Neue Variante / Luxemburger Forscher über Omikron: „Unsere Gesellschaft ist noch nicht bereit“
Es handelt sich um eine junge Frau. Sie arbeitet im Luxemburger Süden als Reinigungskraft, in einem Altenheim, ausgerechnet. Sie ist in den letzten Wochen nicht verreist. Sie ist doppelt geimpft und zeigt dennoch „relativ viele Symptome und ist in medizinischer Behandlung“, wie Santé-Chef Jean-Claude Schmit am Montag erklärte. Die junge Frau trägt die neue Variante in sich – Omikron. Sie ist der erste Fall, der innerhalb Luxemburgs detektiert wurde. Aber, sagt der Immunologe Dirk Brenner vom Luxembourg Institute of Health: Sie wird nicht der letzte sein. Was kommt mit Omikron auf uns zu?
Tageblatt: Professor Brenner, „Santé-Chef“ Jean-Claude Schmit geht davon aus, dass „Omikron relativ schnell Delta ersetzen wird“. Was bedeutet das?
Professor Dirk Brenner: Die Datenlage ist noch immer dünn. Aber es sieht so aus, als würde die Verdopplung von Omikron alle zwei bis drei Tage stattfinden. Das wäre deutlich schneller als Delta und somit ist eine Verdrängung durch Omikron wahrscheinlich. Wir haben auf einmal eine Mutante, die gleich zwei Selektionsvorteile hat: Sie ist deutlich infektiöser, auf der anderen Seite gibt es einen Immune Escape. Das heißt, unser Immunsystem hat es deutlich schwerer gegen diese Mutante. Das gilt für Geimpfte wie auch für Genesene.
Wie kann es sein, dass Omikron noch infektiöser als die ohnehin hochansteckende Delta-Variante ist?
Ja, Delta ist schon sehr ansteckend. Aber Omikron scheint noch deutlich ansteckender zu sein. Das könnte daran liegen, dass mehr Viren gebildet werden – ähnlich wie Delta mehr Viren als Alpha gebildet hat und deshalb deutlich infektiöser war. Des Weiteren können auch spezifische Mutationen an speziellen Stellen dazu beitragen. Die genauen Mechanismen sind aber noch unklar.
Wie viel infektiöser ist Omikron?
Es gibt da erst eine einzige Studie mit 121 Haushaltskontakten, aus Großbritannien. Aber die Tendenz ist besorgniserregend. Die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Omikron um das 3,2-Fache infektiöser ist. Wir wissen noch nicht genau, woran das liegt. Was klar ist: Omikron weist eine sehr ungünstige Konstellation und Anzahl von Mutationen auf. Allein 30 in dem Spike-Protein, das für das Andocken des Virus an die Zelle nötig ist.
Bringt das auch schwerere Verläufe mit sich?
Falls Omikron noch mehr Viren bildet, dann ist das für den Wirtsorganismus erst mal schlecht und das kann zu schweren Verläufen führen. Was wir in Südafrika gesehen haben, ist, dass überraschend viele Jüngere betroffen sind. Die Hospitalisierungsrate ist bei Kindern unter neun Jahren beispielsweise um 20 Prozent gestiegen. Allerdings ist der Anteil an schweren Verläufen bei Kindern noch immer sehr gering. Aber es kommt zu deutlich mehr symptomatischen Infektionen.
Wie entsteht ein solcher Evolutionsschub?
Im Prinzip handelt es sich bei Omikron um ein perfekt angepasstes Virus. Omikron scheint in Südafrika oder einem der Nachbarländer entstanden zu sein. Dort sind die Impfraten relativ niedrig, der Anteil der natürlichen Infektionen viel höher. Wir sehen dort eine Gesellschaft, die vielleicht schon komplett durchinfiziert wurde. Omikron hat sich also in einer Population gebildet, die schon eine gewisse Grundimmunität hatte. Man könnte sagen, dass Omikron das erste post-pandemische Virus ist, ein Nachdurchseuchungsvirus. Das erste, das sich in einer immunen Bevölkerung ausbreiten kann und somit endemisch werden kann.
