Esch / Mandy Ragni über Frauen in der Politik und wie schwer es ist, loszulassen
Im September ist Mandy Ragni („déi gréng“) von ihrem Schöffenposten zurückgetreten. Die Ressorts Soziales, Schule und Chancengleichheit übernimmt in den kommenden drei Jahren Christian Weis (CSV). Der gesplittete Posten war im Koalitionsabkommen vorgesehen. Dass jetzt keine Frau mehr im Escher Schöffenrat sitzt, findet Mandy Ragni gar nicht gut. Und auch wenn sie vor drei Jahren als politischer Neuling ins kalte Wasser geschmissen wurde, macht sie kein Geheimnis daraus, dass es ihr jetzt schwerfällt, loszulassen.
Tageblatt: Als Sie vor drei Jahren in Ihr Büro eingezogen sind, waren die Wände von Ihrem Vorgänger Dan Codello gelb gestrichen. Welcher Wandfarbe ist Christian Weis bei seinem Einzug begegnet?
Mandy Ragni: Ich habe das Büro in einer ganz ruhigen Taupe-Farbe streichen lassen, weiße Vorhänge und pinke Stühle hereingebracht. Die werden jetzt wohl nicht mehr da sein (lacht). Ich hatte viele Pflanzen dort stehen, einen großen Engel, den die „Maison relais“ aus Naturholz gemacht hatte, mehrere Dinge, die meine Töchter gebastelt und gemalt haben, und ein Bild von „OsSOM Art“ zur Pride. Da war auch Pink drin. Ich wollte das Büro schon ein bisschen markieren. Auch wenn man nicht sagen soll, dass die Farbe nur für Frauen ist, aber es ist nun mal meine Lieblingsfarbe. Ich habe auch ausgeräuchert, bevor ich eingezogen bin, und regelmäßig mit einem Spray die Luft erfrischt. André Zwally meinte immer, dass es bei mir riecht wie im Wellness.
Sie hatten keinerlei politische Erfahrung, als Sie vor drei Jahren in den Schöffenrat gewählt wurden. Erinnern Sie sich an Ihre erste Gemeinderatssitzung?
Mein erstes Mal im Gemeinderat war schrecklich. Ich wusste noch nicht einmal, dass ich eine Rede halten muss. Niemand hatte mich darauf vorbereitet. Als Georges Mischo mich erwähnt hat, habe ich mich gefragt ob ich aus dem Saal laufen oder unter den Tisch kriechen soll.
Sie waren vor 2017 in keiner Partei. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie für „déi gréng“ in den Wahlen angetreten sind?
Daran kann ich mich nur allzu gut erinnern. Ich war auf einer Bürgerversammlung in Lallingen, dem Viertel, in dem ich wohne. Es ging um das damals neue Flüchtlingsheim in der ehemaligen Monnericher „Ediff“-Schule. Dort habe ich mich so aufgeregt, dass Martin Kox mich am darauffolgenden Tag kontaktierte. Er wollte mich so schnell wie möglich treffen. Weil wir in der „Maison relais“, in der ich gearbeitet habe, immer dienstags und donnerstags einen Jogginganzug trugen – wir gingen an den Tagen mit den Kindern turnen oder schwimmen –, bin ich nach der Arbeit im Jogginganzug zu dem Treffen im „Casablanca“ gegangen. Er hat mich dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit in die Wahlen zu gehen. Meine erste Reaktion war, dass ich keine Erfahrung habe und nicht weiß, wie das geht. Er meinte, ich solle mir nicht zu viele Gedanken machen. Falls ich gewählt würde, müsste ich zwar meine Arbeit kündigen, weil Gemeinderäte nicht für die Gemeinde arbeiten dürfen, aber die Wahrscheinlichkeit sei klein. Mein Mann war der Einzige, der damit gerechnet hat, dass ich gewählt werde.
Und er sollte recht behalten …
Für mich war es schwer, meine Arbeit zu verlassen. Ich habe zehn Jahre lang für die Escher Gemeinde gearbeitet und hatte in der „Maison relais“ ein tolles Team. Ich hatte selbst nicht damit gerechnet, gewählt zu werden. Meine Lebensphilosophie ist jedoch: „Was kommt, das kommt, und was geht, soll man gehen lassen.“ Das habe ich auch getan. Und ich fühle mich geehrt, meine Stadt, mit der ich mich zu 100 Prozent identifiziere, zu vertreten.
Sie sind also Escherin durch und durch?
Absolut. Ich wurde hier geboren und habe immer hier gelebt. In der rue de Belval hatte ich eine sehr schöne Kindheit. Der Onkel von meiner besten Freundin hatte Pferde auf Belval und wir sind ohne Sattel durch die Wiesen geritten. Das war Freiheit. Mein Vater war Italiener, meine Mutter ist Spanierin. Sie war Geschäftsfrau in Esch und hatte die „Bijouterie Millenium“ gegenüber vom Theater. Sie war immer in Kontakt mit den Menschen. Ich bin nie aus Esch herausgegangen, habe hier die Schule besucht und gearbeitet. Durch meinen Job als Erzieherin kenne ich viele Eltern und habe viele Kinder aufwachsen sehen.
