Pandemiegeschehen / Luxemburgs Rennen zwischen Bettenbelegung, Maßnahmen und Impfungen
Trotz langsam steigender Infektionszahlen sind die Luxemburger Intensivstationen von einer Überlastung weit entfernt – noch. Ob der Vorsprung reicht, bis die Risikogruppen geimpft sind, ist noch unklar. Forscher von Research Luxembourg gehen davon aus, dass die täglichen Fallzahlen noch bis Mai weiter wachsen.
Quo vadis, Luxemburg? Seit Mitte Januar steigen die Infektionszahlen im Land. Nicht rasant. Aber mehr oder weniger stetig. Nach der zweiten Welle Ende des vergangenen Jahres erreichte die Sieben-Tage-Inzidenz am 18. Januar einen Tiefpunkt – mit einem Wert von 126. Seitdem geht es aufwärts. Der vorläufige Höhepunkt: eine Sieben-Tage-Inzidenz von 278 am 29. März. Ab einem Wert von 200 denkt das deutsche RKI darüber nach, Länder als „Hochrisikogebiet“ einzustufen. Das letzte Mal, als die Inzidenz unter dieser Marke lag, war am 13. März – am Dienstag stand sie bei 219.
Der Aufzug fährt langsam – aber er fährt. Die Wissenschaftler der Forschergruppe Research Luxembourg beschrieben die Situation in ihrem Bericht vom vergangenen Freitag so: „Die Entwicklung zeigt noch immer einen wachsenden Trend bei der Dynamik der Epidemie. Aber sie hat sich im Vergleich zur vergangenen Woche etwas stabilisiert.“ Die derzeitige epidemische Situation sei – wie seit Wochen – in einem „flüchtigen“ Zustand.
Es ist ein Rennen zwischen der Bettenbelegung auf den Intensivstationen, Maßnahmen und Impfungen. „Wir haben weniger als 25 Prozent Belegung auf den Intensivstationen“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) vor zwei Wochen, als er die Öffnung der Terrassen in Luxemburg verkündete. „Man muss den Menschen sagen können, weshalb man eine strenge Maßnahme verhängt: Wenn die Situation in den Krankenhäusern total außer Kontrolle gerät.“ Und das sei nicht der Fall.
Zeigen die Impfungen bereits einen Effekt? Sind höhere Infektionswerte möglich – ohne, dass die Krankenhäuser davon überrollt werden? Gibt es Entwarnung? Laut den Forschern von Research Luxembourg ist der Peak der derzeitigen Dynamik noch nicht erreicht. In ihrer Prognose für die kommenden Wochen gehen sie von einem Maximum beim Sieben-Tage-Schnitt von 370 im Mai aus. In den vergangenen zwei Wochen schwankte dieser Durchschnittswert zwischen 195 und 248.
„Die Frage ist, was das Ziel ist“, sagt der Statistiker Alexander Skupin von Research Luxembourg. „Wenn wir uns als Bevölkerung weiter so verhalten wie momentan, dann würde man davon ausgehen, dass es nicht zu einem Supergau kommen wird.“ Die Prämisse laute, dass es keine großen Steigerungen bei den sozialen Interaktionen geben dürfe. Dann – und nur dann – sei der relativ niedrige Peak von 300 bis 400 Fällen im Mai möglich.
Die Situation in den Kliniken sei jedoch eine andere Frage. „Steigende Zahlen mit den neuen Varianten bedeuten mehr Fälle in den Krankenhäusern mit schweren Verläufen“, sagt Skupin. Und genau hier kommen auch die Vakzine ins Spiel. „Es ist ein Wettlauf mit den Impfungen“, sagt Skupin. Je mehr die gefährdeten Bevölkerungsgruppen geimpft seien, desto weniger schwere Fälle. „Momentan sind wir noch nicht ganz so weit.“ Man müsse davon ausgehen, dass die Zahlen in den Krankenhäusern weiter steigen werden.
Da die Datenlage über den Wirkungsgrad der Mittel von Biontech, AstraZeneca und Moderna noch nicht „wasserdicht“ sei, haben Skupin und seine Kollegen einen möglichen Effekt der Impfungen auf das Infektionsgeschehen in Luxemburg noch nicht in ihre Projektionen einberechnet. Sie stellten – was den Impfeffekt betrifft – den Worst Case dar. Die Forscher untersuchten derzeit in verschiedenen Szenarien, wie ein positiver Effekt aussehen könnte. „Aber es ist nicht so, dass wir damit jetzt in sinkende Zahlen kommen können“, sagt Skupin. „Momentan muss man davon ausgehen, dass es zu dem Peak im Mai kommt – und je nachdem, wie schnell wir die Vulnerablen geimpft bekommen, wird sich dieser Peak weniger stark in den Krankenhäusern widerspiegeln.“
Was geschah an Ostern?
