100. Geburtstag / Marie Ginter-Bonichaux: Ein Leben im Zeichen des Zweiten Weltkriegs
Ehre, wem Ehre gebührt: Für Marie Ginter-Bonichaux war der gestrige Mittwoch ein ganz besonderer Tag, wurde sie doch 100 Jahre jung. Die Feierstunde fand in ihrer Wohnung in Petingen statt, wo die Jubilarin unter anderem Familienminister Max Hahn empfing. Jahrzehntelang setzte sich Ginter-Bonichaux für die Anerkennung der im Zweiten Weltkrieg zwangsrekrutierten Luxemburger Mädchen, zu denen sie selbst gehörte, ein.
Der Lebenslauf von Marie Ginter-Bonichaux, genannt Maisy, ist bemerkenswert. Geboren am 17. April 1924 in Niederkorn, zog Marie im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern nach Rodange in die rue du Clopp. Dort verbrachte sie anschließend 70 Jahre. Ihr Vater Theodore Bonichaux kam aus Platen im Pratzerthal und war später Minenarbeiter. Verheiratet war er mit der Beleserin Josephine Longuich, Marie war das einzige Kind des Paares.
Der Zweite Weltkrieg sollte das Leben von Marie Ginter-Bonichaux radikal verändern und auch noch lange nach Kriegsende prägen. Ginter-Bonichaux wurde im November 1943 zwangsrekrutiert, nachdem sie zuvor sechs Monate zurückgestellt war. Dann wurde sie als „politisch nicht einwandfrei“ eingestuft, da sie nie an den Aktivitäten des Bunds Deutscher Mädchen (BDM) teilgenommen hatte. So wurde sie nach Thüringen beordert, erst in den Reichsarbeitsdienst (RAD) und später in den Kriegshilfsdienst (KHD). Im Januar 1944 wollte ihr Vater sie nach einem Heimaturlaub verstecken. Das allerdings hätte bedeutet, dass die Familie als Strafe durch die Nazis umgesiedelt worden wäre. „Ich wollte das meiner Mutter nicht antun, sie hätte es nicht vertragen“, erinnert sich Marie Ginter-Bonichaux im Gespräch mit der Zwangsrekrutierten-Vereinigung FEDDF („Fédération des enrôlés de force“).
Also ging es zurück nach Thüringen. Ihr Vater Theodore war im September 1943 am Anschlag auf das Gebäude der Luxemburger Kollaborateur-Partei VdB („Volksdeutsche Bewegung“) in Rodange beteiligt und wurde von den Nazis nach Konz verschleppt. Er konnte flüchten, schaffte es zurück nach Luxemburg, wo er sich bis zur Befreiung versteckt hielt.
Langer Kampf um Anerkennung
Am 25. Mai 1945 kehrte Marie Ginter-Bonichaux ins Großherzogtum zurück. Nach der Schule hatte sie bei der Stadtkasse der Gemeinde Luxemburg gearbeitet. Dorthin durfte sie nach dem Krieg nicht zurück, „weil der Chef nicht ganz einwandfrei war“ und Angst hatte, durch sie Probleme zu bekommen, wie sie sagt. So heuerte sie bei der damaligen Interbank (später BIL) an. 1947 heiratete sie den Petinger Camille Ginter. Der Ehe entsprangen mit Mady und Annita zwei Kinder. 1951 wurde sie bei der Bank zusammen mit weiteren verheirateten weiblichen Angestellten entlassen. Sie bekamen noch drei Monate Gehalt, verloren aber ihre Arbeit. „Das machte mir nicht soviel aus, schließlich musste ich ja die Kinder versorgen und ich wollte mit dem Nähen von Kleidern noch ein wenig Geld dazuverdienen.“ Marie und Camille bereisten in ihrem Wohnwagen Europa. Ihr Mann starb 1988, die älteste Tochter 2004. Das Haus war zu groß geworden, sodass Marie Ginter-Bonichaux in eine Wohnung in Petingen zog, wo sie noch heute lebt.
Ginter-Bonichaux kämpfte lange Jahre dafür, dass das Leiden der Frauen und Mütter im Zweiten Weltkrieg anerkannt wurde. Sie war Vorstandsmitglied bei den Zwangsrekrutierten und im „Comité du Souvenir de la 2e Guerre mondiale“. Am nationalen Gedenktag 2020 enthüllte sie gemeinsam mit Großherzog Henri am Hauptbahnhof eine Gedenktafel für die zwangsrekrutierten Mädchen aus Luxemburg. Insgesamt 3.614 Luxemburgerinnen waren von den Nazis zum Reichsarbeitsdienst oder dem Kriegshilfsdienst gezwungen worden. Für ihren Einsatz erhielt die nunmehr 100-Jährige die „Médaille de Chevalier l’ordre national de la Couronne de Chêne du Grand-Duché de Luxembourg“.
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