Gespräch / Luxemburgs EU-Kommissar Nicolas Schmit erklärt, warum er der neuen Kommission nicht angehört
Der luxemburgische EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit (LSAP) hätte als Spitzenkandidat der zweitstärksten Fraktion im EU-Parlament nach bisherigen Gepflogenheiten auf dem europäischen Parkett durchaus in der EU-Kommission verbleiben können. Die luxemburgische Regierung entschied anders. Wir sprachen mit ihm darüber und die Umstände, die dazu führten.
Tageblatt: Bedauern Sie, dass Ihre europäische Karriere bereits nach einer Legislaturperiode endet?
Nicolas Schmit: Es ist ganz klar, in dem Moment, in dem ich akzeptiert hatte, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei den Europawahlen zu werden, war ich auch bereit, noch einmal für fünf Jahre in der Kommission anzutreten. Das hat sich nun nicht konkretisiert. Ich kann es nicht einfach von der Hand weisen, dass es da doch ein kleines Bedauern gibt. Ich bin aber auch der Auffassung, dass es angesichts meines Alters reicht. Ich hatte keine großen Pläne, keine großen Erwartungen mehr. Ich hätte es getan, mit vollem Einsatz, das findet jetzt nicht statt. Das ist für mich jedoch kein großes Drama.
Sie haben es in Ihren Gesprächen mit dem luxemburgischen Premierminister Luc Frieden nicht geschafft, diesen zu überzeugen, Sie in der EU-Kommission zu belassen.
Das waren zum einen nur wenige Gespräche. Zum anderen wollte ich Luc Frieden nicht von meinen Qualitäten oder von der Logik überzeugen, mich in der Kommission zu belassen. Die Gespräche haben sich nie darum gedreht. Herr Frieden hat mir erklärt, dass er ein Koalitionsabkommen hat und die Parteien entscheiden. Meine Logik ist eine andere: Demnach ist ein Luxemburger Spitzenkandidat der zweitgrößten politischen Parteifamilie. In diesem Sinne müsste man als Luxemburger akzeptieren, über die Parteigrenzen hinweg, diesen Luxemburger in der Kommission zu belassen, natürlich mit der Auflage, dass ihm ein bedeutsames Portfolio zugeteilt wird. Dieses Argument hat Herrn Frieden offenbar nicht gereicht. Ich habe nachgeschaut: In den letzten 40 Jahren hatte die CSV den Kommissarposten während 30 Jahren inne. Es ist also nicht so, dass der CSV etwas vorenthalten wurde. Sie haben darauf bestanden, wieder einmal den Kommissar zu stellen, ich nehme das zur Kenntnis.
Das ist keine besonders europäische Einstellung. Doch auch das wundert mich eigentlich nicht von Herrn Frieden. Herr Frieden tut immer so, als sei er ein großer Europäer. Doch wenn ich Herrn Frieden mit anderen CSV-Premierministern vergleiche – sei es Pierre Werner, den ich gekannt habe, mit dem ich gearbeitet habe, oder Jean-Claude Juncker natürlich, oder Jacques Santer –, liegen Welten zwischen der europäischen Einstellung dieser drei CSV-Premierminister und der Einstellung von Herrn Frieden. Jean-Claude Juncker hätte sich nicht nach Budapest begeben, um sich dort mit jemandem zu zeigen – Herrn Orban –, der eigentlich die Europäische Union zerstören will. Das zeigt, dass Frieden eine total andere Einstellung hat. Daher kritisiere ich jene Europapolitik, die offenbar im Begriff ist, sich hier in Luxemburg zu etablieren. Und daher wundert es mich nicht, dass Herr Frieden mich nicht in dieser Kommission belassen wollte.
Jean-Claude Juncker hätte sich nicht nach Budapest begeben, um sich dort mit jemandem zu zeigen, der eigentlich die Europäische Union zerstören will
Kann es sein, dass auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Sie nicht mehr auf ihrer Liste führte? Immerhin hat sie auch einen Thierry Breton, den von Paris nominierten Kommissar, nicht mehr gewollt. Wollte sie keine starken Kommissare mehr um sich haben?
Ich werde jetzt nicht von mir behaupten, ich sei ein starker Kommissar, dieses Urteil überlasse ich anderen. Es gibt ja welche, die behaupten, ich hätte keine Bilanz vorzuweisen. Es ist ganz klar, dass ich viel mit Thierry Breton zusammengearbeitet habe, da zwischen Sozialem, Beschäftigung und Industrie enge Verbindungen bestehen. Zu einem bestimmten Moment wollte Frau von der Leyen einen politischen Freund belohnen, indem sie diesem einen gut dotierten Posten geben wollte, obwohl dessen Qualifikation dies nicht hergab. Da habe ich einen Brief mit unterzeichnet – das war praktisch während der Wahlkampagne –, dazu stehe ich auch …
Dabei ging es um den deutschen EVP-Politiker Markus Pieper …
Genau. Das kam nicht gut an und Frau von der Leyen hat mir das auch so zu verstehen gegeben. Hat das mitgespielt? Ja, wahrscheinlich. Es hat auch mitgespielt, dass in der nächsten Kommission das Soziale nicht unbedingt ganz oben auf der Agenda steht. Das erkennt man an den Formulierungen: Es geht keine Rede mehr von Beschäftigung, von sozialen Rechten, von Sozialpolitik, dass etwas für die Leute getan wird. Das bedeutet, so wie es im Wahlprogramm der EVP beschrieben wurde: Wir wollen das Wort „europäische Sozialpolitik“ nicht in den Mund nehmen. Denn einige Leute besonders in Deutschland – allerdings nicht alle; ich habe ganz gute Freunde bei der CDU, die nicht dieser Meinung sind – sagen, es gibt kein soziales Europa, das gehört zur Kompetenz der Nationalstaaten. Ich denke, da steht Frau von der Leyen unter dem Pantoffel jener, die ihr erlaubt haben, noch einmal anzutreten, hauptsächlich ihre deutschen, aber auch andere Freunde aus der EVP.
