Verstärktes Polizeiaufgebot / Marlène Negrini: „Wir möchten von Anfang an eingebunden werden“
Insgesamt 176 Patrouillen aus anderen Kommissariaten waren laut Tageblatt-Informationen bis Ende Februar abwechselnd für einen verstärkten Einsatz in der Hauptstadt vorgesehen. Inzwischen wurde das Polizeiaufgebot zurückgefahren, wie aus Polizeikreisen zu erfahren ist. Noch 88 Patrouillen (bestehend aus mindestens zwei Personen) aus anderen Dienststellen sollen seit Anfang März und bis vorerst Ende April in einem Rotationsprinzip in Schichten dort aktiv sein. Die Pressestelle der Polizei sowie das Ministerium für innere Sicherheit beantworten bislang keine Fragen zu dem teilweise umstrittenen Einsatz, der seit genau drei Monaten in Luxemburg-Stadt läuft. Laut Ministerium wird „der Innenminister zu gegebener Zeit“ dazu kommunizieren. Eine Antwort auf die Frage, wann dieser Zeitpunkt ist, erhielt das Tageblatt nicht. Einen Einblick auf die Aktion und deren Auswirkungen gewährt Marlène Negrini, Präsidentin des „Syndicat national de la Police grand-ducale“ (SNPGL).
Tageblatt: Seit dem 15. Januar ist die Polizei zur Umsetzung des Aktionsplans für die öffentliche Sicherheit und Gesundheit im hauptstädtischen Bahnhofsviertel, in Bonneweg und in der Oberstadt unterwegs. Was hat der Einsatz mit verstärktem Aufgebot bisher gebracht?
Marlène Negrini: Die greifbaren Ergebnisse sind extrem dünn: In Bezug auf Artikel 42 der städtischen Gemeindeverordnung wurden nur sehr wenige Verstöße registriert, von denen einer bereits ad acta gelegt wurde (die Selbstanzeige von Christian Kmiotek, Anm. d. Red.). Ob die organisierte Bettelei zurückgegangen ist, können wir nicht sagen. Denn uns werden dazu keine Informationen geliefert, Zahlen gab es übrigens auch vorher nicht. Ist es weniger geworden? Wir wissen es nicht. Eine Analyse des Gesamteinsatzes haben wir nicht gesehen, ich nehme aber an, dass eine gemacht wurde, um die weitere Vorgehensweise daran anzupassen. Ob das subjektive Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung abgenommen hat, erfahren wir auch nicht. Denn die Menschen teilen das der Polizei ja nicht mit.
Bemerkt die Polizei bei ihrer alltäglichen Arbeit in Luxemburg-Stadt denn Veränderungen?
Es ist schwer zu sagen, ob etwas anders ist. Wenn Polizei unterwegs ist, sieht man grundsätzlich niemanden mehr. Als Beispiel: Drogendealer, die an einer Ecke stehen, verschwinden, sobald sie uns sehen. Wenn die Polizei dann aber weg ist, kommen sie wieder zurück an ihren Platz. Als ich privat in der Stadt unterwegs war, ist mir aufgefallen, dass noch Bettler da sind. Sie sitzen nun nur nicht mehr da, sondern stehen dort, mit ihrem Becher in der Hand. Damit sie schnell weglaufen können, wenn die Polizei auftaucht. Man kann davon ausgehen, dass sich die Probleme nur verlagern. Jetzt sitzen sie dann bei Autobahnauffahrten.
Bei Autobahnauffahrten?
Ein Kollege hat mir vor Kurzem ein Video eines auf den Knien sitzenden Mannes in Merl geschickt, der inmitten der vierspurigen Straße bei der Autobahnauffahrt bettelte (Anm. d. Red.: Sie zeigt das Video auf ihrem Handy). Von einem großen Supermarkt gleich in der Nähe in Bartringen wird wegen Bettelei inzwischen oft die Polizei gerufen. Sie gehen jetzt einfach an andere Orte. Ich gehe nicht davon aus, dass sie dadurch jetzt einfach alle verschwunden sind. Das Betteln ist ein Phänomen, das in jeder Großstadt existiert. Es wird immer Menschen geben, die nichts haben und denen es schlecht geht. Und die nach zwei Euro fragen, um sich beim Bäcker einen Kaffee zu kaufen.
Wie hat die Maßnahme in der Hauptstadt die Arbeit der Polizei beeinflusst?
