Serie / Luxemburgische Komponistinnen im Mittelpunkt: Tatsiana Zelianko
Spotlight auf Musikerinnen aus Luxemburg: Das Tageblatt präsentiert in Zusammenarbeit mit „Musik und Gender in Luxemburg“ jeden Monat nationale Komponistinnen. Das neueste Porträt der neunteiligen Serie ist Tatsiana Zelianko gewidmet: Die feministische Komponistin aus Belarus hat Hürden überwunden und sich in Luxemburg etabliert.
Tatsiana Zelianko wurde am 30. Oktober 1980 in Brest, Belarus, als erstes Kind eines sowjetischen Offiziers und Militärflugingenieurs und einer Grundschullehrerin geboren. Ihre Familie hat väterlicherseits polnische und ukrainische und mütterlicherseits russische Wurzeln. 2007 lernte sie in Brest einen Luxemburger kennen. Ein Jahr später verließ sie Belarus und ihre damalige Arbeitsstelle als Konzertpianistin an der Philharmonie in Brest und übersiedelte nach Luxemburg, um zu heiraten.
Startschwierigkeiten
Die erste Zeit war schwierig, da die Musikerin hierzulande völlig unbekannt war und keine Arbeit fand. Aber ihr Wunsch, ihr Kompositionsstudium wieder aufzunehmen, erfüllte sich: Am Luxemburger Konservatorium studierte sie fünf Jahre lang Komposition, Analyse und Kontrapunkt, zuerst bei Alexander Müllenbach, später bei Claude Lenners. Sie schätzt es, dass sie im Studium zwei unterschiedliche Ansatzpunkte kennenlernen konnte: „Bei Alexander Müllenbach […] hatte ich viel kreative Freiheit, über Musik spricht er wie über Malerei. Claude Lenners’ Ansatzpunkt ist zerebraler, analytischer. Bei ihm habe ich gelernt, […] eine Komposition, wenn möglich, jeweils nur aus einer einzigen Zelle heraus zu entwickeln. Beide haben sich außerdem für meine Musik eingesetzt.“ 2013 erhielt sie ihren ersten Kompositionsauftrag, vom Festival „rainy days“ der Philharmonie Luxembourg, dem bald weitere folgen sollten.
Die biografischen Informationen stammen aus Interviews und langjährigem Austausch mit der Komponistin. Inwiefern biografisches Erleben musikalisches Schaffen beeinflusst, ist nicht immer klar und wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Die musikalische Prägung im Studium und der Austausch mit anderen bieten sicher nicht den einzigen Schlüssel zum Werk, sie erlauben es aber, den musikalischen Werdegang besser zu verstehen. Auch feministischen Einflüssen können hier nachgespürt werden.
Feministische Einflüsse
Als Tatsiana Zelianko sechs Jahre alt war, verlegte die Familie ihren Wohnsitz in die Garnisonsstadt Chtchoutchyn, die im Kalten Krieg ein bedeutender Luftwaffenstützpunkt war. Dort begann für Tatsiana der eigentliche Musikunterricht in Klavier und Solfège. Die Jahre zwischen 1989 und 1992 waren für sie eine schwierige Zeit. Die Mutter, nun alleinerziehend mit zwei Kindern, verlor durch die Wirren nach der Perestroika und die wirtschaftliche Rezession ihren Job und übersiedelte 1991 mit ihren beiden Kindern zuerst nach Brest und ein Jahr später nach Grodno, an der polnischen und litauischen Grenze.
In der Musikschule in Grodno war es ihre Klavierlehrerin Raissa Albertovna Goloubeva, die ihre Leidenschaft zum Musizieren und intensiven Musikhören entfachte. Nach dem Abschluss einer neunjährigen allgemeinen Schulbildung schrieb sie sich in das Musiklyzeum in Grodno ein, in dem ausschließlich musikalische Fächer unterrichtet wurden. Neben praktischen Fächern wurden auch Musikgeschichte und -philosophie angeboten. Unterrichtet wurde der sozialistische Realismus; die westeuropäische Musik wurde bis zu Schönberg, Webern, Strawinsky und Hindemith rezipiert, neuere Strömungen aber völlig ausgeklammert. Ein Schwerpunkt lag auf der Musik sowjetischer Komponisten, vor allem also Männern, mit einer Ausnahme: der Musik von Sofia Gubaidulina.
