Interview / Luxemburger Weltraumagentur zwischen Wirtschaft und Forschung
Seit knapp zwei Jahren hat Luxemburg mit der LSA eine Weltraumagentur. Ihre Hauptmission ist es, die Luxemburger Wirtschaft bunter zu gestalten, indem sie eine Weltraumbranche aufbaut. Doch das bedeutet nicht, dass die Forschung komplett vergessen wird, erklärt LSA-Direktor Marc Serres im Interview.
Tageblatt: Die Büros der LSA befinden sich im Gebäude des Wirtschaftsministeriums. Was hat es damit auf sich?
Marc Serres: Die LSA ist immer noch ein Teil des Ministeriums. Das spiegelt auch unsere Mission wider. Unser Ziel ist es, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Weltraumbranche soll ein Teil dieser Diversifikation sein. Unsere ganze Aktivität ist wirtschaftlich bestimmt. Die Verbindung liegt auf der Hand und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.
Darin unterscheidet sich die LSA von anderen Weltraumagenturen wie der NASA, der JAXA und der ESA. Diese Agenturen sind vorwiegend Forschungsinstitutionen, während die LSA eher eine Promotionsagentur ist.
Definitiv. Wir sind keine klassische Weltraumagentur. Unsere Aktivitäten sind nicht vorwiegend wissenschaftlich. Zu 100 Prozent richtig ist das allerdings auch nicht. Immerhin unterstützen wir auch die Arbeit der Universität und des Forschungszentrums LIST. Außerdem arbeiten wir an der Entstehung eines „Centre d’innovation et de recherche“ für Ressourcen aus dem Weltraum. Wir lassen bei unseren Aktivitäten die Wissenschaft also nicht komplett außen vor. Es ist jedoch klar, dass wir diese Aktivitäten als ein Instrument betrachten, um das wirtschaftliche Umfeld weiterzuentwickeln. Bei immer mehr ESA-Mitgliedstaaten lässt sich beobachten, dass die Zuständigkeit dafür früher beim Forschungs- oder Wissenschaftsministerium verortet war und heute an das Wirtschaftsministerium abgegeben wurde. In Deutschland und in den Niederlanden ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Als Luxemburg 2005 Mitglied der ESA wurde, war das Forschungsministerium dafür zuständig. Frankreich wäre ein Beispiel, in dem das Forschungsministerium zuständig ist. Es gibt einen allgemeinen Trend, dass das Weltraumgeschehen immer mehr eine sozioökonomische Ausrichtung bekommt, wohingegen früher die Erforschung des Sonnensystems im Vordergrund stand. Heute spielen Daten, die uns die Erdbeobachtung liefert, bereits eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft. Beispiele dafür sind die Meteorologie, die Kommunikation und die Navigation. Heute benutzt jeder sein Handy, um den Weg zu finden, ohne groß darüber nachzudenken. Dahinter stecken aber Satelliten. Satelliten sind heute ganz eng mit unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft verknüpft.
Wenn Sie von Meteorologie, Kommunikation und Navigation reden, dann sind das aus Ihrer Sicht eher Produkte, die ein Unternehmen verkaufen kann?
Ja, absolut. Das sind Anwendungen, die heute bereits ein Produkt oder eine Dienstleistung für einen Kunden ermöglichen. Das trifft nicht auf alles zu. Einige Dinge sind noch in der Forschungs- und in der Innovationsphase, aber es gibt heute durchaus Dienstleistungen, die verkauft werden und im Weltraum basiert sind.
Sie erwähnten LIST und die Uni. Die Forschung ist also nicht ganz aus dem Spiel?
In Luxemburg gibt es niemanden, der nur Weltraumwissenschaften betreibt. Die Forschungszentren LIST und SNT („Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust“, Teil der Uni; d.Red.) forschen nach Anwendungsmöglichkeiten. Das SNT zum Beispiel forscht im Bereich Kommunikation und arbeitet mit dem Satellitenbetreiber SES an der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien. Sie forschen auch an Robotern. Das LIST ist aktiv in der Nutzung von Erdbeobachtungsaufnahmen.
Was bringt das den Bürgern in Luxemburg?
Die Forschung des SNT hilft zum Beispiel Firmen wie der SES, ihre Dienstleistungen zu verbessern. Davon profitieren die Nutzer, weil die Dienste, die sie erhalten, besser und eventuell billiger sind. Auch die Unternehmen, die mit den Forschern zusammenarbeiten, profitieren, wenn sie dadurch neue Produkte auf den Markt bringen oder bestehende Produkte verbessern können. Natürlich bleibt zu sehen, welche Leute in Luxemburg direkt von solchen Dienstleistungen profitieren. Aber wenn die Luxemburger Unternehmen innovativ sind und interessante Dienstleistungen und Produkte auf den Markt bringen, hat das positive Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft – und schlussendlich auf die Gesellschaft.
