Reform / Mars Di Bartolomeo: „Stillstand ist für eine Verfassung keine Option“
Ein Referendum zur Verfassungsreform wird es nicht geben, die Bürgerinitiativen konnten nicht das dafür nötige Momentum entwickeln und genügend Stimmen hinter sich versammeln. Das Tageblatt hat sich mit dem Präsidenten der zuständigen Verfassungskommission, Mars Di Bartolomeo, über den nahenden Abschluss einer 20 Jahre währenden Odyssee unterhalten.
Tageblatt: Es naht ein Ende der Verfassungsreform. Endlich, möchte man schon fast hinzufügen …
Mars Di Bartolomeo: Die Vorarbeiten dauern fast so lange an, wie ich im Luxemburger Parlament bin. Die ersten Vorarbeiten wurden vor fast 20 Jahren gemacht, vor 15 Jahren ist dann intensiv daran gearbeitet worden. 2018 dachten wir uns mit einer komplett neuen Verfassung am Ziel. Dann kam es zu Unstimmigkeiten, als eine Partei der Verfassungsmehrheit, nämlich die CSV, den Konsens aufkündigte. Diese Abweichung hat dann dazu geführt, dass diejenigen, die noch an eine neue Verfassung geglaubt haben, sich zusammenschlossen und den Kompromiss zu einer Teilrevision hervorbrachten. So ist die Idee zustande gekommen, die Verfassung in vier Kapiteln zu überarbeiten. Dabei wurde die bereits geleistete Vorarbeit weitgehend berücksichtigt.
Und damit fiel auch das Referendum …
Der ursprüngliche Plan bestand darin, das zweite Verfassungsvotum im Parlament durch ein Volksreferendum zu ersetzen. Da wir uns lediglich auf vier Teilreformen einigen konnten, haben wir auf das Referendum verzichtet. Auf das Pro und Contra will ich nicht weiter eingehen, ich habe mit der damaligen politischen Realität arbeiten müssen. Wir konnten uns auf den Minimalkonsens einigen, weiter an der Verfassungsreform zu arbeiten. Wir haben dann auch entschieden, möglichst viel der geleisteten Vorarbeit zu retten. Mein Fazit lautet: „Mission accomplie“. Es ist eine zeitgemäße Evolution und keine Revolution, die den Verfassungstext an die gelebten gesellschaftspolitischen und institutionellen Realitäten heranführen wird.
Können Sie aber das Unverständnis oder die Wut einiger Bürger verstehen?
Ursprünglich wollten wir das zweite Verfassungsvotum in der Chamber ja durch ein Referendum ersetzen. „Les faits sont ce qu’ils sont.“ Nach 2018 war dieser Konsens nicht mehr vorhanden. Es wurde sich anschließend auf eine Teilrevision in Kapiteln geeinigt und die Volksbefragung wurde fallen gelassen. Diejenigen, die für die Aufkündigung des Konsens verantwortlich sind, müssen sich dieser Verantwortung stellen. Ich hätte sehr gut mit einem Referendum leben können, aber die Faktenlage sah anders aus. Das bedeutet im Gegenzug nicht, dass der Text hinter verschlossenen Türen geschrieben wurde oder wir uns Referendumsbegehren, wie wir sie zum ersten Kapitel erlebt haben, entgegenstellen würden. Wir haben mit der Abstimmung über die nächsten Kapitel gewartet, bis die Prozeduren der Bürgerinitiativen abgeschlossen waren – eventuell wäre es dann ja zu einem Referendum gekommen. Unterm Strich ist die Wut aber nicht so groß, wie dies von einzelnen Personen oder Parteien dargestellt wird. Ich will kein schlechtes Licht auf die Referendumsprozedur werfen, wir haben diese ja abgewartet und dementsprechend respektiert. Ich denke aber, dass das Vertrauen in unsere repräsentative Demokratie weiterhin besteht.
Die DP-Angeordnete Simone Beissel nannte die vorgenommenen Änderungen „tiefgreifend“, der Verfassungsexperte Luc Heuschling hingegen sagte im Tageblatt-Interview, dass es „keine Quantensprünge“ seien. Sie nennen es eine „Evolution, und keine Revolution“. Können Sie kurz und knapp erklären, was die neue Verfassung jetzt ist?
