Die Entscheidung naht / Luxemburgs Plan für die Anerkennung Palästinas: Xavier Bettel im Interview
Erkennt Luxemburg den Staat Palästina an? Xavier Bettel will bis Ende des Jahres Fakten schaffen. Im Interview erklärt der Außenminister auch seine Vision einer Reform der Vereinten Nationen.
145 Nationen haben den Staat Palästina inzwischen anerkannt. Und obwohl in Luxemburg seit mindestens einem Jahrzehnt darüber diskutiert wird – das Großherzogtum gehört noch immer nicht in dieser Reihe. Aber: Das könnte sich bald ändern. Im Interview erklärt Außenminister Xavier Bettel, dass er inzwischen auch die Möglichkeit eines Alleingangs analysiert.
Tageblatt: Was planen Sie hinsichtlich der Anerkennung Palästinas durch Luxemburg?
Xavier Bettel: Ich plane und probiere für Ende des Jahres etwas. Priorität hat, etwas Gemeinsames mit den Kollegen zu machen. Etwas Koordiniertes, das Wirkung hat. Mit den Ländern, die es noch nicht gemacht haben. Damit etwas passiert.
Welche anderen Länder meinen Sie?
Da sind die Benelux-Länder, Deutschland, Frankreich, Österreich. Die Hälfte der EU hat Palästina noch nicht anerkannt, ich glaube, es sind 48 Länder weltweit. Auch wenn Japan, Korea, Singapur oder Australien mitmachen würden, wäre das bestimmt etwas anders, als wenn Luxemburg es alleine machen würde.
Lesen Sie auch:
Russland, Zweistaatenlösung, UNO-Reform:
Außenminister Bettel holt bei der Generalversammlung zum Rundumschlag aus
Ich will bis Ende des Jahres eine Entscheidung treffen
Würde Luxemburg auch den Alleingang wagen?
Es kann nicht sein, dass Palästina in der Situation bleibt, in der es ist. Wenn wir nichts Gemeinsames finden, dann müssen wir unseren eigenen Weg gehen. Eine der Möglichkeiten, die ich im Moment analysiere, ist, dass wir diplomatische Vertretungen in Palästina und Israel gleichzeitig aufmachen. Was dann ipso facto auch eine Anerkennung Palästinas ist. Zwei Staaten, zwei Vertretungen. Ich will bis Ende des Jahres eine Entscheidung treffen, dann muss ich das auf den Weg setzen.
Im Oktober reisen Sie nach Israel. Was haben Sie dort vor, gerade vor diesem Hintergrund?
Ich werde den Parteien in Israel und Palästina sagen, was ich vorhabe. Wenn ich keine koordinierte Lösung habe, werde ich den luxemburgischen Weg ankündigen. Mein Wunsch wäre noch immer, etwas Koordiniertes, was eben auch eine Wirkung haben kann. Sonst müssen wir eben unsere Verantwortung übernehmen. Und das werde ich dann Ende des Jahres dem Regierungsrat vorschlagen.
Israel hat Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah am Freitag durch einen Luftangriff getötet. Was sagen Sie zu den aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten?
Mein erster Gedanke geht an die Menschen. Sie haben vielleicht einen Terroristen getötet, aber dass dann Kollateralschäden einfach ignoriert werden … Wir vergessen, dass da Leute sterben, die nichts damit zu tun haben. Und dass der Hass nur wachsen wird in nächster Zeit. Wenn man die Garantie gibt, dass mit dem Tod des Hisbollah-Chefs die Hisbollah verschwinden würde, dann würde ich unterschreiben. Aber es ist wie beim Tintenfisch: Ein Arm ist weg, der nächste kommt nach. Es kommt ein neuer Hisbollah-Chef, irgendwann. Dann ist symbolisch etwas passiert, aber auf dem Feld vielleicht sogar mehr Öl ins Feuer gegossen worden.
Sie haben in der Generalversammlung eine Idee für eine UNO-Reform präsentiert. Wie soll ausgerechnet Luxemburg so etwas hinbekommen?
Es ist wichtig, dass erst mal Vorschläge auf den Tisch kommen. Jeder redet seit Jahren darüber, dass etwas passieren soll, aber es gibt nur wenige Vorschläge. Deshalb habe ich mir gesagt: Jetzt machen wir mal einen – den mit der Zweidrittelmehrheit im Sicherheitsrat und nachher in der Vollversammlung. Ich will einfach mal die Diskussion starten.
Warum sollte die UNO denn reformiert werden?
Wir haben ein Relikt des Zweiten Weltkrieges, in dem verschiedene Länder Garant des Friedens von damals sein sollten und die heute den Frieden torpedieren. Und dann einfach zu sagen, jetzt müssen wir noch Japan und Korea und Brasilien und die Türkei in den Sicherheitsrat bringen – ohne eine Reform des Vetorechts ist das doch Irrsinn. Dann machen sie es ja noch komplizierter.
Sind die Vereinten Nationen denn überhaupt noch handlungsfähig?
Nein, das, was es ist, ist eine Dialogplattform – aber keine Einsatzplattform. Man redet viel, aber wenig kommt konkret dabei raus, wie die internationale Gesetzgebung, die wir uns gegeben haben, eingehalten werden kann. Wir sehen, dass der Mechanismus trotzdem ziemlich fragil ist.
Es gab ja schon einige Reformversuche. Keiner hat bis jetzt gefruchtet.
Die fünf permanenten Mitglieder im Sicherheitsrat haben keine Lust, ihr Vetorecht aufzugeben. Wir haben uns immer Regeln gegeben, dass alles gut läuft. Es hätte ja keiner gedacht, dass wir fast wieder eine Kriegssituation hätten zwischen den ständigen Mitgliedern. Die ständigen Mitglieder sind die ständigen Mitglieder, weil sie die Garanten des Friedens waren. Und jetzt haben wir eine Situation, wo zwischen den ständigen Mitgliedern fast ein Krieg ist.
Wo steht die UNO, wenn sich nichts tut? Wird sie in Zukunft noch ernst genommen werden?
Man soll auch nicht die ganze humanitäre Hilfe vergessen, die über die UNO läuft. Ohne die UNO hätte man all das nicht – und dann würden die Menschen auch noch weltweit vor Hunger sterben. Das ist die Realität. Die UNO ist schon sehr wichtig. Aber als politisches Organ, um Garant der internationalen Gesetzgebung zu sein, – das ist ein bisschen schwer im Moment.
- Tornado oder nicht? Jetzt reagiert Meteolux - 2. November 2024.
- Deutschland weist 32 Menschen zurück – aber nur zwei kommen in Luxemburg an - 31. Oktober 2024.
- So bereitet die Polizei Luxemburger Schulen auf den Amok-Notfall vor - 26. Oktober 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos