Medienkolumne (3) / Medien können nicht nicht wählen
Welche Aufgabe haben Qualitätsmedien? Editpress-Generaldirektorin Michelle Cloos schreibt in ihrer Medienkolumne über das Spannungsfeld zwischen Qualität und Quantität im Journalismus. Und über die Bilder der Olympiade. Ein Zufall ist das nicht.
Zehn goldene Statuen ragen nacheinander aus der Seine heraus. Auf den Fernsehbildschirmen erscheint das Wort „sororité“. Schwesterlichkeit, ein Zeichen feministischer Solidarität.
Das war eines der zahlreichen prägenden Bilder bei der viel beachteten Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris. Die Abbildungen zeigten zehn Frauen aus der Geschichte Frankreichs: Politikerin, Künstlerin, Sportlerin, Anwältin, Denkerin, Entdeckerin, Journalistin. Zehn engagierte Frauen und Vorkämpferinnen für die Stellung der Frau in der Gesellschaft.
Das Bild war nicht zufällig gewählt, sondern sinngeladen. Eine Darstellung der Geschichte, die das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter unterstützt zum Zeitpunkt der ersten Olympiade, mit einer perfekten Parität zwischen weiblichen und männlichen Sportler*innen.
Die Gegenwart ist so vielschichtig, dass eine Auswahl getroffen werden muss, wie beim Niederschreiben der Vergangenheit
Die Geschichte einer Gemeinschaft setzt sich durch eine Reihe an vergangenen Ereignissen zusammen. Doch welche hervorgehoben werden, an welche sich eine Gesellschaft erinnert, ist auch immer eine Einschätzung. Die Gegenwart wird nicht nur durch die Geschichte definiert, der Blick auf die Vergangenheit wird von den aktuellen Lebensumständen und der angestrebten Zukunft beeinflusst. Durch die ständige Entscheidung, woran wir uns auf welche Weise erinnern, verfügen wir über die Vorzeit.
Was hat dieser Sachverhalt nun eigentlich mit Medien zu tun? Die Notwendigkeit, Dinge einzuschätzen. Die Möglichkeiten für eine Berichterstattung, eine journalistische Analyse oder Kommentare sind immens. Es gibt eigentlich fast nichts, über das nicht geschrieben werden könnte. Konjunktiv. Denn die Ressourcen der Medien sind hingegen begrenzt. Somit müssen tagtäglich Entscheidungen getroffen werden. Ereignisse müssen herausgefiltert werden. Die Gegenwart ist so vielschichtig, dass eine Auswahl getroffen werden muss, wie beim Niederschreiben der Vergangenheit.
Bringen Klicks den Kick?
Worüber geschrieben wird, mit welchem Blickwinkel, mit welchen Interview-Partnern, welchem Aufwand, welcher Größe und welcher Platzierung wird immer wieder in den Redaktionen diskutiert und festgelegt. Alles abdecken ist schier unmöglich. Medien müssen wählen. Zwangsläufig.
Das beste Beispiel hierfür ist der tägliche Vergleich mehrerer Tageszeitungen. Der Leserschaft werden am selben Tag unterschiedliche erste Seiten, unterschiedliche Artikel, unterschiedliche Themen, unterschiedliche Fotos, Illustrationen und Grafiken sowie unterschiedliche Sichtweisen geboten. Daher ergibt sich auch der Mehrwert einer regelrechten Medienvielfalt in einer gut informierten Gesellschaft.
Die permanente Entscheidungsfindung stellt Medien generell in ihrer Strategie sowie in der alltäglichen Arbeit vor große Verantwortung und Herausforderungen. Rein kommerzielle Ausrichtungen könnten Datenanalysen dazu nutzen, redaktionelle Leitlinien an Leseerfolge zu binden. Heutzutage messen die meisten Medien die Zahl der Besucher auf ihren Onlineseiten und erfassen, wie häufig verschiedene Rubriken und Artikel aufgerufen werden. Die Verführung, sich konsequent am Zahlenmaterial zu orientieren, existiert. Doch der Kick durch die Klicks hat eine Schattenseite. Es gibt ein gewisses Spannungsfeld zwischen Quantität und Qualität. Viele, schnelle, neugierige Klicks bedeuten nicht unbedingt Relevanz. Journalistisch hochwertige Artikel können sehr wohl und zum Glück viel gelesen werden, doch oftmals entpuppen sich gerade die leichteren, oberflächlichen Themen als wahre Kassenschlager.
Gerade deshalb haben Qualitätsmedien die Verantwortung, nicht einfach nach höchstmöglicher Popularität zu entscheiden, sondern gesellschaftliche Wichtigkeit als Kriterium festzulegen und Vielseitigkeit zu pflegen. Demokratische Gesellschaften benötigen gute und breit aufgestellte journalistische Berichterstattung. Mit Hintergründen. Tiefgehenden Analysen. Meinungsrubriken. Gesellschaften benötigen Informationen über alle für Menschen relevanten Lebensbereiche, sei es Politik (national, international und auf Gemeindeebene), Wirtschaft, Soziales, aber auch Kultur, Sport und das lokale Leben.
Dieses Fazit gilt für die Gegenwart der Medien sowie für ihre Zukunft. Gerade im Zeitalter der sozialen Medien. In einer Zeit von Fake News und rein profitorientierten Entertainment-Angeboten aller Art wird die Rolle der nach hohen journalistischen Standards arbeitenden Medien von zentraler Bedeutung sein – ebenso wie ihre Entscheidungen zur Berichterstattung.
* Michelle Cloos ist Generaldirektorin von Editpress
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