Comics im Netz (1) / Mangas, Märchen und minutiöse Arbeit: Sabrina Kaufmann zeigt, wie wichtig Geduld und Wandlungsfähigkeit sind
Erst 27 Jahre alt und doch schon lange im Geschäft: Die freischaffende Illustratorin Sabrina Kaufmann zeigt, wie man sich mit viel Geduld und Arbeit eine Existenz in der Kreativbranche aufbauen kann. Das Tageblatt hat mit der Mangaka, die digital viel unterwegs ist, über ihre bisherige Karriere und die nationale Comicszene gesprochen.
Das Arbeitszimmer ist klein und spartanisch eingerichtet. Auf der Couch in der Ecke stapeln sich Kleidungsstücke mit Illustrationen im Mangastil, daneben steht ein gut sortierter Schreibtisch, auf dem Malutensilien, Computer und Scanner auf ihren Einsatz warten. In diesem Raum geht die Künstlerin Sabrina Kaufmann ihrer Arbeit nach, manchmal von 9 bis 22 Uhr, in alleiniger Gesellschaft ihres Kaninchens Chamallow, dessen Käfig, mit einer Reihe von Klettermöglichkeiten ausgerüstet, fraglos den größten Teil des Raums einnimmt.
Comics im Netz
In unserer Reihe „Comics im Netz“ stellen wir Illustratorinnen vor, die besonders im Internet präsent sind und hier ihre Comic-Kunst präsentieren.
Die freischaffende Illustratorin gehört zu der jungen Generation von Luxemburger Comiczeichnern, die auf eine größere Internetpräsenz setzen und verschiedene digitale Kanäle nutzen, um ein breit gefächertes und mehrsprachiges Publikum zu erreichen. Durch ihre Märchenadaptionen „Illustrated Fairytales“, die sie ihren Lesern seit Jahren gratis im Netz zur Verfügung stellt, ist sie eine der Künstlerinnen, durch die der Luxemburger Webcomic mehr und mehr an Kontur gewinnt. Darauf verwies Claude Kremer, der als Digital Curator im „Centre national de littérature“ (CNL) arbeitet, Ende November 2020 bei einer Luxemburgistik-Konferenz. Laut ihm existiere ein „richtiger Luxemburger Webcomic“ noch nicht, doch gebe es Künstlerinnen, die in dieser Richtung unterwegs seien – darunter Sabrina Kaufmann.
Webcomics
Unter Webcomics versteht man Comics, die nur oder vorrangig online veröffentlicht werden. Sie unterscheiden sich von Comics, die zwar auch im Internet publiziert werden, aber primär für den Druck geschaffen sind.
Viele Hüte tragen
Obwohl sie erst 27 Jahre alt ist, ist die Luxemburgerin schon lange keine Anfängerin mehr. „Geschichten habe ich schon im Kindergarten gezeichnet und geschrieben“, erzählt sie. „Zunächst wollte ich nämlich Schriftstellerin werden.“ Als sie dann im Alter von 14 Jahren Internetzugang erhielt, fing sie an, französischsprachige Comics zu malen und damit jede Woche ihren Blog zu füttern. Zur selben Zeit brachte sie ihr erstes Comicbuch im Selbstverlag heraus. Schon während ihrer Schulzeit ging sie auf erste Conventions, also Comicmessen oder auch Comic Cons, um ihre Zeichnungen zu verkaufen.
Erst später lernte sie französische und belgische Künstler, die schon im internationalen Milieu angekommen waren, kennen. „Da habe ich angefangen, mir ein klareres Bild über den Job zu machen“, erzählt Kaufmann. Diese Menschen haben ihr gezeigt, dass man – zumindest in bestimmten Fällen – mit dem Verkauf seiner Kunst über die Runden kommen kann. „Da gibt es Künstler, die nur davon leben, die quer durch das Land reisen, vier oder acht Stunden fahren, in Hotels oder bei Freunden übernachten und dann auf Comic Cons ihre Sachen verkaufen“, erzählt die Illustratorin. „Und das funktioniert.“
Dennoch: Als sie sich selbst 2017 selbstständig gemacht hat, hat sie gemerkt, dass sie persönlich nicht ausschließlich von ihren Illustrationen leben kann. Doch auch hier hat der Kontakt zu Menschen, die sich schon länger in der Szene bewegten, geholfen. Denn Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt in der Branche zu verdienen, gibt es viele: „Du kannst Malkurse geben, Aufträge annehmen, einen Onlineshop erstellen, dich über Patreon unterstützen lassen“ – all das hat sie nach und nach und durch den Austausch mit erfahreneren Zeichnern herausgefunden.