Das kam nicht gut an und Frau von der Leyen hat mir das auch so zu verstehen gegeben
Hat Ihre Partei der europäischen Sozialdemokraten sich bei den Verhandlungen über die Unterstützung der EU-Kommissionspräsidentin und ihrer Kommission nicht unter Wert verkauft?
Man könnte sich jetzt vorstellen, dass man hätte anders verhandeln können. Ich muss aber sagen, dass insbesondere der (deutsche, Anm.) Kanzler Olaf Scholz sich ganz konkret sowohl bei Luc Frieden als auch bei Frau von der Leyen eingesetzt hat. Ob die Verhandlungstaktik die richtige war, darüber kann man diskutieren.
Allgemein jedoch, wenn man die Zusammensetzung der neuen Kommission betrachtet: Etwa 15 Mitglieder gehören der EVP an und nur vier den Sozialdemokraten. Das reflektiert doch in keiner Weise das Kräfteverhältnis jener, die im EU-Parlament die Kommissionspräsidentin unterstützen?
Wir reden immer vom demokratischen Europa. Die Sozialisten und Sozialdemokraten haben bei den Wahlen mit mir als Spitzenkandidat etwas weniger als 20 Prozent errungen, die EVP kam auf etwa 25 Prozent. Hinzu kommt, dass die Sozialdemokraten fünf Vertreter im Europäischen Rat haben, also fünf Regierungschefs, nicht vier. Die Logik von Herrn Scholz bestand darin, zu sagen: Ich als deutscher sozialdemokratischer Kanzler nominiere eine EVP-Politikerin als Präsidentin, dann musst du, Luc Frieden, eigentlich den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten nennen. Das war ein europäisches Argument, um das Gleichgewicht in der Kommission auch nur ein bisschen zu verbessern. Da hat es jedoch nicht bei Herrn Frieden geklingelt, da er der Meinung ist, ein Koalitionsabkommen in Luxemburg gehe vor europäischen Regeln oder zumindest europäischen Abmachungen.
Hier gibt die EVP ein klares Signal an einen Teil der extremen Rechten, vor allem von Frau Meloni
Wie sehen Sie die Chancen des designierten italienischen Kommissars Raffaele Fitto? Vor den Wahlen wurde sich auf die Devise geeinigt: Keine Zusammenarbeit mit Rechtsaußen. Wird das jetzt durchgesetzt?
Ich habe einen Teil meiner Kampagne darauf basiert, zu sagen, es dürfe keine Koalition mit der extremen Rechten geben. Wenn man die Entwicklung in Italien mit Frau Meloni betrachtet, dann ist das keine gemäßigte konservative Politik, auch wenn sie sich in Europa eher kooperativ gibt. In Italien selbst aber geht es in eine Richtung, die nicht moderat konservativ ist, sondern ganz klar in eine Umfunktionierung des Staates hin zu einer rechtsextremen Politik. Warum hat Italien in der Person von Herrn Fitto einen Vizepräsidenten erhalten? Das war natürlich, um Frau Meloni zufriedenzustellen. Ich erinnere daran, dass mein Kollege (der derzeitige italienische Kommissar; Anm.) Paolo Gentiloni nicht Vizepräsident wurde, obwohl er ein früherer Premierminister in Italien war. Hier gibt die EVP ein klares Signal an einen Teil der extremen Rechten, vor allem von Frau Meloni, mit der die EVP übrigens in einer Koalition steht. Ich denke, da müssen die Sozialisten sehr gut überlegen, ob sie das einfach so unterstützen. Ich kenne Herrn Fitto, ich habe persönlich nichts gegen ihn. Er hat ein, auch finanziell, wichtiges Portfolio erhalten. Ich weiß auch, wie die Kohäsionspolitik in Italien umgesetzt wird. Mehr sage ich nicht dazu, dafür ist Herr Fitto nun verantwortlich. Ich hoffe, dass seine Resultate in Europa besser sein werden als in Italien.
Wie lange sind Sie noch im Amt, oder wird die neue Kommission am 1. November ihre Arbeit aufnehmen können?
Das weiß ich nicht. Das hängt von den Anhörungen (im EU-Parlament, Anm.) ab. Ich bin im Amt, so lange ich im Amt bin.
Bleiben Sie Europa mit einem anderen Engagement erhalten oder haben Sie andere Pläne?
Ich habe Pläne oder Ideen, die ich jedoch nicht öffentlich mache. Wenn man quasi sein ganzes berufliches Leben der europäischen Sache gewidmet hat und dann sieht, wie Europa in eine Krise hineinrutscht – wobei es nicht mehr darum geht, auf-, sondern abzubauen –, dann fühle ich mich natürlich ermutigt, mich weiter für das demokratische und soziale Europa zu engagieren. Ich denke da an Schengen, an die Grenzkontrollen, an die große europäische Errungenschaft des freien Personenverkehrs, die jetzt infrage gestellt wird. Nicht nur von den Deutschen. Doch die extreme Rechte jubiliert. Wo ich mich engagiere, das muss sich noch finden.
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