Die Space-Mining-Initiative hat sich anders entwickelt als geplant. Der ehemalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider musste sich im Parlament wegen des Totalverlustes eines Unternehmens verantworten. Ein anderes Unternehmen hat Space Mining hinten angestellt und konzentriert sich vorerst auf andere Aktivitäten. Haben Sie damit gerechnet, dass so etwas passieren kann?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass ein gewisses Risiko besteht. Wenn Privatunternehmen in einem so neuen Feld aktiv sind, ist klar, dass sie nicht alle überleben. Das bedeutet aber nicht, dass alles sinnlos war. Auch das Scheitern eines Unternehmens trägt dazu bei, das Ganze weiterzuentwickeln. Auch wenn einige Unternehmen nicht mehr existieren, gibt es andere, die noch da sind, und in den letzten Jahren haben wir unser Ökosystem so entwickelt, dass die Chance besteht, dass einige Unternehmen Erfolg haben und wachsen. Wenn Geldgeber investieren, wissen sie genau, dass von zehn Start-ups nur eine oder zwei wirklich erfolgreich sein werden. Zwei bis drei stagnieren und die anderen verschwinden. Das wissen wir und das ist normal in einem Bereich, in dem innoviert wird. Bevor man eine Bilanz ziehen kann, muss man zuerst ein paar Jahre abwarten. Die SES hat schließlich auch zehn Jahre gebraucht, um sich einen Namen zu machen und sich zu etablieren. Man sollte nicht voreilig den Schluss ziehen, dass es sich nicht so entwickelt hat, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben inzwischen auch weitere Initiativen gestartet. Anfang des Jahres hat der Fonds seine Arbeit aufgenommen („Orbital Ventures“; d.Red.). Wir arbeiten mit der ESA am „Centre d’innovation et de recherche“. Dieses wird am Ende des Jahres seine Arbeit aufnehmen. Das alles wird nach und nach aufgebaut und man braucht etwas Abstand und muss ein paar Jahre verstreichen lassen, um erste Schlussfolgerungen zu ziehen.
Was sind die Aktivitäten des „Centre d’innovation et de recherche“?
Es sind vier Aktivitäten vorgesehen. Zum einen die Forschung. Wir wollen Forschern aus Luxemburg und aus dem Ausland eine gemeinsame Plattform bieten. Es gibt bereits Arbeitsgruppen, die sind allerdings klein und verstreut. Wir wollen ihnen die Möglichkeit bieten, an einem zentralen Ort zusammenzuarbeiten. In Luxemburg wollen wir auch eine Forschungsgruppe aufbauen – in Bereichen, in denen es die Technologien und Kompetenzen heute noch nicht gibt, um eine Wertschöpfungskette aufzubauen
Welche Bereiche wären das?
Zurzeit arbeiten wir an der Extraktion und Weiterverarbeitung. Das ist aber noch sehr breit und muss noch raffiniert werden. Es hängt allerdings auch ein wenig von unseren Partnern ab. Ein Partner ist die ESA. Daneben haben wir den Bereich Firmeninkubation. Aus den entwickelten Technologien wollen wir Spin-offs generieren und vielleicht mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, welche die neuen Technologien übernehmen oder sie sogar von Anfang an mitentwickeln. Hier haben wir eine Business-orientierte Herangehensweise, um das zu valorisieren, was im Zentrum gemacht wird. Den dritten Bereich nennen wir „Knowledge Management“. Wir wollen immer auf dem Laufenden sein, was in Europa und der Welt gemacht wird, damit das Zentrum immer eine einzigartige Position zum Rest dieser Gemeinschaft hat. Der letzte Bereich ist „Community Management“. Dabei geht es darum, die ganze Gemeinschaft anzulocken, zu animieren und Workshops zu organisieren. Die Idee lautet, die Menschen zusammenzubringen, um eine kritische Masse zu erreichen. Wir haben jetzt in Luxemburg die Plattform vorbereitet, um das zu ermöglichen.
Man hört oft von Unternehmen in Luxemburg, dass sie es schwer haben, Fachkräfte zu finden. Beschäftigt sich das Community Management auch damit?
