Adieu les grandes ondes / Luxemburgs französischsprachige Langwelle 234 kHz verabschiedet sich zum Jahreswechsel
Erneut geht eine Ära zu Ende: Nach der Abschaltung der Marnacher Mittelwelle Anfang 2016 wird zum 1. Januar 2023 nun auch dem Langwellensender in Beidweiler der Stecker gezogen. Ab dann gibt es aus Luxemburg keinen amplitudenmodulierten Rundfunk (AM) mehr.
Junglinster – der Name des Ortes auf halbem Weg nach Echternach ist für viele Luxemburger bis heute ein Inbegriff für Radio. Bereits im Jahr 1932 entsteht hier ein erster Langwellen-Rundfunksender mit 150 Kilowatt (kW) Leistung. Ab den 1950er Jahren ist das Erscheinungsbild der Gemeinde dann geprägt von zwei, später drei rot-weiß gestreiften, 250 Meter hohen Stahlpylonen, die RTL als Sendeantennen für sein französisches Radioprogramm dienen. Die Leistung wird etappenweise erhöht, ab 1968 wird mit über 1.000 kW gesendet. – Was viele heute nicht wissen: Schon seit den frühen Siebzigern sind die eleganten Masten, die wie ein Wahrzeichen über Junglinster thronen, nur noch Reserveantennen, ein riesiges technisches Freilichtmuseum sozusagen. Die Langwelle 234 kHz (1.281 m) wird nämlich seit 1972 von drei neuen, 290 Meter hohen abgespannten Stahlgittermasten im benachbarten Beidweiler abgestrahlt. Dabei handelt es sich um einen wahren Giganten mit einer Sendeleistung von bis zu 2.000 kW. Gemeinsam hat Beidweiler mit Junglinster die Anordnung, ergo Strahlungsrichtung: Die maximale Leistung „zielt“ nach Südwesten, auf Frankreich. Aktuell sind dies zwar „nur“ noch 750 kW, doch auch das reicht noch locker, um weite Teile Westeuropas abzudecken.
Die goldene Ära der Periphersender
Die Langwelle, auf niedrigen Frequenzen von 153 bis 279 kHz angesiedelt, war über viele Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Werkzeug des sogenannten Peripherierundfunks. Bereits früh gab es ein Interesse, mit privaten Radios die Hörerschaft Frankreichs zu erreichen und den dortigen (Werbe-)Markt zu erschließen. Da in Frankreich lange Zeit (bis 1981) nur staatlicher Rundfunk erlaubt war und Radio France das Monopol hatte, entstanden in unmittelbarer Nähe zu Frankreichs Außengrenzen mehrere leistungsstarke Periphersender, die nach und nach das Hexagon mit kommerziellen „radios généralistes“ zu versorgen begannen. Neben dem französischen Programm von RTL waren die bekanntesten Stationen dieses Typs Radio Monte Carlo, Sud Radio und Europe 1 (vom benachbarten Saarland aus), das ab 1955 ein Hauptkonkurrent von RTL auf dem privaten französischen Radiomarkt wurde. Beide betreiben bis heute ihre Studios in Paris. Legendär war die von Victor Vasarely gestaltete Fassade des historischen RTL-Funkhauses in der Pariser rue Bayard; heute kommen die Programme aus neuen Studios in Neuilly.
Das europäische Langwellenband, auf dem im Gegensatz zur Mittelwelle nur wenig „Platz“ ist (15 Kanäle in einem 9-kHz-Raster) war somit über viele Jahrzehnte fest in französischer bzw. frankofoner Hand; natürlich hatte hier neben den genannten Privatradios auch der staatliche Sender France Inter eine starke Frequenz, die 162 kHz, mit Standort Allouis im Zentrum Frankreichs.
Sinn für Nutzen alter Technik geht verloren
Die älteren Generationen, die noch mit allen Spielarten des analogen Radios vertraut waren, wissen, welchen „Wumms“ Langwellensender in jedem noch so kleinen Transistorradio entwickeln – ganz ohne Teleskopantenne. Und auch wenn diese Empfangsart nicht mehr heutigen Sound-Ansprüchen genügt: Sie diente zuverlässig als Träger von Nachrichten, Sport- und Unterhaltungssendungen über riesige kontinentale Gebiete. Das ist auch der Grund, weshalb nicht nur Arbeiter auf dem Bau, sondern auch Trucker, die „routiers“, überall auf Europas Straßen bis zuletzt gerne Sendungen über Langwelle gehört haben. Vorausgesetzt, sie hatten noch die entsprechenden Empfänger an Bord – denn in heutige Fahrzeuge mit ihren integrierten Multimedia-Systemen wird kaum noch Lang- oder Mittelwelle eingebaut. U.a. darauf fußt auch die Begründung der Abschaltung durch RTL France: „RTL était la dernière radio de France à continuer à émettre en grandes ondes alors que ce mode d’écoute est devenu marginal. Ce procédé mis au point au début du 20e siècle devient aujourd’hui obsolète car il est de moins en moins intégré dans les récepteurs.“ Ferner wird die aktuelle Energiekrise angeführt, die, so wörtlich, „des actions de sobriété énergétique“ nötig mache. In der Tat sind solche Großsender echte „Stromfresser“ und teuer im Unterhalt. Dank ihrer enormen Reichweite und technisch einfachen Nutzbarkeit haben sie sich dennoch über viele Jahrzehnte für die Betreiber rentiert.