(Denkt kurz nach) Es ist eine Verfassung, die die heutige Realität in Luxemburg widerspiegelt. Quasi eine Visitenkarte Luxemburgs mit hohem Wiedererkennungswert. Luxemburg steht für eine parlamentarische Demokratie, für den Rechtsstaat und den Respekt der Menschenrechte. Das erste Kapitel der Verfassung ist zudem ein höchst symbolisches, in dem die Luxemburger Sprache, die Luxemburger Flagge und unsere Nationalhymne festgeschrieben wird.
Jedoch wurde eine Umstrukturierung des gesamten Textes vorgenommen.
Ja, das erste Kapitel beinhaltet jetzt vor allem Artikel zur Staatsform. Der Großherzog kommt hier nicht mehr vor. Dem Großherzog wurde mit der Monarchie ein eigenes Kapitel zuteil. Das soll die Lesbarkeit der Verfassung erhöhen.
Genau das Argument wird jetzt von den Gegnern der Verfassungsrevision ins Gegenteil verkehrt: Die Verfassung habe 178 Jahre lang Bestand gehabt, warum jetzt etwas ändern?
(Legt wieder eine nachdenkliche Pause ein) Das wäre ja ein kompletter Stillstand. Wenn wir den Großherzog als modernen Staatschef wahrnehmen wollen, können elementare Vorgänge wie die Thronbesteigung oder die Nachfolgeregelung doch nicht in einem privaten Familienabkommen beschlossen werden. Das gehört in die Verfassung. Das zeigt doch, dass wir kein Staat aus dem 19., sondern aus dem 21. Jahrhundert sind. Man kann die Augen doch nicht vor der Realität verschließen. Stillstand ist für eine Verfassung keine Option. Das Grundgesetz, auf dem alle anderen Gesetze basieren, muss der Realität entsprechen. Auch möchte ich hinzufügen, dass einige Aussagen, die in der Broschüre der ADR getätigt werden, geradewegs Falschinformationen sind …
Das Parlament hat mit einer eigenen Informationskampagne gekontert, der ADR und anderen Falschinformationen jedoch lange Zeit das Feld überlassen. So hat unter anderem die Behauptung, dass das Ausländerwahlrecht durch die Hintertür eingeführt werden könnte, viel Aufmerksamkeit erhalten.
Was absoluter Quatsch ist. Das ist eine Lüge, um das klarzustellen. Und das ist schwarz auf weiß in unserem Revisionstext nachzulesen. Wir wollten unsere Informationskampagne zeitnah zu den abschließenden Arbeiten im Parlament starten und parallel zu den Chamber-Debatten herausbringen. Wir haben eine, wie ich finde, ganz kohärente Informationskampagne auf die Beine gestellt. Ich empfehle aber jedem, den neuen und den alten Text selbst einem Vergleich zu unterziehen. Ich bin der Meinung, dass der neue Text zahlreiche Verbesserungen mit sich bringt. Nehmen wir zum Beispiel die Justiz: Die Unabhängigkeit der Justiz steht nicht in der alten Verfassung, wird in der neuen Verfassung aber festgeschrieben. Das kann man aber erst feststellen, wenn ein fertiger Text zum Vergleich bereitliegt. Im Vorfeld haben andere schon die Werbetrommel gerührt oder mit unfertigen Texten Polemik betrieben. Die Verfassung ist ein Grundgesetz, damit sollte keine Polemik betrieben werden. Sie dient all jenen, die in Luxemburg wohnen und arbeiten und sollte die Bevölkerung zusammenführen und nicht entzweien. Die Verfassung setzt einen Rahmen, wie unser Zusammenleben aussehen soll – und sollte nicht für parteipolitische Zwecke missbraucht werden. Das Spiel spiele ich nicht mit.
Waren diese „Spielchen“ denn schon bei den Arbeiten in der Kommission abzusehen?