Und was passiert, wenn Omikron auf eine Gesellschaft stößt, die eben nicht „durchinfiziert“ ist – so wie höchstwahrscheinlich unsere?
Unsere Gesellschaft ist noch nicht bereit für diesen Übergang in die Endemie. Wir gehen davon aus, dass Sars-CoV-2 sich über lange Zeit zu einem Erkältungsvirus entwickelt, das uns infizieren kann, aber keinen schweren Verlauf verursacht. Es bildet sich also ein Gleichgewicht zwischen Immunität und der Infektion. Nimmt die Immunität ab, werden wir infiziert. Dann bekommen wir z.B. eine Erkältung, einen Schnupfen, danach sind wir wieder für eine Zeit lang immun. Aber damit das passiert, brauchen wir zunächst eine Grundimmunität, die uns prinzipiell vor einem schweren Verlauf schützen kann. Diese erreichen wir entweder durch natürliche Infektion – oder eine dreifache Impfung.
Wie gut wirken die vorhandenen Impfstoffe noch?
Da gab es in der vergangenen Woche nicht so gute Nachrichten. Zwei Studien – eine aus Südafrika, eine aus Frankfurt – haben im Labor gezeigt, dass die Antikörper-Effizienz auf ein Vierzigstel respektive ein Siebenunddreißigstel herabgesetzt werden kann. Und das sind erst einmal schlechte Neuigkeiten. Menschen, die genesen sind, können reinfiziert werden. Und Menschen, die geimpft wurden, können infiziert werden.
Was können wir dagegen machen?
Wir brauchen im Prinzip deutlich mehr Antikörper, um eine Infektion zu verhindern. Und deshalb ist das Boostern so wichtig. Letzte Woche hat Biontech veröffentlicht, dass die Boosterimpfung zum Anstieg des Antikörper-Levels um das 25-Fache führt. Für Moderna ist meiner Meinung nach ähnliches zu erwarten. Es ist anzunehmen, dass man dann ausreichend geschützt ist, gerade vor schweren Verläufen.
Werden die Impfstoffe auch angepasst?
Biontech hat sofort kommuniziert, dass es an einem Impfstoff-Update arbeitet. Bei so einem signifikanten Immun-Escape brauchen wir den dringend. Das Gute an den mRNA-Impfstoffen ist, dass sie relativ einfach angepasst werden können. Schon im März oder April könnte der neue Impfstoff zur Verfügung stehen.
Reicht die Rate, mit der derzeit in Luxemburg geboostert wird?
Die Boosterimpfungen sind wichtig und müssen so effizient und schnell wie möglich durchgeführt werden. Aber aufgrund des starken Immun Escapes von Omikron wage ich es zu bezweifeln, dass wir uns aus einer Omikron-Welle herausboostern können. Zudem ist essentiell, die bestehenden Impflücken so schnell wie möglich zu schließen.
Gibt es denn auch gute Nachrichten?
Die Antikörperantworten sind nur die eine Seite der Immunantwort. Es gibt auch noch die T-Zellen-Antwort. Die Angriffsstellen dafür waren bei den bisherigen Mutanten maximal um zehn Prozent im Spike-Protein mutiert. Bei Omikron sind es 30 Prozent. Auch hier haben wir bei Omikron also einen größeren Immun-Escape – aber die T-Zellen-Antwort funktioniert immerhin noch zu 70 Prozent. Das ist im Prinzip eine gute Nachricht. Die T-Zellen schützen vor schweren Verläufen, es ist also zu erwarten, dass die Impfstoffe nach der zweiten Impfung die Infektion eventuell nicht verhindern – aber die Verläufe abschwächen.
Das heißt, die zweimalige Impfung schützt auch bei Omikron gegen schwere Verläufe?
Es sieht so aus, als würde Omikron in einer teilimmunisierten oder immunen Bevölkerung zu weniger schweren Verläufen führen, das ist aber nach wie vor nicht wirklich klar. Was zu erwarten ist, ist, dass Omikron zu mehr Impfdurchbrüchen führt. Das Virus ist deutlich ansteckender, die Impfstoffe deutlich ineffektiver, also gibt es zwangsläufig mehr Durchbruchsinfektionen.