Verwiesen wird jetzt auf andere, modernere Empfangswege, die eine bessere Klangqualität liefern können – sofern sie denn funktionieren! Denn die UKW-Versorgung (FM) mit RTL beschränkt sich im Flächenstaat Frankreich zumeist auf die Agglomerationen und der Ausbau des neuen terrestrischen Digitalstandards DAB+ ist in vielen Regionen, u.a. Lothringen (übrigens auch in Luxemburg), in Verzug. Hauptbenachteiligte sind die Radiohörer in dünn besiedelten ländlichen Gegenden mit schwieriger Empfangstopografie oder aber diejenigen, die ins entferntere Ausland reisen. Dort gibt es die heimischen Programme fast nur noch per Webstream, was insbesondere das mobile Radiohören komplizierter macht.
Was von allem übrig bleibt
Die Langwelle stirbt weiter ihren langsamen Tod. Was noch zu hören bleibt, sind Rumäniens Folklorewelle Antena Satelor (153 kHz), Frankreichs Leerträger aus Allouis (162 kHz/siehe Kasten), Marokkos Médi 1 (171 kHz), Großbritanniens BBC 4 (198 kHz), Polens Radio Jedynka (225 kHz) sowie Algeriens Chaîne 3 und RTÉ 1 aus Irland (beide 252 kHz). Den besten Empfang bieten die BBC und Algerien (besonders nachts). Auch für einige dieser Stationen tickt die Uhr unbarmherzig weiter – so soll die britische Langwelle z.B. nur noch so lange laufen, wie das Material ohne Ersatzteile seinen Dienst tut.
Auf die Frage des Tageblatt, was nun nach Stilllegung mit den Antennen des RTL-Langwellensenders geschehen soll, antwortet der Betreiber BCE: „Il n’est pour l’instant pas question de déconstruire ou abattre les pylônes, cela dépend vraiment des activités des sites.“ Und auch die Gemeinde Junglinster habe bislang keinen Antrag auf eine etwaige Sprengung der Beidweiler Antennen erhalten, wie sie uns sagte. Dass es manchmal schnell gehen kann, zeigt das Beispiel der Marnacher Mittelwelle Anfang 2016, als die Masten bereits nach wenigen Wochen „gefällt“ wurden. Zum Glück wird das historische Sendezentrum in Junglinster erhalten bleiben – die Anlage steht nämlich seit diesem Jahr auf der INPA-Liste des schützenswerten luxemburgischen Architekturerbes.
Der Luxemburg-Effekt
Ein besonderes Phänomen hat einst durch den luxemburgischen Langwellensender seinen Namen erhalten: der Luxemburg-Effekt. Wer diesen selbst mal erleben möchte, sollte dies jetzt, in den letzten Tagen der RTL-Langwelle, tun. Es braucht dafür ein Gerät, das noch über das Langwellenband (LW/GO) verfügt, z.B. ein etwas älteres Transistor- oder Autoradio. Damit zunächst RTL France aus Beidweiler wählen (234 kHz, mit Abstand stärkster Sender der Skala). Jetzt kommt die vorerwähnte französische Langwelle aus Allouis ins Spiel. Diese ist noch aktiv, sendet aber kein Programm mehr, sondern überträgt nur noch Atomuhr-gesteuerte, für uns nicht hörbare Zeitzeichen. Schaltet man sein Radio nun auf diese scheinbar leere Welle auf 162 kHz, kann man leise, aber gut erkennbar, das Programm von RTL vernehmen. Bei Dunkelheit geht es am besten, weil dann die Raumwelle mitwirkt. Dieses Phänomen wird in der Physik als ionosphärische Kreuzmodulation bezeichnet. Demnach kann ein starker Langwellensender A anderen Stationen, deren Sendegebiete sich mit A überlappen, sein Programm mit aufmodulieren. Entdeckt wurde der Effekt erstmals in den 1930er Jahren, als das Programm der damals neuen Luxemburger Langwelle im Hintergrund auf der Schweizer Mittelwelle Beromünster zu hören war.
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