Ihre unterschiedlichen Standbeine hat sich Kaufmann dann mit den Jahren aufgebaut. Nun bietet sie Zeichen-Workshops an, übernimmt Auftragsarbeiten und betreibt einen Online-Shop. Überdies brachte sie vor kurzem ihre erste Modekollektion heraus. Diese Tätigkeiten ermöglichen es ihr, als eigenständige Illustratorin zu überleben und sich Freiräume für eigene unbezahlte Malprojekte zu schaffen.
Crowdfunding durch Patreon und Ko-fi
Patreon und Ko-fi sind beides Plattformen, über die Kreative finanziell unterstützt werden können. Der Unterschied: Wird man Mitglied bei Patreon, unterstützt man ausgesuchte Künstler dauerhaft durch feste Abonnements. So wird einem monatlich oder pro Veröffentlichung des Künstlers ein frei wählbarer Betrag vom Konto abgezogen. Ko-fi funktioniert anders: Über diese Plattform spendet man einmalig – und meistens handelt es sich dabei um einen niedrigen Betrag.
Kreative Unternehmerin
Als Künstlerin versteht sich Kaufmann jedoch nicht. „Da habe ich sofort große Leinwände vor Augen“, sagt sie. Sie sehe sich eher als Zeichnerin oder als kreative Unternehmerin. Das meiste Geld erhalte sie dann auch durch Aufträge und Fortbildungen, sieben Prozent ihres Einkommens verdiene sie über Plattformen wie Patreon oder Ko-fi und 15 Prozent stammten aus Verkäufen auf Conventions.
Mit Anfängern kann Kaufmann wegen ihrer eigenen Geschichte gut mitfühlen: „Man weiß zunächst nicht, an wen man sich wenden kann und welche Optionen man überhaupt hat.“ Das habe sich bis heute nicht geändert. „Es ist noch immer ein so weites Feld. Und wenn man als Jugendlicher zum Beispiel auf die ,Studentefoire’ geht, bekommt man nach wie vor gesagt, man solle Bildende Kunst studieren.“ Das sei aber für das, was sie mache, nicht unbedingt der richtige Weg. „Das finde ich schade.“ Über vieles, was man machen könne, wenn man als Illustrator arbeiten wolle, seien weder Verwaltungen noch die Schule informiert.
Newcomern möchte Kaufmann deswegen Hilfestellung geben: „Vor einem Jahr habe ich einen YouTube-Channel gegründet, um jungen Menschen zu zeigen, welche Möglichkeiten ihnen offenstehen und wie sie mit ihren Sachen monetisieren können.“ Seitdem würde immer wieder Fragen in ihrem Posteingang landen. „Manchmal sind es ganz banale Dinge wie: Wie schicke ich ein Buch in den Druck?“
Für Kaufmann selbst ist die Initiative ebenfalls von Vorteil: „Es gab schon Leute, die über meinen YouTube-Kanal meine Kleider gefunden haben.“ Wenn man im Internet gratis Material zur Verfügung stellt, sei der „Know, like, trust“-Faktor nicht zu unterschätzen. „Die Menschen kennen dich nicht, aber sehen dein Gesicht und wie du dich bewegst, hören deine Stimme.“ Dadurch würden sie sich nach und nach für das, was man machte, interessieren.
Der „Know, like, trust“-Faktor
„Know, like and trust“ lauten drei wichtige Prinzipien im Marketing. Möchte man als Kreativer oder Unternehmer erfolgreich sein, gilt es, von seiner potenziellen Kundschaft erstens gekannt und zweitens gemocht zu werden. Auch sollte man auf potenzielle Kunden vertrauenswürdig wirken.
„D’Frënn vun der 9. Konscht“
Mit anderen Luxemburger Comickünstlern ist Kaufmann gut vernetzt. Die nationale Szene sei klein, sagt sie, die Insider würden sich auf den üblichen Terminen wie den „Walfer Bicherdeeg“ und dem Comic-Festival in Contern immer wiedertreffen. Aus diesem Grund haben sie sich 2019 dazu entschieden, eine offizielle Vereinigung zu gründen: „D’Frënn vun der 9. Konscht“. Die Mitglieder pflegen unterschiedliche Stile, arbeiten hauptberuflich als Illustratoren und entwerfen Comics, traditionelle „bandes dessinées“ nach dem französisch-belgischen Muster, Graphic Novels oder eben Mangas.