Und der Schutz vor Infektionen allgemein?
Es ist wie bei Delta – nur deutlich extremer. Eine britische Studie, deren erste Resultate erst letzte Woche veröffentlicht wurden, besagt: Wenn man zweimal mit Biontech geimpft ist, hat man bei Omikron nach vier Monaten nur noch 34 Prozent Schutz gegen eine symptomatische Infektion. Das Erschreckende: Wenn man zweimal mit AstraZeneca geimpft wurde, besteht nach vier Monaten gar kein Schutz mehr. Das sind aber nur erste Daten bei sehr geringen Fallzahlen, welche sich noch verändern können. Die Tendenz sieht aber nicht gut aus.
Wenn man sich aber Boostern lässt, dann ist zwei Wochen nach der Booster-Impfung der Schutz wieder bei 75 Prozent, und das bei beiden Impfstoffen. Das heißt, die Booster-Impfung hilft definitiv auch gegen die Omikron-Variante.
Was ist mit Menschen, die noch nicht geimpft sind?
Das ist die schlechte Nachricht: Es könnte sein, dass gerade Omikron sich für Ungeimpfte als äußerst ungünstig herausstellen könnte. Allein weil die Hypothese im Raum steht, dass es eine höhere Virenlast geben könnte, welche die hohen Infektionsraten bedingt.
Was wird auf uns zukommen?
Omikron wird in Luxemburg ankommen und es wird zu mehr Durchbruchsinfektionen kommen. Und dadurch können die Inzidenzen in Luxemburg natürlich deutlich steigen. Das wird auf uns zukommen. Das Schlechteste, was in einer vierten Welle passieren kann, ist, wenn eine noch infektiösere Mutante dazukommt. Das heißt, das Infektionsgeschehen wird sich potenzieren, auch wenn das eine pessimistische Perspektive ist. Und selbst wenn Omikron zu weniger schweren Verläufen führen würde – die höhere Anzahl an Infektionen würde zur Folge haben, dass die Krankenhaussysteme überlastet werden können.
Was können wir angesichts dieser ersten Ergebnisse tun?
Das Wichtigste ist, die Impflücken zu schließen. Das ist leider etwas, was wir im Sommer verpasst haben. Da hatten wir eine Niedrig-Inzidenz-Zeit, und es wäre sehr gut gewesen, wenn wir da die Lücken geschlossen hätten. Jetzt haben wir die Situation, dass wir große Lücken gerade bei den älteren Semestern haben, dort, wo das Coronavirus die schwersten Folgen hat. Danach müssen wir die Bevölkerung boostern, um die Immunität zu erhöhen.
Helfen die guten alten Vorsichtsmaßnahmen noch?
Kontaktbeschränkungen stören die Ausbreitung des Virus signifikant. Aber das sind Maßnahmen, die uns nur Zeit kaufen, sie werden die Pandemie nicht beenden. Das Einzige, mit dem wir effektiv aus der Situation herauskommen, ist die Immunisierung der Bevölkerung. Das erreichen wir durch Infektion oder durch Impfung. Und da ist die Impfung die deutlich sicherere Variante.
Was ist vor diesem Hintergrund die Message der Forschung an die Politik?
Die Booster-Impfung muss so schnell wie möglich und so viel wie möglich vorangetrieben werden – und sie muss schneller als sechs Monate nach der zweiten Impfung kommen. Am besten schon nach drei Monaten. Und gerade jetzt, vor der anrollenden Winterwelle. Des Weiteren müssen die bestehenden Impflücken geschlossen werden.
Was passiert, wenn wir irgendwann tatsächlich alle immun sind?
Dann werden wir von einem pandemischen Virus zu einem endemischen Virus kommen, mit dem wir über Jahre einfach leben werden – und bei dem das in Ordnung ist, wie mit anderen Coronaviren auch.
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