Nein. Auch diejenigen, die die Verfassung nun in der Luft zerreißen, haben konstruktiv mitgearbeitet. Selbst diejenigen, die eine republikanische Staatsform wollten und den Großherzog durch einen republikanischen Staatspräsidenten ersetzen wollte, haben eine respektable Arbeit geleistet. Wir haben uns aber entschieden, auf der Luxemburger Geschichte und Tradition aufzubauen. Wenn wir heute das Land ohne historischen Kontext neu erfinden würden, würden wir ja nicht unbedingt eine Monarchie als Staatsform wählen. Luxemburg baut aber auf seinen Traditionen auf und die Monarchie findet noch immer großen Zuspruch in der Bevölkerung. Deshalb haben wir uns entschieden, die jetzige Staatsform auch in der neuen Verfassung zu verankern.
Das heißt, es wurden auch Diskussionen um eine republikanische Staatsform geführt?
Ja, ein Mitglied des zuständigen Parlamentsausschusses hat ja auch einen Gesetzesvorschlag eingebracht, mit dem eine republikanische Staatsform eingeführt werden soll. Dieser Text wird auch im Plenum zur Diskussion kommen – für uns gelten aber die vier Kapitel, die von einer breiten Mehrheit getragen sind.
Nun kann man aber argumentieren, dass durchaus republikanische Elemente in den neuen Verfassungstext eingeflossen sind. Ich denke an den Artikel, der es der Chamber erlaubt, den Staatschef abzusetzen.
Ich würde es nicht unter dem Gesichtspunkt sehen. Diese Möglichkeit ist für die äußersten Notfälle vorgesehen, wenn der Großherzog nicht mehr in der Lage sein sollte, seine Funktionen als Staatschef auszuüben. Das hat aber nichts mit einer Republik zu tun, sondern mit seinem Amt als Staatschef. Die „Nous, par la Grâce de Dieu“-Logik ist ja nicht erst seit gestern passé. Der Großherzog ist Staatschef, weil das Volk ihn als Staatschef will.
Der Großherzog geht also nicht geschwächt aus der Verfassungsreform hervor?
Nein, im Gegenteil: Die neue Verfassung spiegelt die Realität wider und gibt dem Großherzog mehr Sicherheiten. Dem Großherzog werden keine Rechte entzogen. Er kann seine Verwaltung selbst organisieren, die auch eine rechtliche Persönlichkeit erhält. Zudem erhält er die personellen und finanziellen Mittel, sein Amt auszuüben. In der jetzigen Verfassung steht noch, dass der Großherzog zur Ausübung seines Amtes jährlich 300.000 Goldfranken erhält. Diese Währung existiert ja nicht mehr. Das Recht des Großherzogs, Geld zu drucken, haben wir nicht mehr übernommen. Diese Prärogative liegt ja längst bei der Zentralbank. Der Großherzog denkt ja auch nicht daran, selbst Golddukaten zu gießen. Das ist ja nicht mehr zeitgemäß und dem Großherzog werden in dem Fall ja auch keine Rechte entzogen. Der Großherzog behält auch weiterhin den Titel des Oberbefehlshabers der Armee, wenngleich er dieses Amt unter der politischen Verantwortung der Regierung erfüllt.
Die Luxemburger Sprache wird erstmals in der Verfassung verankert …
Die Luxemburger Sprache, die Nationalhymne, das Wappen und die Luxemburger Flagge werden erstmals verankert. Das ist die angesprochene Symbolik, die erstmals in der Verfassung übernommen wird. Das ist aber nur ein Element der Visitenkarte Luxemburgs.
Bleiben wir kurz beim Begriff der „Visitenkarte Luxemburgs“. Wurde auch eine Grundsatzdiskussion über die sprachliche Situation hier in Luxemburg geführt? So ist der Gebrauch des Englischen ja immer mehr gelebte Realität in Luxemburg.