„Wir versuchen gut zusammenzuarbeiten“, sagt Kaufmann. Wenn jemand einen Auftrag erhält, doch ihm die Zeit oder auch die Lust fehlt, ihn anzunehmen, schickt er eine E-Mail an die Runde, um zu fragen, ob jemand anderem das Projekt zusage. Manchmal passt ein Auftrag auch besser zum Stil eines anderen Künstler. Zusammengearbeitet haben die Comiczeichner auch schon: Das gemeinsam gestaltete Buch „Fortific(a)tions“ erschien 2019 als Beitrag zum Unesco-Programm „25 ans Lëtzebuerg patrimoine mondial“. Ein Vorhaben, das sich gelohnt hat. „Seit der Veröffentlichung des Buches werden wir öfter angefragt“, erzählt Kaufmann. Auch hätten die „Frënn vun der 9. Konscht“ neuen Zulauf erhalten. „Es sind seitdem rund zehn Mitglieder hinzugekommen.“
Mangas nach Grimm und Andersen
Ein „Herzensprojekt“ hat die 27-Jährige aber auch, nämlich ihre „illustrierten Märchen“. Gemeint sind eine Reihe von gedruckten Mangas beziehungsweise digitale Comics, die verschiedene Geschichten der Gebrüder Grimm oder auch von Hans Christian Andersen mit viel Liebe zum Detail nacherzählen. „2016 habe ich damit angefangen“, sagt Kaufmann. „Und irgendwie bin ich dabei hängengeblieben.“ Einmal angefertigt, lädt Kaufmann die Erzählungen zunächst auf der Webseite Tapas hoch, wo man sie kostenlos lesen kann.
Warum sie so verfahre? „Ich mag den Kontakt mit den Lesern – man hat eine viel größere Verbindung zu ihnen, kann jede Woche mit ihnen interagieren.“ Gerade als Künstler arbeite man oft alleine zu Hause und da seien der Austausch und direkte Rückmeldungen zur eigenen Arbeit sehr wichtig. „Man weiß nicht immer, ob etwas gut geworden ist.“ Die Leser auf Tapas würden die Seiten direkt kommentieren und darüber hinaus auch Vermutungen über den weiteren Verlauf der Geschichte anstellen. „Ich habe schon solche Kommentare benutzt, um Plot-Twists einzubauen“, erzählt Kaufmann. „Und wenn ich mir eine so große Mühe bei etwas gebe, dann möchte ich auch, dass es unter die Leute gebracht wird.“ Wenn sie etwas dabei verdiene, würde sie sich natürlich freuen, aber die Comics im Netz hätten noch einen anderen Wert. „Manchmal bekomme ich Kommentare, die überaus motivierend sind.“
2018 begann Kaufmann, an ihrem ersten richtigen Märchen-Band zu arbeiten. Erschienen ist er 2019. Bevor sie eine bestimmte Geschichte wählt, „muss mich eine Szene aus der Geschichte zunächst einmal visuell ansprechen.“ Sie brauche irgendein Bild, das ihr im Kopf hängenbleibe – aber damit sei es nicht getan. „Steht etwas Interessantes hinter der Geschichte, das man den Leuten mitteilen kann?“ Das seien die zwei Dinge, die bei der Auswahl eine Rolle spielten.
„Was mich an Märchen fasziniert, ist der historische Kontext“, erzählt die Luxemburgerin. Auch interessiere sie die Frage, wie man mit dem „Clash“ zwischen der Schönheit der Märchenwelt und der Düsterheit der Botschaften arbeiten könne. „Von außen sieht alles perfekt aus, doch wie kann man die Brutalität der Geschichten mit einbringen?“ Der Mangastil passe ihrer Meinung nach zum Märchen, weil bei Mangas viel Wert auf die Ästhetik der Bilder gelegt werde.
Gerade ist sie mit den Arbeiten an der Fortsetzung des 2019 erschienenen Märchen-Bands beschäftigt. „Manchmal sitze ich zwei Tage an einer Seite“, erzählt die Illustratorin. Sie geht bei ihren Darstellungen äußerst präzise vor und malt jedes Haar einzeln – wodurch das Risiko besteht, unter Zeitdruck zu geraten. „Die Deadline rückt immer näher und es bleiben noch 100 Seiten einzufärben.“ Der Band soll im Juli 2022 herauskommen. Dann werden die Leser sehen, welche Märchen die Mangaka gewählt hat, um sie zum Leben zu erwecken.
Mangaka
In Japan bilden Mangaka eine eigene Berufsgruppe und bezeichnen die Manga-Künstler, die fest bei einem Verlag angestellt sind. Hier wird der Name freier gebraucht. Sabrina Kaufmann versteht die illustrierten Geschichten, die sie im Internet veröffentlicht, persönlich als Webcomics, und die gedruckten als Mangas.
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