2000 zog Zelianko nach Minsk, die Hauptstadt von Belarus, und studierte dort an der Musikakademie, im Hauptfach Klavier in der Klasse von Sergeï Mikoulik. Eine intensive Freundschaft verband sie mit ihrer Mitstudentin Yuliya Zakharava, die Komposition bei Halina Harelava studierte und heute in Kanada wirkt. Zakharava interessierte sich, wie ihre Kompositionslehrerin, für die Geschichte und das Wirken historischer und zeitgenössischer Komponistinnen und setzte sich für Gleichberechtigung ein. Tatsiana Zelianko führte intensive Gespräche mit ihr nicht nur über dieses Thema, sondern auch über die kreativen Prozesse beim Schreiben von Musik. Dieser Austausch erweckte bei ihr das Bedürfnis, selbst zu komponieren. Die Freundin vermittelte ihr den Kontakt zum Kompositionslehrer Wladimir Koroltschuk, bei dem sie zwei Jahre lang im Wahlfach Komposition studierte. Aber auch hier wirkte der sozialistische Realismus nach und bestimmte die Stilrichtung, in der komponiert werden sollte.
Zu ihrem Abschlussexamen 2005 im Konzertfach Klavier spielte sie unter anderem ein eigenes Werk und wurde von der Jury ermutigt, das Studium der Komposition weiterzuführen. Dazu kam es aber vorerst nicht: Mit einem Konzertdiplom mit der Höchstnote 5 in der Tasche, fand sie eine Anstellung als Pianistin und Solistin des Kammerorchesters in der Philharmonie von Brest. Mit fünf Konzerten mit je eigenem Repertoire pro Woche blieb ihr keine Zeit mehr für das Komponieren.
Sexismus in Luxemburg
Rückblickend und aus der Perspektive von Luxemburg aus betrachtet, stellt Zelianko fest, dass die Frauen in ihrem Heimatland gleichberechtigter waren als in Luxemburg und in fast allen Bereichen auch als gleichwertig galten, dies aber mit der Ausnahme des kreativen Bereichs. Komponistinnen wurden während ihres Studiums in Belarus nicht so stark ignoriert wie im Westen, dennoch blieben sie mit ein paar Ausnahmen im Schatten der Männer. Auch während der fünf Jahre ihres Studiums in Luxemburg wurde nie ein Werk einer Komponistin analysiert. Als Studentin und Komponistin wurde sie zwar stets ernst genommen und nicht diskriminiert, aber das kontinuierliche Verschweigen kreativer Leistungen von Frauen empfindet sie als Sexismus schlechthin. Komponistinnen sind für sie als Vorreiterinnen und als Inspiration wichtig. Namentlich nennt sie Olga Neuwirth, Anna S. Thorvaldsdottir und vor allem Kaija Saariaho.
Projekte, die einen Fokus auf die Musik von Frauen legen, empfindet sie nicht, wie einige ihrer Kolleginnen, als ghettoisierend. Vielmehr freut sie sich über die Kompositionsaufträge, die sie kurz nach Abschluss ihres Kompositionsstudiums – in den Jahren 2014 und 2019 – vom CID – Fraen an Gender erhielt und über die internationalen Kontakte, die in diesen Jahren über diese Organisation geknüpft wurden. So wurden Zeliankos Werke beispielsweise 2015 und 2018 im Festival Musiciennes à Ouessant gespielt. Hier entstanden auch die Filme „Courants d’airs“ und „Itinérances“, von Anne Schiltz, in denen sie einen Einblick gibt in die kreative Zusammenarbeit von Komponistinnen und Interpret:innen.
Kein Wunder, wenn sie sich dem Thema Gender immer wieder auch beim Komponieren, in einzelnen Werken, zuwendet. Zurzeit arbeitet sie zum Beispiel an einer „feministischen Operette“ und an einem neuen Opernprojekt, in dem es um das Thema Frauen und Macht geht. Tatsiana Zelianko gehört mittlerweile zu den in Luxemburg gefragten Komponist:innen, die offizielle Aufträge bekommen und auch vom Ausland immer wieder für Konzerte, Residenzen und Workshops eingeladen werden. Neben dem Komponieren ist sie als Klavierpädagogin tätig. Musik zu vermitteln, ist für sie „eine Leidenschaft“.
Über die Autorin
Danielle Roster ist Musikwissenschaftlerin, -autorin und -redakteurin und arbeitet als Forscherin an der Universität Luxemburg, wo sie zusammen mit Sonja Kmec und Anne Schiltz das Projekt MuGi.lu betreut.
Über MuGi.lu
MuGi.lu (Musik und Gender in Luxemburg) ist ein Projekt der Universität Luxemburg. MuGi.lu erforscht, sammelt und vermittelt Wissen über Musikschaffen mit besonderem Fokus auf Geschlechterverhältnisse und umfasst mittlerweile sieben digitale Portale. Ein neues achtes Portal zu Tatsiana Zelianko wird am 1. Dezember im Salon de Helen Buchholtz vorgestellt (www.lesalondehelenbuchholtz.lu) und geht ab diesem Tag online auf www.mugi.lu. Neben einem biografischen Text und Auszügen aus einem Interview enthält es Digitalisate von mehr als 90 Dokumenten: Musikaufnahmen, Fotos, Noten, Schriftstücken, Presseausschnitten, Radiosendungen, Doku-Videos, einer pädagogischen Mappe für die Grundschule und vieles mehr.
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