Kulturpolitik / Luxemburgs Filmindustrie weiß nicht wohin
Wirtschaftsfaktor, Kulturflaggschiff oder doch nur ein kränkelnder Traum, der mit einer großzügigen Steuergeldinfusion am Leben gehalten wird: „Was ist der Luxemburger Film?“ Die Frage, die Kulturminister Eric Thill in seiner Eröffnungsrede zu den „Assises sectorielles de la production audiovisuelle“ stellte, zog sich als Leitmotiv durch die Veranstaltung. Eine abschließende Antwort gab es natürlich nicht, dafür aber einige Annäherungen.
598 Angestellte zählt die Luxemburger Filmindustrie – ohne den Rattenschwanz an Kameraleuten, Technikern, Cutterinnen, Produzentinnen und natürlich Schauspielern, die freischaffend unterwegs sind. Und gefühlt alle diese Leute quetschten sich am Freitagmorgen in Düdelingen in den Kinosaal des CNA. Manch ein Produzent würde wohl vor Freude eine Träne vergießen, wenn seine Kinopremiere hierzulande auch nur halb so gut besucht wäre. Über mangelndes Interesse konnte sich das Kulturministerium, unter dessen Ägide der Filmfonds seit dem Regierungswechsel 2023 steht, auf jeden Fall nicht beschweren, auch wenn nicht mehr Xavier Bettel das Grußwort sprach, sondern sein jüngeres Ebenbild minus Schal, Eric Thill (alle DP – ja, auch der Schal).
Die „Assises sectorielles de la production audiovisuelle“ – keine Sorge, das Wortungetüm kommt fortan nicht mehr in diesem Artikel vor – sollten, sieben Jahre nach der letzten Veranstaltung, eine Art Bestandsaufnahme der Industrie darstellen. Spoiler: Das ist ihnen ganz gut gelungen. Nach einem durchaus beeindruckenden Trailer, der in raschen Schnitten durch die Luxemburger (Co-)Produktionen der vergangenen Jahre führte, gelang es dem Kulturminister in einer kurzweiligen Rede, die Errungenschaften der letzten Jahre von „Superjhemp retörns“ hin zu „Capitani“ zu skizzieren. Er kommentierte die jüngsten Luxemburger Erfolge im Ausland mit den Worten: „Auch das ist Nation Branding.“ Der Minister vergaß aber nicht, die Herausforderungen der Zukunft zu nennen: Inflation, Klimakrise und die Fragen nach grüner Filmproduktion, Virtual Reality und natürlich Künstlicher Intelligenz. Und er warf die zentrale Frage auf: „Was ist der Luxemburger Film?“
Die Industrie in Zahlen
Die erste Antwort auf diese Frage lieferte der Statistiker Phillppe Robin in Form von bunten Diagrammen: Der Luxemburger Film ist ein Wirtschaftsfaktor. 69 Millionen Euro haben die Betriebe der Filmindustrie 2022 umgesetzt, die direkte Wertschöpfung lag bei 53 Millionen Euro. Wohlgemerkt, das sind nur die Betriebe. Nimmt man die selbstständigen Kreativen und die abhängigen Dienstleister in die Rechnung auf, landet man bei 151 Millionen an neu geschaffenen Werten. Damit könnte man schon fast zwei Drittel eines James-Bond- Films produzieren. Scherz beiseite: Die Zahlen, die der kleine Sektor eines kleinen Landes produziert, können sich sehen lassen. 505 Langfilme, 214 Kurzfilme und 89 Serien wurden seit dem Jahr 2000 in Luxemburg (mit-)produziert. Robins Zahlen zeigen aber auch: An dem Filmfonds führt kaum mehr ein Weg vorbei. Vier von fünf Filmen erhielten 2023 einen Teil ihres Budgets aus seinen Kassen. 2016 war es erst jeder dritte Film.
Der Direktor des Filmfonds, Guy Daleiden (DP), versuchte sich dann an der nächsten Definition des Luxemburger Films – oder vielmehr an einer Begriffserweiterung: „Ein Film ist nicht nur luxemburgisch, wenn die „Roud Bréck“ darin vorkommt.“ Heißt übersetzt: Weg von der Folklore. Er ergänzte damit die Aussage der Regisseurin Eileen Byrne, die sich im Rahmen des Rundtischgesprächs mehr „luxemburgische Geschichten“ wünschte. Sie bemerkte: „Es gibt noch kein Bild von einer Luxemburger Filmindustrie.“ Eine Formsprache mit Wiedererkennungswert, wie sie die Dänen oder auch die Isländer haben – ist es das, was in Produktionen hierzulande noch fehlt?
Viele Wege führen nach…
Der erste runde Tisch morgens sollte der Orientierung dienen: Wo steht der Luxemburger Film in sechs Jahren? Welche Wege führen nach Rom – oder in diesem Fall eher nach Cannes, Venedig, Toronto, San Sebastian oder Berlin? Donato Rotunno, seines Zeichens Produzent bei Tarantula, wies jedoch nicht unberechtigt auf die Schwierigkeit des Horizontes hin: „Die Filme, die in sechs Jahren erscheinen, werden jetzt gerade produziert.“ Diese Feststellung kann stellvertretend für eine gewisse Unsicherheit gelten, die sich aus einer Orientierungslosigkeit des Sektors speist: Luxemburg hat sich inzwischen in der europäischen Filmlandschaft etabliert, als verlässlicher Geldgeber einerseits und als Land mit fähigen Filmcrews und Schauspielern andererseits. Das Plateau ist erklommen – aber wie geht es weiter? Was am Freitagmorgen klar wurde: Wer in jede Richtung Möglichkeiten erblicken kann, weiß manchmal nicht, welchen Weg er einschlagen soll.
Liegt Luxemburgs Zukunft in Produktionen der Virtual- und Augmented Reality, abgekürzt xR? Sollen die Kapazitäten der Animationscrews ausgebaut werden – immerhin geht in dem Bereich der Trend stärker zum Film, während die Geschichten mit realen Schauspielern zusehends serialisiert werden? Müssen die Luxemburger Produktionsfirmen verstärkt als Hauptproduzenten auftreten? Die Wege, die skizziert wurden, sind zahlreich – und allesamt unklar. Denn der größte Akteur der Industrie, der Filmfonds, kann natürlich keine offizielle Linie vorgeben. Und trotzdem sind alle Ideen, die geäußert werden, vom Wohlwollen der Institution abhängig, wenn sie in Luxemburg gedeihen wollen. Das haben die Assises wohl eher unfreiwillig sehr transparent gemacht. Wenn die Industrie leben will, muss sie sich alternative Finanzierungsquellen schaffen. Denn wenn alle Teil des Establishments sein wollen, dann fehlen die kreativen Impulse.
Was also ist der Luxemburger Film? Man kann zumindest sagen: Es ging ihm, von dem wir noch keinen genauen Begriff haben, selten so gut wie heute. Er ist weitestgehend satt und zufrieden, er hat die Qual der Wahl. Aber wir wissen nicht erst seit Kafka, dass die großen Geschichten aus Zwängen erwachsen. Einen hungernden Künstler fand man in Düdelingen am Freitag aber nicht – für Speis und Trank hatte das CNA gesorgt.
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