Prozess um Gaston Vogel / Me Pol Urbany: „Es geht um Meinungs- und Pressefreiheit“
Es geht um einen offenen Brief von Gaston Vogel an die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg. Der Anwalt prangert die seit vielen Jahren andauernden Missstände rund um das organisierte Bettlertum auf dem Gebiet der Hauptstadt an. Stichwort: Belästigung und Menschenhandel.
Der Brief ist Ausdruck eines „Ras-le-bol“. Damals, im August 2015, veröffentlichten RTL und Lëtzebuerger Journal das Schreiben von Vogel als Leserbrief. Der offene Brief führte zur Anklage gegen Gaston Vogel sowie gegen RTL und Journal. Der Vorwurf: Aufruf zu Hass. RTL und einem Journalisten des Journal wird vorgeworfen, diesen Aufruf zum Hass veröffentlicht und somit weiterverbreitet zu haben. In erster Instanz gab es einen Freispruch für alle Beteiligten. Die Staatsanwaltschaft hat Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Wann es zum Berufungsprozess kommt, steht noch nicht fest. Me Pol Urbany vertritt das Medienhaus CLT-UFA, das Mutterhaus von RTL Radio Lëtzebuerg. Im Tageblatt-Gespräch lassen wir mit ihm die Hintergründe des Prozesses Revue passieren. Stichwort: Pressefreiheit.
Tageblatt: Ihrer Meinung nach hätte es nicht zu diesem Prozess kommen müssen. Warum?
Pol Urbany: Ich habe zu Beginn in der Tat daran gezweifelt, ob diese Sache überhaupt zur Verhandlung zugelassen würde. Ich habe die Vorwürfe gegen Vogel, RTL und Journal als haltlos empfunden. Damit sie vor Gericht landen, müssen sie aber eine gewisse Konsistenz haben. In unserem Fall lautet der Vorwurf „Incitation à la haine“. Diesen konkreten Aufruf zu Hass gibt der Brief von Gaston Vogel aber nicht her. Das sehe ich immer noch so. Und es ist ja auch das, was das Gericht in erster Instanz im Urteil festhält.
Sollte ein Zeichen mit diesem Prozess gesetzt werden?
Wenn ein Zeichen hätte gesetzt werden sollen, hätte man ja erwartet, dass es von der Staatsanwaltschaft gesetzt wird, dass also auch die Staatsanwaltschaft als treibende Kraft die Sache in die Verhandlung bringt. Dem war aber nicht so. Die Staatsanwaltschaft blieb passiv und hat es dem Nebenkläger, der „Ligue des droits de l’Homme“ (Menschenrechtsliga) überlassen, die Verweisung der Sache vor das Strafgericht zu beantragen. Vor Gericht war die Staatsanwaltschaft auch nicht besonders offensiv. Gegen Anwalt Gaston Vogel hat sie nur eine gemäßigte Geldstrafe verlangt; zu den mitangeklagten Medien hat sie sich gar nicht geäußert und es einfach dem Gericht überlassen, ob diese überhaupt schuldig zu erklären wären. Es ist nach dieser Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft während des Prozesses schon verwunderlich, dass sie Berufung einlegt, und zwar nicht nur gegen den Freispruch von Maître Vogel, sondern auch gleich gegen den Freispruch von RTL und des Journalisten vom Journal, obschon der Staatsanwalt in der Sitzung nicht mal deren Verurteilung beantragt hatte. Das scheint schon recht paradox. Man könnte durchaus den Eindruck bekommen, dass die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Medien möchte, ohne dies deutlich und offen ausdrücken zu wollen.
Weshalb sollen hier die Medien strafrechtlich verfolgt werden?
Faktuell, weil beide Medien den Brief von Gaston Vogel als Leserbrief veröffentlicht haben. Rechtlich finde ich das aus einer Reihe von Ursachen aber falsch. Alleine schon aufgrund der Prinzipien der Pressefreiheit. Denn um was geht es im Brief von Gaston Vogel? Es geht um Missstände auf dem Gebiet der Hauptstadt, Missstände, die auf der Hand liegen, die jedem bekannt sind und über die seit längerem öffentlich diskutiert wird. Die Bürgermeisterin aber ist machtlos, trotz ihres Bemühens und ihrer Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Bereits Jahre vor dem Brief hat RTL eine gefilmte Reportage über die teilweise skandalöse Situation des Bettlertums in Luxemburg-Stadt publiziert und vieles ans Licht gebracht. Nach zwei Jahren erfolgloser öffentlicher Debatte zu dem Thema ist Gaston Vogel der Kragen geplatzt, und nicht nur ihm. Die Presse hat das aufgegriffen, weil sie weiß, dass es sich immer noch um ein aktuelles Thema handelt, viele Leute wütend über die herrschende Situation und darüber, dass sich nichts daran ändert, sind. Zusammenfassend kann man sagen, dass im Grunde die Presse hier über einen Zustand, eine Stimmung, die offensichtlich in der Bevölkerung existiert, informiert hat. Das ist nicht nur ein Recht der Presse, sondern eine Pflicht, insbesondere dann, wenn es um ein Thema von öffentlichem Interesse geht.
