Editorial / Maschinen wie wir: Die KI zwischen Defätismus und Faszination
Alles begann, wie so oft, mit der Fiktion. Mit „Klara and the Sun“ von Kazuo Ishiguro und „Machines Like Me“ von Ian McEwan wurde das Thema KI vom Nischengenre der spekulativen Fiktion ins Zentrum der Belletristik gestellt. Auch in Luxemburg behandelte Ian De Toffolis, von Sophie Langevin inszeniertes „AppHuman“ den Fall eines von einer KI gesteuerten, verunfallten Autos.
Und dann war sie plötzlich überall: Spätestens seit dem Phänomen ChatGPT denkt fast jeder, die Maschinen würden ihn irgendwann ersetzen. Speziell in der Kulturbranche ist das Thema mittlerweile allgegenwärtig – in Cannes meinte Filmakademie-Präsident Yann Tonnar, er habe seine Rede von ChatGPT verfassen lassen, für das Editorial der neuen Rotondes-Spielzeitbroschüre ging Direktor Steph Meyers ähnlich vor – und in Ela Baumanns und Christian Klinkenbergs Jazzoper-Adaptierung von Orwells „1984“ wird die Menschheit von einer KI kontrolliert, um sich selbst und dem Planeten weniger Schaden zuzufügen.
Gegenüber dem Phänomen KI schälen sich zwei Positionen – Faszination und Defätismus – heraus, die beide nicht unproblematisch sind. Einerseits ist es geschichtlich erwiesen, dass der Pessimismus, mit dem die Menschheit jeder neuen Technologie gegenübertritt, genauso normal wie übertrieben ist: Hätten sich alle bisherigen Prophezeiungen als wahr erwiesen, würden Sie diesen Artikel gerade nicht auf Papier lesen (das tun Sie vielleicht auch nicht, der Fakt, dass er auf Papier abgedruckt wurde, reicht aber aus, um meinen Punkt zu veranschaulichen).
Dass verschiedene journalistische Artikel mittlerweile von einer KI geschrieben werden könnten, sagt mehr über die Qualität des Journalismus aus als über die Fähigkeit einer KI, kluge Artikel zu schreiben. Wenn Kulturjournalisten in Konzertberichterstattungen schreiben, die Show sei „energiegeladen“ gewesen und die Menschen hätten „ausgelassen getanzt“, muss man sich nicht wundern, dass eine KI so was bereits jetzt schon mindestens genauso gut nachschreiben kann: Wer denkfaul geworden ist, soll sich nicht wundern, wenn es keine menschliche Intelligenz mehr braucht, um Durchschnittsware zu produzieren. Um es mit den Worten von Dietmar Dath zu resümieren: Dass man oft nicht mehr zwischen KI-Chatbots und realen Menschen unterscheiden kann, liegt weniger an der Intelligenz der Maschinen als an der Dummheit der Menschen.
Gefährlich ist andererseits aber auch die Faszination, mit der wir uns neuen Technologien annähern und aufgrund deren sich nun Kulturschaffende des Phänomens annehmen, um Neues auszuprobieren. Naiverweise glaubt man so, sich in eine Kontrollposition zu begeben, weil man die KI ja als künstlerisches Werkzeug benutzt. Diese Kontrolle ist trügerisch, da eine KI durch jede Nutzung, egal wie kritisch-verspielt sie gemeint ist, mit Data gespeist wird.
Thomas Pynchons Roman „Gravity’s Rainbow“ zeigt (u.a.), wie die Nazis die Entdeckungsfreudigkeit vermeintlich ideologiefreier Wissenschaftler ausnutzten, um V2-Raketen entwickeln zu lassen, Christopher Nolans „Oppenheimer“ (VÖ: 19. Juli) wird genau diese Thematik aufgreifen: In einer neoliberalen Welt gibt es keine ideologiefreie Forschung – und Technologie ist selten ein neutrales Instrument.
In „Mason & Dixon“ erzählt Pynchon von dem Astronomen Charles Mason und dem Vermesser Jeremiah Dixon, die im US-Amerika des 18. Jahrhunderts beauftragt wurden, die Grenze zwischen den Südstaaten und den Nordstaaten zu ziehen. Die Mason-Dixon-Linie wurde später zum kulturellen Symbol für die Sklaventreiberei in den Südstaaten.
Im Roman wundert sich Mason irgendwann, zu welchen Zwecken ihre Vermessungsarbeit später dienen werden. Ausgerechnet die Figur einer sprechenden mechanischen Ente entgegnet: „You wonder? That’s all? What about care? Don’t you care?“ Dieser feine Unterschied zwischen wonder und care stellt die Grenze zwischen naiver Faszination und zukunftsorientierter Empathie dar, entlang derer unser Umgang mit der KI verlaufen wird.
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Unser grösstes Problem ist noch immer die natürliche Dummheit !