Politische Bewusstseinsbildung / Marc Schoentgen will die Jugend direkt ansprechen
Ausbildung, Weiterbildung, Erklärung. Das sind nur einige der Grundbegriffe, die sich das „Zentrum fir politesch Bildung“ und sein Direktor Marc Schoentgen bei der Gründung 2016 auf die Fahne geschrieben haben. Die alljährlich organisierte „Journée de la mémoire de l’Holocauste” ist ein praktisches Fallbeispiel ihrer Arbeit.
Enthüllung der Shoah-Gedenkstätte „Zhakor“ in Medernach. 150. Jahrestag der Ettelbrücker Synagoge. Erinnerung an den ersten Deportationszug, der am 16. Oktober 1941 Luxemburg mit 323 Passagieren in Richtung Litzmannstadt verließ. Marc Schoentgen ist an vielen Erinnerungsstätten präsent. Der Pädagoge ist nicht nur ein gut vorbereiteter, interessanter Redner. Er versteht es auch, Kinder und Jugendliche mit ins Boot zu nehmen und für die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu mobilisieren. Er spricht ihre Sprache und kennt ihre Vorlieben und Vorgehensweisen.
„80 Jahre nach Kriegsende muss die Gedenkarbeit anders gestaltet werden als bisher. Die direkten Zeitzeugen werden immer weniger, selbst die erste Nachkriegsgeneration ist schon gealtert“, lautet Schoentgens Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit, heute noch einen „Holocaust-Tag“ zu veranstalten.
Die Lehren aus der Vergangenheit seien weiterhin wichtig. Nicht zuletzt die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit der Debatte rund um die Impfempfehlung bzw. -pflicht, der Missbrauch gewisser Symbole, hätten gezeigt, wie notwendig die Aufklärungsarbeit immer noch ist.
Die 2022er „Journée de la mémoire de l’Holocauste” ist bereits die fünfte Auflage der Erinnerungsarbeit. Gleich bei seiner Gründung war der von den Vereinten Nationen als internationaler Gedenktag an die Opfer des Holocaust erklärte 27. Januar für das „Zentrum fir politesch Bildung“ (ZpB) gewissermaßen ein Stichdatum. Am 27. Januar 1945 war das Vernichtungslager Auschwitz von den sowjetischen Truppen befreit und das Ausmaß des Völkermordes an den Juden publik geworden.
Nah an den Leuten
Von einem punktuellen „Gedenktag“ ist im ZpB jedoch keine Rede. Die 47 Termine rund um dieses Thema passen nicht auf einen einzigen Tag. Das Programm hat gewissermaßen schon am 12. Januar begonnen. Am heutigen Mittwoch wird es mit einer Filmvorführung in der Cinémathèque offiziell eröffnet und geht bis zum 4. Februar. Der Devise des ZpB entsprechend werden die einzelnen Filme und Diskussionsrunden zu den Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen gebracht. Das passiert auf Wunsch und je nach Anfrage. „Keen Zwang“, so Schoentgen.
Geplant sind öffentliche Filmvorführungen, Schulvorstellungen, Lesungen mit Autoren und Schauspielern sowie Weiterbildungsseminare für Schullehrer. Gezeigt werden drei Kino- und mehrere Dokumentarfilme.
„Meinungsfreiheit im Klassenraum“, „Der Umgang mit Antisemitismus“, „Der 2. Weltkrieg und die Shoah in Luxemburg im Unterricht“ sind die unverzüglich ausgebuchten Themen der Weiterbildung.
Damit ist das ZpB im Kern seiner Aufgabe. Selbst wenn seine Arbeit über die Homepage öffentlich einsehbar und abrufbar ist, richtet sie sich in erster Linie vor allem an die Lehrer, und das im weitesten Sinne. Mit Blick auf die Erzieher, die sich in den Jugendhäusern oder Vereinen um Kinder und Jugendliche kümmern, spricht Schoentgen hier lieber von „de Leit um Terrain“.