Die Presse informiert umfassend und möglichst unzensiert, damit der mündige Bürger sich seine freie Meinung bilden kann. […] Es gibt aber auch bei uns Grenzen: Die Presse darf sich nicht zum Handlanger von Leuten machen lassen, die einen regelrechten Aufruf zu Hass und Gewalt veröffentlichen möchten.Anwalt
Aber darf die Presse alles wiedergeben/weiterverbreiten, was sie in der Gesellschaft aufgreift?
Generell ja. Denn die Presse hat ja die Pflicht, die Öffentlichkeit über Vorgänge und Stimmungen in der Gesellschaft zu informieren. Und die Bürger haben das Recht auf Information. Dazu gehören nicht nur skandalöse, sondern auch schockierende Zustände. Extreme und schockierende Meinungsäußerungen gehören übrigens auch hierzu. Es gilt das Prinzip: Die Presse informiert umfassend und möglichst unzensiert, damit der mündige Bürger sich seine freie Meinung bilden kann. Das macht unsere freie Gesellschaft aus und unterscheidet sie von Diktaturen, in denen der Bürger nur eine sorgfältig selektierte, gefilterte und beschnittene Information erhält. Es gibt aber auch bei uns Grenzen: Die Presse darf sich nicht zum Handlanger von Leuten machen lassen, die einen regelrechten Aufruf zu Hass und Gewalt veröffentlichen möchten. Ein Presseorgan ist gut beraten, einen solchen nicht zu veröffentlichen, weil sie dann den Aufruf ermöglichen würde. Da Gaston Vogels Brief aber kein Aufruf zu Hass war, kann die Presse ihn veröffentlichen.
Was wäre denn, wenn es einen solchen Aufruf tatsächlich gäbe und die Presse darüber informieren würde?
Dann dürfte der Presse nichts geschehen, denn sie macht ihre Aufgabe: Informieren. Genau hieran sehen Sie, wie wichtig dieser Prozess für die Presse ist. Wenn es zu einer Verurteilung der Medien kommt, riskiert man in Zukunft, solche Themen unter den Teppich zu kehren und generell eine übertriebene „political correctness“ zu betreiben. Information oder gar Kritik bleiben dann aus, aus Angst von einer Strafverfolgung. In einer freien pluralistischen demokratischen Gesellschaft muss die Presse die Meinungen anderer veröffentlichen können, so störend sie auch sein mögen. Das hält auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in seinen Urteilen fest: Die freie Arbeit der Medien darf so wenig wie möglich beschnitten werden, eben um jegliche Form von Einschüchterung zu verhindern. Die Schere im Kopf darf nicht überhandnehmen. Wenn die Presse sich nicht mehr traut, etwas zu veröffentlichen, dann laufen wir Gefahr, in einer Gesellschaft leben zu müssen, wie wir sie in totalitären Staaten sehen. Wo alle Angst haben, etwas zu sagen, sich zu beschweren, weil sie Gefahr laufen, sich strafbar zu machen und vor Gericht zu landen.
In diesem Fall wurde der Stil des Schreibens von Maître Vogel angeprangert.
Die Pressefreiheit deckt auch die Form ab und es obliegt eindeutig nicht dem Strafgesetz und den Strafgerichten, sprachliche Würdigungen vorzunehmen und die Presse zu forcieren, Meinungsäußerungen zu verschweigen, nur weil diese angeblich nicht dem vermeintlich guten Ton entsprechen. Entscheidend sind der Inhalt und die Absicht. In diesem Fall entsprach der Inhalt des Schreibens von Anwalt Vogel faktisch der Wahrheit und die Presse hat den Inhalt unverfälscht veröffentlicht. Des Weiteren hat keiner, insbesondere die Medien, die Absicht gehabt, Hass hervorzurufen. Für die Presse gilt im Übrigen das von mir vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof erkämpfte Zitatrecht: Wenn Medien Meinungen von Personen wörtlich wiedergeben und den Autor der Meinung identifizieren, dürfen sie nicht für den Inhalt strafrechtlich verfolgt werden, vornehmlich dann nicht, wenn es sich um eine Information öffentlichen Interesses handelt oder um die Äußerung einer Person des öffentlichen Lebens. Schließlich ist jede Person in erster Linie immer selbst für den Inhalt ihrer offenen Briefe und öffentlichen Äußerungen haftbar.
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