Die LSA hat eine Reihe Initiativen für die Talentförderung begonnen. Was Grundschule und Sekundärunterricht angeht, arbeiten wir im Rahmen der Esero-Initiative der ESA mit dem Bildungsministerium zusammen. Die Idee dahinter ist, dass wir Lehrkräfte schulen, um den Weltraum als Illustration für ihren Unterricht zu nutzen. Das heißt nicht, dass sie über den Weltraum unterrichten, sondern dass zum Beispiel ein Physiklehrer bei seinen Experimenten einen Zusammenhang mit dem Weltall herstellt. In Luxemburg arbeiten wir in dieser Sache mit dem Science Center zusammen. Schulen in allen Mitgliedstaaten der ESA machen mit und man kann sich mit Lehrern zum Beispiel in Holland und in Deutschland austauschen, wenn man entsprechende Ressourcen braucht. Wenn wir in Luxemburg etwas entwickeln, können wir es anderen zur Verfügung stellen. Bei der Hochschulausbildung arbeiten wir mit dem Hochschulministerium und der Universität zusammen. Dort wurde der „Interdisciplinary Space Master“ gestartet. Gerade endet das erste Jahr mit zwölf Studenten. Wir haben das am Anfang mitfinanziert. Das soll aber in den normalen Betrieb der Uni übergehen.
Um was geht es bei diesem Studiengang?
Er hat eine technische und wirtschaftliche Ausrichtung. Wir wollten nicht das machen, was andere große Universitäten bereits seit 30 Jahren machen. Es handelt sich um einen Master-Studiengang, für den man schon einen bestimmten technischen Hintergrund haben muss. Andere Universitäten bilden gute Ingenieure aus. Die können aber nicht ohne weiteres ein Unternehmen gründen oder ohne weitere Ausbildung in einem Unternehmen arbeiten. Unsere Idee war, das Geschäftliche in den Master-Studiengang einzubeziehen, damit die Absolventen schneller einsatzbereit für ein Unternehmen sind oder sogar ihr eigenes Unternehmen leiten können. Dann gibt es noch das Programm „Lux-YGT“. Hier bieten wir jungen Absolventen die Möglichkeit, ein bis zwei Jahre bei der ESA zu arbeiten. Das ist eine mega Erfahrung. Die ESA ist eine der größten Weltraumagenturen weltweit. Nur die NASA ist größer. Junge Menschen, die sich für das Weltall begeistern können, haben so eine fantastische Gelegenheit, um erste Erfahrungen zu sammeln. Wir starten jedes Jahr einen Aufruf und suchen zusammen mit der ESA die geeignetsten Kandidaten heraus.
Allerdings deutet nichts darauf hin, dass es bald den ersten Luxemburger Astronauten gibt, oder?
Man muss bedenken, dass ein Astronaut sehr viel Geld kostet. Für die Sichtbarkeit ist das wichtig. In anderen Ländern können Astronauten junge Menschen inspirieren und motivieren. Hätten wir einen Luxemburger Astronauten, hätte das sicher einen großen Einfluss. Wir können uns das aber nicht leisten und haben uns andere Prioritäten gegeben. Auch der Bereich Weltraum-Ressourcen inspiriert, weil wir etwas völlig Neues machen und es noch viel zu entdecken gibt. Aber ein Astronaut … man kann nicht alles machen.
Space-Ressourcen als Inspirationsquelle? War das schon immer geplant, oder ist das ein Nebeneffekt?
Wir wollten von Anfang an den Leuten beibringen, dass hier eine Chance liegt. Wir haben einerseits Botschaften benutzt, bei denen Inspiration mitklingt. Andererseits haben wir Studien angefertigt, um das Thema weiterzutreiben, um es besser zu verstehen und um uns zu positionieren. Es ist wichtig, jungen Leuten eine neue Perspektive zu geben. Die junge Generation sucht nach etwas, das Auswirkungen hat. Space-Ressourcen sind praktisch eine Revolution im Weltall. Es ist eine komplett neue Art des Denkens. Heute denken wir, wir entwickeln alles auf der Erde, packen es in eine Rakete, schießen es hoch und benutzen es dort. Dass wir Ressourcen, die wir auf dem Mond oder dem Mars finden, benutzen, um etwas zu bauen oder um Treibstoff und Energie herzustellen, ist ein Paradigmenwechsel bei der Planung von Weltraummissionen. Es ist nicht nur ein technisches Problem. Es ist eine komplett neue Art zu denken und dadurch inspirierend. Das wird einen großen Einfluss darauf haben, wie wir im Weltall funktionieren, weil es Dinge ermöglicht, die heute unmöglich oder sehr schwierig sind. Es ist komplett undenkbar, dass wir unsere Aktivitäten auf dem Mars aufbauen und mit Astronauten dorthin gehen, ohne die Ressourcen vor Ort zu benutzen. Das geschieht nicht, solange wir nicht lokale Ressourcen benutzen können. In einem ersten Schritt wird das auf dem Mond beginnen. Die Amerikaner wollen bis 2024 wieder zurück auf den Mond und dabei ist der Bereich Ressourcen extrem wichtig. Auf dem Mond werden die ersten Versuche gemacht werden, um lokale Ressourcen zu nutzen.
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