Die Luxemburger Regierung veröffentlicht an Sonntagen keine Daten zum Pandemiegeschehen am Vortag mehr – und zwar derzeit auch nicht nachträglich in dem folgenden Tagesreport. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums, dass sich die Daten aber in den interaktiven Grafiken zur Pandemie auf der Website der Regierung finden lassen.
Wir haben die Daten für unsere Leser extrahiert. Demnach wurden am Samstag, 3. April, 204 Neuinfektionen bei 13.147 Tests entdeckt. Es gab drei Tote.
Auch das Frühlingswetter darf nicht über die Gefahr hinwegtäuschen. „Es hängt davon ab, was die Menschen beim guten Wetter machen“, sagt Skupin. „Wenn sie sich draußen treffen und trotzdem Masken tragen, ist das toll.“ Aber wenn sie sich nicht daran halten und größere Versammlungen machten, könnten die höheren Temperaturen auch einen negativen Effekt haben.
„Potenzial für Bewegung“
Die Terrassenöffnung biete „Potenzial für Bewegung“, meint Skupin. „Aber auf der anderen Seite ist das eine Möglichkeit, sich in einem kontrollierten Rahmen an die Maßnahmen zu halten.“ Das sei besser als private Gartenpartys oder Treffen auf der Luxemburger „Kinnekswiss“.
„Wenn wir uns alle an die Maßnahmen halten würden, dann würden wir nicht diese Infektionszahlen haben“, sagt Skupin. Das solle keine Generalbeschwerde sein. „Aber wenn wir uns alle zurückhalten würden, alle, wenn es angebracht ist, eine Maske tragen würden, dann würden wir es trotz der ansteckenderen Varianten trotzdem schaffen, die Fallzahlen nach unten drücken zu können.“ Auf der anderen Seite muss der Forscher die Menschen aber auch loben. Noch im Januar hielten er und seine Kollegen wegen der britischen Variante B.1.1.7 Peaks von 700 bis 1.400 Neuinfektionen im Sieben-Tage-Schnitt für möglich. Dass die Forscher diese Kurve nach unten korrigieren konnten, sei nicht nur dem Umstand zu verdanken, dass das Ansteckungspotential der Varianten geringer ist als vermutet. Sondern auch, dass sich die Bevölkerung mehr an die Maßnahmen gehalten habe.
Kläranlagen-Forscher verzeichnen „kontinuierlichen Anstieg“ der Virenlast
Die Menge an Coronavirus-RNA im Luxemburger Abwasser zeigt einen Trend, der „kontinuierlich ansteigt“ – das schreiben die Forscher des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) in ihrem neuesten „Coronastep“-Report. Die Wissenschaftler untersuchten für ihren Bericht Proben, die in der vergangenen Woche in den Luxemburger Kläranlagen entnommen wurden. Aufs ganze Land heruntergebrochen zeige sich zwar eine „hohe Prävalenz“, diese bewege sich aber im gleichen Rahmen wie schon in den drei Wochen zuvor.
Nichtsdestotrotz seien an den Kläranlagen in Hesperingen, Bettemburg, Petingen, Mersch, Grevenmacher, Echternach und Bleesbrück „signifikante Anstiege“ beobachtet worden. Tatsächlich bewegt sich die Menge an Viren-RNA, die die Forscher im Klärwerk in Petingen feststellten, fast auf dem Niveau der zweiten Welle im vergangenen November.
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Einem Journalisten könnte es in den Sinn kommen zu fragen wieso von all den Millionen nicht ein einziges Intensivbett weiter finanziert wurde seit Anfang der Pandemie, wo doch alle Maßnahmen darauf abzielen das Gesundheitssystem nicht zu überfordern?
@Tom, einem Leser sollte bei dieser Kritik auch in de Sinn kommen, wo denn so schnell das nötige Personal herkommen soll, das für zusätzliche Betten erforderlich ist. Und das ist nur ein Kratzen an der Oberfläche. Das Problem ist viel tiefschichtiger, als viele annehmen. Der Fehler liegt in der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahrzehnte und es wird auch Jahrzehnte dauern, dies wieder zu beheben.