Covid-Maßnahmen / Luxemburger Parlament beschließt Lockerungen
Luxemburg öffnet sich – teilweise zumindest. Mit den Stimmen von LSAP, Grünen und DP wurde am Freitagmittag ein entsprechendes Gesetz angenommen.
Der Berichterstatter Mars Di Bartolomeo (LSAP) sagte, die Maßnahmen seien damals verschärft worden, um der Omikron-Variante entgegenzuwirken, weil die Gefahr bestand, dass zehntausende Menschen sich infizieren und das Gesundheitssystem kollabiert.
Nun, so der Berichterstatter, deuten die Zahlen darauf hin, dass der Gipfel der Omikron-Welle erreicht sei. Er sagte, nun werde es Zeit für eine Rückkehr zu mehr Eigenverantwortung und Verantwortung für andere.
Dazu gehört vor allem der Wegfall der Sperrstunde im Gastgewerbe. Der Horeca-Sektor darf demnach wieder wie gewohnt bis 1 Uhr nachts aufhaben und sogar „freie Nächte“ veranstalten, auch wenn der Berichterstatter zur Vorsicht mahnt. Eine wichtige Änderung gibt es auch am Arbeitsplatz, wo 3G nur noch fakultativ gelten soll.
In Zukunft kann eine Selbst-Quarantäne aufgehoben werden, wenn zwei Schnelltests an zwei aufeinanderfolgenden Tagen negativ sind, unabhängig davon, wie kurz die Quarantäne war. Am Arbeitsplatz soll 3G nur noch fakultativ gelten. Hierzu muss sich der Arbeitgeber mit den Personalvertretern einigen. Falls nicht, gelten die normalen Versammlungsregeln. Arbeitsminister Georges Engel erklärte, dass am Freitagmorgen ein „accord interprofessionnel“ dazu unterschrieben wurde.
Oppositionsführer Claude Wiseler (CSV) kritisierte, dass die häufigen Veränderungen in der Gesetzgebung es schwer machen, die Maßnahmen nachzuvollziehen. Er nannte den Gesetzesentwurf „eine weitere Etappe auf dem Zickzackkurs“. Er beklagte außerdem, dass die Maßnahmen nicht auf ihre Wirkung hin untersucht worden seien – zum Beispiel sei nicht geprüft worden, wie viel die 3G-Maßnahme am Arbeitsplatz gebracht hat. Die Abschaffung der 3G-Regeln am Arbeitsplatz nur wenige Wochen nachdem sie eingeführt wurden, bereitet Wiseler Kopfzerbrechen. Es fehle eine Erklärung für diese Wende, meint Wiseler.
Er wunderte sich auch darüber, dass sich der Premier öffentlich für eine Impfpflicht ausspricht, Gesundheitsministerin Paulette Lenert sich in den Sitzungen der Chamber-Kommission aber sehr viel verhaltener dazu äußere.
Gilles Baum (DP) nannte das Beispiel Dänemark. Dort öffne man wieder, trotz hoher Infektionszahlen. Der Grund sei die niedrige Zahl der Hospitalisierungen in dem Land, was auf die hohe dänische Impfquote zurückgeführt wird. Auch hierzulande seien die Krankenhausbelegungen stabil, weil viele Menschen sich haben impfen lassen, erklärte Baum.
Yves Cruchten (LSAP) sagte, es sei eindeutig den Geimpften zu verdanken, dass gelockert werden könne. Die Politik habe in Luxemburg immer die Belastung des Gesundheitssystems als Kriterium genommen, wenn sie Maßnahmen ergriffen hatte. Es habe sich gezeigt, dass Omikron nicht die Gefahr für das Gesundheitssystem darstellt, wie befürchtet wurde. Deshalb könne man nun „die Schraube lockern“. „Die Lockerungen der Maßnahmen geben nicht denen recht, die sich noch nicht haben impfen lassen, im Gegenteil“, so Cruchten. Das Impfen wirke und helfe, eine eventuelle nächste Welle zu vermeiden. Cruchten rief alle dazu auf, sich impfen zu lassen.
Luxemburg ist nicht Dänemark
„Leider ist Luxemburg nicht Dänemark“, bedauerte Josée Lorsché. In Luxemburg liege die Impfquote noch immer bei 72 Prozent. Bei den über 50-Jährigen seien viele noch nicht geimpft. Vor allem diese Menschen liefen Gefahr, schwer krank zu werden und auf der Intensivstation zu landen. Lorsché ging auch auf den Bildungssektor ein. Für die jungen Menschen sei es extrem traurig, wie sich die Situation in den Schulen entwickelt. Sie sprach von 7.500 Fällen. Es reiche aber nicht, den Schulminister zu kritisieren. „La critique est aisée, mais l’art est difficile“, so Lorsché. Sie bedankte sich beim Schulpersonal für ihren Einsatz.
