Theater / Manchmal bist du der Vogel, manchmal die Windschutzscheibe: „Daydreams“ im Kasemattentheater
Nach „Y/Z“, einem Stück über Generationskonflikte und die Perspektivlosigkeit junger Menschen, adaptiert Sara Goerres William Mastrosimones „Daydreams“ in einer Inszenierung, die trotz spannender Ansätze manchmal genauso ziellos wie ihre Figuren wirkt.
„Dreamers/They never learn/Beyond the point/Of no return/And it’s too late/The damage is done“, singt Radiohead-Sänger Thom Yorke im minimalistischen „Daydreaming“, der Leadsingle des bis dato letzten Radiohead-Albums „A Moon Shaped Pool“ – und umschreibt damit recht gut sowohl die Handlung als auch die Figuren von William Mastrosimones „Tagträumer“: Rose (Laura Trierweiler) lebt zurückgezogen in einer abgewrackten, quasi unmöblierten Bude, in der sogar der Kaktus eingegangen ist – bevor sie sich das Leben nahm, hatte die vorherige Mieterin die Fenster mit Brettern zugenagelt, ein skrupelloser Vermieter weigert sich, diese wieder zu entfernen – die sich hinter den Brettern verbergende Sicht auf einen Luftschacht wäre die Mühe eh kaum wert, meint Rose.
Als die etwas schüchterne Lidl-Verkäuferin den durchgeknallten Lastwagenfahrer Cliff (Nicoles Lech) kennenlernt, beginnt eine komplizierte Beziehung, in deren Verlauf beide Figuren versuchen, ihre unterschiedlichen Lebensansichten im gemeinsamen Dialog zu verschmelzen: Sie hat eine verklärte, von US-amerikanischen Filmen geprägte Auffassung seines Trucker-Alltags, er meint, so wahnsinnig spannend sei dieser Job zwischen „Spiegeleiern wie entzündeten Ochsenaugen (mit ’ner Beilage Salmonellen)“ und „Anhaltern“, von denen „jeder zweite ein Charles Manson oder sonst ein Irrer“ sei, ganz und gar nicht.
Er hat einen morbiden Sinn für Humor, mit dem er sich vor den Irrungen und Wirrungen seines Alltags schützt – „manchmal bist du der Vogel und manchmal eben die Windschutzscheibe“, kommentiert er trocken –, sie kommt nicht über eine ebenso absurde wie gewalttätige Steinigung von Kranichen in einem Zoo hinweg. Er zeigt sich eifersüchtig, besitzergreifend, sie will sich nicht binden und gibt sich enigmatisch, zurückweisend.
Allein schon semantisch ergibt die Idee, ein Theaterstück über einen Lkw-Fahrer als Werkstattinszenierung auf die Bühne zu bringen, durchaus Sinn, zumal die vielen nahezu lyrischen Monologe des Textes so auch formal reflektiert werden. Für ihre Inszenierung hat Sara Goerres den Originaltext gestrafft, seine Struktur aufgelöst, einzelne Szenen oder Dialogfragmente aus ihrem Kontext und ihrer Chronologie entfernt und wie Puzzlestücke wieder zusammengefügt, um dem Stück einen traumhafteren Charakter zu verleihen.
Lkws, tote Kraniche und miese Witze
Zu Beginn wirken Text und Inszenierung bewusst zusammenhanglos, wie Echos aus Traumfetzen reden die Figuren aneinander vorbei, meditieren über tote Vögel und das Leben, Rose dreht Kreise mit einem Einrad, schrammelt ein paar Akkorde auf einer akustischen Gitarre, tanzt, Cliff singt, macht miese Witze, kriegt urplötzlich Lach- oder existenziell anmutende Schreianfälle: „Daydreams“ steht ganz deutlich zum Werkstattcharakter seiner Inszenierung – nur weiß man nicht immer so recht, woran hier herumgewerkelt bzw. was hier genau repariert werden soll, will Goerres doch ihre beiden Figuren in ihrer ganzen Kaputtheit darstellen.
In der ersten Hälfte des Stückes experimentiert Regisseurin Sara Goerres mit den verschiedensten Regieeinfällen herum, ihre Umsetzung ist jedoch oftmals etwas zerfahren: Es wirkt ein wenig, als wolle sie an allmöglichen Hebeln und Knöpfen schrauben, um zu schauen, wie sich die Ideen auf der Bühne verwirklichen – oder als wolle sie den Schauspieler*innen eine Spielwiese für ihre diversen musikalischen oder akrobatischen Talente zur Verfügung stellen, ohne dass das Resultat dabei schlüssig oder kohärent wäre. Wo man bei „Y/Z“, Sara Goerres’ erster Regiearbeit am Kasemattentheater über Generationskonflikte und den mehr als angeschlagenen Planeten, den die Babyboomer der heutigen Generation überlassen, Engagement und Wut hinter dem Projekt spürte, fehlt es „Daydreams“ an einem Sinn der Dringlichkeit – was durch das minimalistische, etwas einfallslose Bühnenbild mitsamt Mapping noch bekräftigt wird.
In ihrer poetisch anmutenden Inszenierung, in der die verschiedenen Sequenzen wie lose Handlungsfäden wirken, vermisst man zudem ein wenig die politische, soziologische Komponente: Gerade am Kasemattentheater, das sich als sozialistisches Theater sieht und oftmals dem Bildungsauftrag, die Zuschauer*innen über neoliberale Schweinereien aufzuklären, nachgeht (siehe die rezente Produktion „Gipfelstürmer“), hätte man sich bei einem Stück über Randexistenzen einen schärferen Fokus auf deren soziale Situation erwartet.
Wenn Cliff über seinen Alltag zwischen unfairen Verkehrsinspektoren und unmöglichen Arbeitsbedingungen und Rose über die depressive Nachbarin, skrupellose Vermieter und gewalttätige Jugendliche reden, kommt all dies zum Vorschein, verblasst aber zu sehr in den skizzierten, verträumten Szenen und dem fragmentarischen Charakter der Inszenierung. Dass man Traumwelten auch in eine scharfe Kritik politischer Gegebenheiten einbetten kann, zeigt Alejandro González Iñárritus diese Woche im Kino angelaufener „Bardo, falsa crónica de unas cuantas verdades“.
Dies ist umso bedauerlicher, da das Stück in seiner zweiten Hälfte durchaus überzeugt: Hier weichen die postdramatischen Spielereien einer viel präziseren Charakterzeichnung, die Inszenierung verlässt sich verstärkt auf das Zusammenspiel von Lech und Trierweiler, die irgendwann eine ganz eigene Dynamik entwickeln. Da ergibt dann auch der erneute Zerfall ins Traumhafte gegen Ende durchaus Sinn.
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