Zusatzangebot
Den Vergleich mit der vormaligen „Morale Laïque” weist Schoengen bei der Definition des ZpB weit von sich. „Wir vermitteln politische Bildung“, stellt er klar und verweist auf die Informationsschriften zu Verfassung, Parlament, Wahlen, aber auch nachhaltige Entwicklung, „Wunnen zu Lëtzebuerg“ oder Großregion. Medienbildung, Fake News, Umgang mit dem Internet sind weitere Themen, in den letzten Monaten standen auch Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit oder Notstand im Blickpunkt. „Wir wollen die Schüler auf die Gesellschaft vorbereiten“, sagt Schoentgen.
Das ZpB gehört nicht zum Schulprogramm. Bewusst wurde es bei seiner Gründung vor sechs Jahren nicht dem Erziehungsministerium untergeordnet, sondern als unabhängige Stiftung etabliert. Deshalb spricht Schoentgen bewusst von einem Angebot an Themen und nicht von einem Programm. Verstärkt wird diese Unabhängigkeit durch die Pflicht, einen Teil des Budgets (außerhalb der Gehälter der 14 Mitarbeiter) selbst zu bestreiten.
„Ohne unsere Partner und Sponsoren hätten wir das aktuelle Programm so nicht gestemmt“, kehrt Marc Schoentgen, unterstützt von dem direkt verantwortlichen Mitarbeiter, Romain Schroeder, zum Kern des Gespräches zurück.
So hat das „LuxFilmFest” die Spiel- und Doumentarfilme organisiert, die während der knapp zwei Wochen gezeigt werden. Die Mitarbeiter des „Centre National de l’Audiovisuel” begleiten die Diskussionen rund um die Vorführungen, die im „Cinextdoor” zusammengeschlossenen Regionalkinos stellen ihre Säle zur Verfügung.„Die Leute brauchen nicht in die Stadt zu kommen, wir gehen zu ihnen”, unterstreicht Schoentgen nochmals.
Das macht das ZpB auch in seiner Alltagsarbeit. Seine Mitarbeiter sind stets bereit, Ateliers zu einem politischen Thema zu bestreiten. Sie organisieren auf Anfrage auch die Besichtigung des Klosters von Fünfbrunnen, der Gedenkstätte an die Opfer der Shoah, wo von 1941 bis 1943 mehr als 500 meist alte und gebrechliche Menschen jüdischen Glaubens in schwierigen Umständen lebten, bevor sie in einem von insgesamt sieben Deportationszügen nach Litzmannstadt, Theresienstadt oder auch direkt ins Vernichtungslager Auschwitz kamen.
Damit nichts vergessen wird
Das Kloster Fünfbrunnen, das die Regierung vor einem Jahr gekauft hat und wo eine Studien- und Erinnerungsstätte entstehen soll, hatte bereits früh den Ausschlag gegeben für das historische Engagement von Marc Schoentgen. Als Jugendlicher war er dort in einem Ferienlager, am Fuße des Denkmals, das an die Shoah erinnert. „Niemand konnte uns etwas darüber erzählen“, erinnert sich der Pädagoge. Das konnte und wollte er so nicht stehen lassen. Sein Interesse an der Geschichte war geweckt.
Bewusst hat er beim Studium vorrangig Themen rund um den Zweiten Weltkrieg behandelt. Auch seine Doktorarbeit an der Uni Luxemburg ging 2017 um „Arbeiten unter Hitler. NS-Sozialpolitik und Herrschaftspraxis im besetzten Luxemburg 1940 bis 1944“. Damit nichts vergessen und alles richtig verstanden wird.
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Guten Tag Herr Schoentgen,
zur NS-Sozialpolitik und Herrschaftspraxis im Altreich und in den besetzten Gebieten gehörte auch eine massenmörderische Euthanasiepolitik an alten, kranken, behinderten und an allen von den nationalsozialistischen Rassentheoretikern als minderwertig deklarierten Menschen. In Frankreich gibt es seit einigen Jahren einen dementsprechenden Erinnerungsort in Clermont de l’Oise.
MfG
Robert Hottua