„Zu spät und nicht weit genug“, so Jeff Engelens (ADR) Urteil über die geplanten Öffnungen. Er forderte eine komplette Öffnung zum 1. März. Die aktuelle Situation rechtfertige die Maßnahmen nicht mehr. Die Impfquote sei hoch, die sogenannte Herdenimmunität sicher erreicht. „Die Regierung hat in letzter Zeit immer repressivere Reflexe entwickelt“, sagte Jeff Engelen und wunderte sich darüber, dass Polizeiminister Henri Kox genug Polizisten finde, um bei einer Demonstration einzugreifen, aber nicht um gegen „Messerpickerten an Drogendealer“ vorzugehen.
Engelen kritisierte, die Regierung wolle so wenig wie möglich über mögliche Nebenwirkungen der Covid-Impfung kommunizieren. Die Menschen würden sich fragen, ob sie korrekt über die Nebenwirkungen aufgeklärt worden sind, sagte Engelen. Er sagte, die Impfungen milderten zwar den Verlauf, könnten eine Ansteckung aber nicht unbedingt verhindern.
Die Linken halten die Lockerungen für richtig, finden aber auch, dass die Maßnahmen gar nicht nötig gewesen seien. Die Maßnahmen seien eingeführt worden, um Druck auf Ungeimpfte auszuüben, monierte Nathalie Oberweis („déi Lénk“). Wenn dadurch die Impfquote gestiegen sei, könne man darauf nicht stolz sein.
Wie die CSV kritisieren die Linken, dass keine Auswertung über die Wirksamkeit der Maßnahmen vorliegt. Auch, dass im neuen Gesetz Schnelltests eine besondere Rolle eingeräumt wird (um sich aus einer Quarantäne „herauszutesten“), kritisiert Oberweis, weil diese Tests eher unsicher sind und bislang als „schwächste Glied“ bezeichnet worden sind.
Völlig überrascht zeigte sich Sven Clement (Piraten) von den Lockerungen. Dass die Regierung „so schnell den Glauben in ihr Super-Werkzeug verloren hat“ (gemeint ist 3G am Arbeitsplatz), findet der Pirat sehr verwunderlich. Die Politik sei komplett inkohärent. Clement glaubt verstanden zu haben, dass die Regierung von einer Impfstrategie zu einer Durchseuchungsstrategie gewechselt ist. „Die Durchseuchungsstrategie, die wir ja schon in den Schulen gesehen haben, kommt jetzt also auch für den Rest der Bevölkerung“, so Clement. Er hält diese Politik für gewagt, weil die Datenlage zu dünn sei. Das 3G am Arbeitsplatz nannte Clement „pay-to-work“. Menschen, die sich deshalb haben impfen lassen, würden sich durch die Lockerungen vor den Kopf gestoßen fühlen. Clement betonte aber auch, dass seine Partei dennoch für die Impfung ist.
Premier Xavier Bettel (DP) betonte, dass es nicht um Gefühle gehe, sondern um die Faktenlage. Unter anderem sagte er, dass Omikron viel weniger oft zu einem Krankenhausaufenthalt führt als die Deltavariante. „Wir haben die Zahlen“, verteidigte sich Bettel. Er habe Fakten, Zahlen und Vorhersagen der Uni.
Gesundheitsministerin Paulette Lenert sprach von einem Präventionsparadoxon. Die Maßnahmen seien aus Vorsicht getroffen worden. Dann sei es aber nicht so schlimm gekommen wie erwartet. Deshalb könne auch gar nicht ausgewertet werden, wie gut die Maßnahmen geholfen hätten, erklärte Lenert. „Wir fliegen im Nebel“, so Lenert. „Wir fliegen aber nicht ohne Kompass und Radar“, sagte sie weiter. Die Regierung orientiere sich an der Datenlage, so die Gesundheitsministerin.
Wenn der Staatsrat dem Wegfall der zweiten Lesung stattgibt und der Großherzog das Gesetz unterschreibt, tritt es noch am Freitagabend in Kraft. Das verhindere, dass Kneipen um 23 Uhr schließen müssen, nur um um Mitternacht wieder aufzumachen, so Xavier Bettel.
La peur du convoi de la liberté?