. Beim Tsunami in Thailand wurden auch „Kleiderspenden“ mit alten Karnevals-und Nikolauskostümen abgegeben – ekelhaft, Menschen in Not zu verhöhnen! Fabienne Dimmer hat Recht – Geldspenden sind mehr angebracht und sinnvoller. Und das mit den Häusern der Gemeinden ist in der Tat erstaunlich…