Aus welcher Motivation heraus haben Sie Martin Kox’ Vorschlag, mit in die Wahlen zu gehen, angenommen?
Ich habe in meinem Beruf beobachtet, wie Eltern und Kinder immer gestresster werden. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig vom Alltagsstress umgeben sind. Das geht an den Kindern nicht spurlos vorbei. Die Eltern haben meist keine andere Wahl, als zu zweit zu arbeiten. Die Kinder sind den ganzen Tag abwechselnd in der Schule und der „Maison relais“, was für sie sehr anstrengend ist. Sie wechseln zwischen Lehrern und Erziehern und gleichzeitig zwischen verschiedenen Räumlichkeiten. Das bringt sie oft aus der Balance. Als Mensch, der Politik macht – ich mag das Wort Politikerin nicht –, wollte ich für das Wohlbefinden der Bürger da sein.
Sind Sie froh, die erste Hälfte der Mandatsperiode übernommen zu haben?
In den Koalitionsgesprächen gab es viele Diskussionen darüber, wer anfangen soll. Heute muss ich sagen, dass ich froh bin, dass ich angefangen habe. Ich konnte all diese Projekte in die Wege leiten, die sich gerade entwickeln und in den nächsten Jahren fertig werden.
Tut es Ihnen leid, diese Projekte jetzt loslassen zu müssen und keinen Einfluss mehr darauf zu haben?
Ja. Natürlich können die Projekte auf einmal einen anderen Dreh kriegen. Ich hoffe aber, dass alles so entsteht, wie es geplant ist. Die Projekte sind ja auch mit den Gemeindediensten zusammen entstanden. Dass ich all das in drei Jahren schaffen konnte und angekommen bin, liegt größtenteils an den Diensten, mit denen ich zusammengearbeitet habe.
Ist es so, dass Sie gerade angekommen sind und jetzt wieder gehen müssen?
Genau so ist es. Ich bleibe meiner Lebensphilosophie treu und werde kommen lassen, was kommt, und gehen lassen, was geht. Wir werden sehen, wie es nach den nächsten Wahlen aussieht. Ich weiß nicht, wie lange ich in einem anderen Beruf gebraucht hätte, um so viele Menschen, Vereine und Probleme kennenzulernen, überhaupt um so viel zu lernen: Wie funktioniert eine Gemeinde, ein Budget, wer ist wofür zuständig? Als ich am ersten Tag in die Gemeinde kam, wusste jeder, wer ich bin, ich aber nicht, wer sie sind. Ich habe dann immer gefragt, wer sie sind, wo ihr Büro ist und wie ich sie erreichen kann. Als ich meinen Posten jetzt wieder verlassen musste, ist es mir am schwersten gefallen, von einem auf den anderen Tag nicht mehr mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten.
Wie viel Zeit hat die Arbeit in der Gemeinde in Anspruch genommen?
Für den Schöffenposten war ich 20 Stunden freigestellt. In einer Stadt mit 36.000 Einwohnern reicht das mit Sicherheit nicht aus. Ich habe in der Woche weit über 40 Stunden als Schöffin gearbeitet. Ich habe aber auch zwei Kinder und manchmal musste ich klare Prioritäten setzen.
Hat Ihr Familienleben darunter gelitten?
Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich meine Kinder – inzwischen fünf und elf – mitnehme, wenn es nicht anders geht oder sie das wollen. Das war für mich oberste Priorität. Auch weil ich das Bild eines Politikers, der alleine im Anzug dort steht, brechen wollte. Ich wollte zeigen, dass ein Gewählter auch ein Mensch ist, eine Mutter mit Familie. Es hab sicher den einen oder anderen Abend, an dem die Kinder mich gefragt haben, ob ich wirklich noch einmal wegmuss. Sie haben aber auch sehr viel aus der Zeit mitgenommen, weil sie ebenso oft dabei waren. Sie haben mich ins Büro begleitet oder zu Versammlungen. Einmal hatte ich eine unglaublich wichtige Versammlung zum Thema „Fixerstuff“, bei der die Staatsanwaltschaft und die Polizei dabei waren. Emma ging es nicht so gut und ich konnte sie nicht zur „Crèche“ bringen. Also ging sie mit und hat gemalt – so war das dann eben.
Ich wollte das Bild eines Politikers, der alleine im Anzug dort steht, brechen und zeigen, dass ein Gewählter auch ein Mensch ist, eine Mutter mit FamilieGemeinderätin in Esch
Sie waren Chancengleichheitsschöffin. Jetzt, wo Sie zurückgetreten sind, ist keine Frau mehr im Schöffenrat.