Die Sprache des Landes ist das Luxemburgische. Die Berufung des Landes zur Mehrsprachigkeit wird genau wie unsere Verankerung in der Europäischen Gemeinschaft festgehalten. Das soll jedoch nicht im Gegensatz zum Luxemburgischen stehen, sondern als komplementär erachtet werden. Ich verstehe unter Mehrsprachigkeit auch mehr als nur unsere Amtssprachen. Die Realität ist ja auch hier viel weiter als nur ein dreisprachiges, sondern eher ein vier-, fünf-, sechs- oder sogar siebensprachiges Land. Große Teile der Bevölkerung sprechen ja neben den aufgezählten Amtssprachen noch andere Sprachen. Ich denke an Englisch, Portugiesisch, Italienisch, Spanisch … Luxemburgisch ist die Sprache der Luxemburger. Luxemburger haben aber das große Glück, mehrsprachig zu sein.
Neu festgehalten werden zahlreiche neue Rechte, so zum Beispiel ein „Recht auf Wohnen“. Scheitern solche Zusätze nicht bereits an realpolitischen Umständen, oder wie ist dieser Zusatz zu verstehen?
Es gibt einige Grundrechte, die sind nicht antastbar. Dann gibt es öffentliche Rechte, die nur durch Gesetze eingeschränkt werden können. Anschließend haben wir die sogenannten Staatsziele, wo jetzt das „Recht auf Wohnen“ hinzugefügt wird. Die Staatsziele sollen eine gewisse Richtung vorgeben, die es unbedingt einzuhalten gibt. Wohnungsbaupolitik ist somit kein beliebiges Politikfeld mehr, sondern eine verfassungsrechtliche Priorität.
Gleiches gilt für den Klimaschutz, der ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben wird.
Absolut. Der Staat muss sich jetzt die Mittel geben, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Verfassung trägt einen prioritären Auftrag an die Politik heran.
Auch auf die Regierung kommen einige Änderungen zu. Dem Premierminister wird die Rolle des „Primus inter Pares“ zugedacht. Was bedeutet das genau?
Der Premierminister ist der Kapitän eines Teams, das sich aus Ministern, delegierten Ministern und Staatssekretären zusammensetzt. Er soll für eine einheitliche Linie innerhalb der Regierung sorgen. Die neuen Texte spiegeln die heutigen Kompetenzen in der Exekutive wider. Auch werden den Gemeinden zukünftig vom Staat die nötigen Mittel zugesichert werden, um ihren Aufgaben nachzukommen. Ebenso werden die Berufskammern als wesentliche Elemente des Sozialdialogs Einzug in den Verfassungstext finden.
Kommt die Verfassung 2022?
Ich lege mich ungern auf ein Datum fest, aber wir werden alles dafür tun, dass wir dieses Ziel erreichen.
Wir danken für das Gespräch.
Wenn Sie mir ein abschließendes Wort erlauben … Ich wünsche mir, dass bei der Beurteilung unserer Arbeit die beiden Texte verglichen werden und nicht auf plumpe Polemik zurückgreift.
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Vonwegen Demokratie. Die Verfassung ist für die Bürger da. In Luxemburg hat schon ein Grossteil der Einwohner keine Wahlrecht, und jetzt können selbst die, die es haben, nicht einmal über eine geänderte Verfassung abstimmen?
@Kröllebölle
In Ihrer Aufzählung vergessen Sie die nicht , respektiv nicht reichlich genug Geimpften, denen demnächst , um ihr Land zu retten , ihre Grund-und Wahlrechte entzogen werden müssen , oder ?
Den Mars huet emmer Recht !
Datt net genuch Ennerschreften fir een Referendum zesummen komm sinn, ass d’Reaktioun, d^Protestatio’un vum Bierger deen es saat huet mat der zickzack Politik dei‘ haut vun baal allen Partei’en bedriwen gett !
Mol secher datt ech 4 Partei’en net mei‘ wiehlen !
Mol hott, mol haar !
Fragt uns lieber nicht, die Hälfte von uns hat einen IQ von unter 100.
Einige von uns wählen sogar Leute die an sprechende Schlangen glauben.
@viviane: Ich weiss nicht, ob Sie damit die luxemburgischen Staatsbürger oden eben die vielen Bürger, die keinen Roud Léiw-Pass besitzen – aber in beiden Fällen is Ihr Kommentar abwertend, und ich bin überrascht, dass Tageblatt es zulässt.
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(Wir haben den gemeinten Kommentar gelöscht.
Beste Grüße aus der Redaktion.)