In Luxemburg-Stadt waren ja viele Patrouillen unterwegs und nach einem Rotationsprinzip mussten von anderen Dienststellen immer andere in die Stadt. Der Personalmangel bei der Polizei ist allgemein bekannt und wenn dann zwei Leute aus einem Kommissariat woanders in den Einsatz müssen, hat das Folgen. Wenn auf einer Dienststelle zum Beispiel nur fünf bis sieben Leute sind, eine Person ihren Ruhetag hat, dann hat es Auswirkungen, wenn zwei weitere fehlen. Wenn andere deren Arbeit dann nicht übernehmen können, bleibt diese liegen. Ich denke, dass darauf aufgepasst wurde, Leute von Kommissariaten abzuziehen, die zahlenmäßig besser aufgestellt sind. Wir wissen allerdings nicht, wie das verteilt war.
In der Debatte um den zum Teil umstrittenen Einsatz wurde von der Politik das Argument angebracht, die Polizei sei an Sondereinsätze in anderen Regionen gewöhnt. Demzufolge dürfte das Ganze also keine größere Herausforderung für die Polizistinnen und Polizisten gewesen sein.
Doch. Für Probleme hat die Wiederholung gesorgt, die Dauer. Es war jetzt eine andere Situation, als wenn die Leute an einem einzelnen Wochenende für einen Spezialdienst in den Einsatz müssen, zum Beispiel wegen eines Fahrradrennens. Ruhetage mussten gestrichen werden. Und solche kurzfristigen Schichtänderungen haben ja auch einen Einfluss auf das Privatleben. Bei der Polizei sind manche miteinander verheiratet, vor allem bei ihnen wurde es mit der Kinderbetreuung schwer. Aber letztlich hat es geklappt, wir sorgen dafür, dass es klappt.
Die Maßnahme stiftet innerhalb der Polizei Unmut. Wie steht die SNPGL zu dieser?
Wir haben gleich zu Beginn gesagt, dass das organisierte Betteln über das Strafgesetzbuch geregelt ist und es einen Artikel dazu in der städtischen Polizeiverordnung aus dem Grund nicht braucht. Es ist schade, dass auch Einzelpersonen von der Regelung betroffen sind. Bei der Polizei haben sich einige natürlich nicht über diese Maßnahme gefreut – wenn sie dann zum Beispiel aus dem Norden bis in die Hauptstadt fahren mussten. Aber wir haben in den drei Monaten keine Beschwerden bekommen, dass manche wegen dieses Einsatzes ausgepowert seien oder Ähnliches.
Und dennoch gibt es in Ihren Augen Verbesserungsbedarf.
Wenn mehrere Personen die Köpfe zusammenstecken, kommt man auf andere Ideen. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit gewesen, zu fragen, wer freiwillig nach Luxemburg-Stadt will. Dann wären während einer bestimmten Dauer immer die gleichen Leute vor Ort gewesen. Das wäre wahrscheinlich besser gewesen und hätte die private Organisation erleichtert. Bisher werden Dinge allerdings entschieden und uns wird dann sozusagen das fertige Produkt präsentiert. Wir können zwar noch unsere Meinung abgeben, aber das bringt selten etwas. Jetzt warten wir auf ein Schreiben, das uns darüber informiert, wie es nach Ende April mit dem Einsatz weitergeht. Auch das wissen wir momentan nicht. Für die Zukunft wünschen wir uns, von Anfang an eingebunden zu werden – unabhängig davon, worum es geht.
Nicht nur die Polizeidirektion, sondern auch die Politik trifft Entscheidungen. Wie ist Ihre Beziehung zu Léon Gloden (CSV), dem neuen Minister für innere Sicherheit?
Wir haben ihn zweimal getroffen und beide Gespräche liefen korrekt ab. Auch wenn man vielleicht nicht immer auf einen gemeinsamen Nenner kommt, wollen wir zusammenarbeiten, ohne, wie der Minister es formuliert hat, „uns in der Presse zu zerreißen“. Wenn es so weitergeht wie bisher, kann man von einer guten Zusammenarbeit sprechen. Aber: Wir haben keine Glaskugel und wissen nicht, was morgen ist.
Zur Person
Seit August 2023 steht Marlène Negrini an der Spitze des „Syndicat national de la Police grand-ducale“ (SNPGL). Zuvor übernahm die 61-Jährige die Funktion der Generalsekretärin und trat dann die Nachfolge von Pascal Ricquier an, der das Amt wegen seines politischen Engagements bei der CSV aufgab. Die Präsidentin ist selbst Polizistin und ist in ihrem Arbeitsalltag beim Abstellplatz für abgeschleppte Fahrzeuge, also bei der „Fourrière – Avertissements taxés“ aktiv. Während der Diskussion um das umstrittene Bettelverbot in Luxemburg-Stadt wies Marlène Negrini auf Unklarheiten bei der praktischen Umsetzung des Polizeieinsatzes hin. Außerdem verlangte sie, dass mehr städtische „Agents municipaux“ mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden, um unter anderem auch Artikel 42 der städtischen Polizeiverordnung zum Bettelverbot kontrollieren zu können.
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