Das ist nicht gut. Eine Frau bringt immer eine andere Sichtweise und ein anderes Feeling mit. Auch wenn es nicht immer einfach ist, sich in einer Männerwelt durchzuboxen. Da ist zum Beispiel das erste Selfie, das ich im Auto zur Vereidigung vom Schöffenrat gemacht hatte und das danach durch die Presse ging. Ich hatte das spontan gemacht und gepostet, während die Männer das schon etwas belächelt haben. Als sie gesehen haben, wie gut das Foto angekommen ist, wandelte sich das Belächeln in Anerkennung. Ich muss aber auch sagen, dass wir immer in großem Respekt zusammengearbeitet haben und ein tolles Team waren. Es ist schon komisch, dass es jetzt vorbei ist.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass nicht viele junge Frauen in die Politik gehen?
Es ist nicht immer einfach. Wenn man es richtig macht, nimmt ein politisches Mandat weit über 40 Stunden die Woche in Anspruch. Wenn man dann noch 20 Stunden in seinem Job arbeiten soll und sich um Haushalt und Kinder kümmern soll, ist das fast unvorstellbar. Ich denke, dass das sehr oft der Grund ist, dass junge Frauen sich weniger engagieren. Ohne meine Familie, die mich immer unterstützt hat, wäre das für mich nicht möglich gewesen. Mein Mann war mein Ein und Alles, er hat sich um den Haushalt gekümmert, wenn ich nicht da sein konnte. Er hat mich aber auch aufgefangen, wenn es mir nicht gut ging. Man braucht eine starke Familie hinter sich, wenn man so etwas angehen will.
Welches Projekt bereitet Ihnen am meisten Stolz?
Eindeutig das „Abrisud“. Weil es seit gefühlten 100 Jahren ein Thema war und jetzt endlich abgeschlossen ist. Es war ein Dossier, das mir schwer auf den Schultern lag. Es war auch das wohl größte Dossier, an dem ich gearbeitet habe. Das ganze Thema wurde ja auch politisch hochgeschaukelt. Die Menschen hätten so oder so aus dem Lokal ausziehen müssen. Ich denke, dass es für sie eine Chance war, als die Gemeinde das Gebäude gekauft hat unter der Bedingung, dass diejenigen, die noch drin wohnen, untergebracht werden müssen. Sie wurden auch alle untergebracht – zum Teil besser, als das vorher der Fall war. Jeder Einzelne hat meine private Nummer und meine E-Mail-Adresse und ich habe jedoch von niemandem mehr etwas gehört.
War es das emotionalste Dossier?
Es hat mich am meisten getroffen. Es war heftig für mich, dass mir, die aus einem sozialen Beruf kommt, vorgeworfen wird, Menschen auf die Straße zu setzen, um andere von der Straße zu nehmen – und das vor Weihnachten, mit Kindern, die da stehen. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und das hat mich extrem traurig gemacht. Es hat mich jedoch nie dazu gebracht, aufhören zu wollen. Im Gegenteil: Solche Situationen haben mich viel stärker gemacht. Ich habe mich darin bestärkt gefühlt, zu beweisen, dass es nicht so ist. Dass das, was die Opposition sagt, nicht richtig ist. Und dass ich auf in einer Position sitze, um den Menschen zu helfen. Seit ich gewählt bin, habe ich nicht eine E-Mail und nicht eine SMS unbeantwortet gelassen, es sei denn, ich habe sie übersehen. Ich habe versucht, so viel für die Menschen da zu sein wie möglich. Das sehe ich als die größte Aufgabe eines Politikers. Die Menschen brauchen jemanden, der ein offenes Ohr hat, auch wenn man nicht immer direkte Hilfe anbieten kann.
Welche ist die größte Lektion, die Sie aus den vergangenen drei Jahren gezogen haben?
Ich habe gelernt, dass ich meiner Philosophie immer treu bleiben soll. Weil ich immer wieder sehe, dass man zum richtigen Moment am richtigen Ort ist und eben kommen lassen soll, was kommt, und gehen lassen soll, was geht. Es ist mir schwergefallen, als Schöffin aufzuhören. Ich hätte auch gerne weitergemacht und noch genug Energie gehabt. Ich habe allerdings jetzt den Posten als Präsidentin der Escher Lokalsektion von „déi gréng“ angenommen und werde mich nun darauf konzentrieren. Es ist die nächste Challenge, um weiter für Esch zu arbeiten. Das Buch „Mandy Ragni – neue Politikerin“ ist für mich noch nicht abgeschlossen.
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MANDY RAGNI där woart,sid a bleiwt daatallerallerbescht
Escher Gemeinde politik und Regierungs Politik ist liebe Frau im Moment
“ wie wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit bestimmen “.