Digitales / Medienkonsum: „Weißt du eigentlich, wieso Google gratis ist?“- Interview mit dem Direktor des „Maacher Lycée“
Am Morgen hat Pierre Weisgerber zur „Rentrée“ 140 neue Schüler empfangen. Dieses Jahr macht er es noch gemeinsam mit dem scheidenden Direktor Gilles Estgen. Nächstes Jahr wird es anders sein. Weisgerber übernimmt die Direktion der Schule zum 1. Oktober 2024. Der ausgebildete Chemielehrer hat sich neben seiner Lehrtätigkeit auf die Nutzung und den Umgang mit Medien spezialisiert. Ein Gespräch über Google, das Fach „Digital Science“ und handyfreie Zonen im Schulbetrieb.
Tageblatt: Die Medienkompetenz ist eines Ihrer Steckenpferde. Ersetzen Smartphone oder Tablet langfristig Bücher, Füller und Papier?
Pierre Weisgerber: Ich bin davon überzeugt, dass das nicht so sein wird. Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden. Meiner Meinung nach ergänzen sich die digitale und die analoge Welt gut, aber keins von beidem sollte das andere verdrängen. Beides ist wichtig.
Pierre Weissgerber: Sie haben an der Einführung des Fachs „Digital Science“ mitgewirkt. Was sind die Inhalte?
Unsere Schüler sind alle „Digital Natives“, aber sie sind sich oft nicht der Tragweite der digitalen Welt bewusst. Man muss sie darauf vorbereiten und ihnen die verschiedenen Aspekte ihrer digitalen Präsenz bewusst machen. Wie funktioniert das Internet, Robotik, Programmieren oder künstliche Intelligenz? Das sind Fragen, die in dem Fach behandelt werden.
Sind dabei „Fake News“ – vor allem in höheren Klassenstufen – ein Thema?
Ja. „Fake News“, Beeinflussung, Mobbing sind da unter anderem Thema. Das Ziel ist es, sie zu verantwortungsvollen digitalen Bürgern auszubilden. Sie sollen nicht nur konsumieren, Stichwort Videos, sondern sich der Risiken bewusst sein, aber auch der Tragweite der eigenen Entscheidungen in puncto Veröffentlichung. Ein Beispiel sind Gewaltexzesse, die gefilmt werden und dann im Internet kursieren.
Wie machen Sie das denn?
Eine Frage, die ich gerne stelle, ist: Weißt du eigentlich, wieso Google gratis ist? Die Antwort ist meistens: Nein. Wir klären dann auf, dass man damit seine Daten verkauft und Werbung konsumiert. Für mich ist ein verantwortungsvoller digitaler Bürger einer, der keine Berührungsängste mit den neuen Technologien hat. Und es ist einer, der gleichzeitig weiß, dass hinter diesen Technologien Leute stehen, die das zu Vermarktungszwecken nutzen.
Es ist ja noch viel mehr …
Richtig. Politische Entscheidungsprozesse werden damit beeinflusst – nicht nur in den USA. Ich glaube, weltweit sind wir Propaganda ausgesetzt. Wir zeigen in „Digital Science“ mit einer persönlichen Analyse der Schüler auf, wie Filterblasen funktionieren. Oder wir zeigen im Eigenversuch auf, wie Influencer sich im Internet bewegen. Das öffnet vielen die Augen.
Was wünschen Sie sich von den Eltern beim Thema Medienkonsum und -nutzung?
Limitiertes Eingreifen. Ich habe selbst Kinder und es gibt eine Medienzeit am Tag, auf die wir uns geeinigt haben. Man muss natürlich wissen, was sie konsumieren. Das wird mit steigendem Alter der Kinder natürlich immer schwieriger. Aber alles vermeiden und verbieten kann man nicht.
Australien will ein Mindestalter für die Nutzung sozialer Medien einführen. Halten Sie etwas davon?
Ein Alter von 16 Jahren ist im Gespräch. Das, was man verbietet, ist ja immer wahnsinnig interessant. Ich denke, gerade im frühen Teenageralter ist es sinnvoll, die Nutzung sozialer Medien vielleicht nicht ganz zu verbieten, aber doch einzuschränken – vor allem Tiktok. Die Plattform gibt übrigens formell ein Mindestalter vor, 16 Jahre. Das kann man aber ohne Kontrolle mit einem einfachen Haken dahinter umgehen.
Das ist ja auch eigentlich Sache der Plattformen, das zu überwachen …
Stimmt. Aber sie greifen nicht regulierend ein. Wir helfen den Eltern dabei, Kontrollmechanismen in einem bestimmten Alter einzurichten, wenn sie das wollen. Wir haben Eltern, die wollen das. Aber es ist wie bei vielen Sachen, wenn man die volle Freiheit lässt, wird sie genutzt.
In den Lyzeen muss während des Unterrichts eine physische Distanz zu den Handys gegeben sein. Wie geht das „Maacher Lycée“ damit um?
Wir haben sogenannte „Handyparkplätze“ in den Klassenzimmern. Vor Unterrichtsbeginn müssen die Handys dort deponiert werden. Außerdem sind wir dabei, analoge Angebote zu schaffen, damit es leichter fällt, freiwillig auf das Handy zu verzichten. Wir wissen ja, wie es ist. Man will nur „schnell“ mal etwas nachschauen und schon sind zehn Minuten um …
Die Lyzeen müssen bis Pfingsten 2025 Konzepte zum Mediengebrauch der Schüler ausarbeiten. Wie weit ist das „Maacher Lycée“?
Wir sind dabei, uns Projekte auszudenken. Wir denken über handyfreie Plätze nach, wo man in den Pausen oder zwischen zwei Unterrichtseinheiten bewusst auf das Handy verzichtet. An diesen Orten muss ein Angebot sein, das interessant ist. Tischkicker, Gesellschaftsspiele oder eine Art Schülercafé zum Beispiel. Das Analoge muss interessanter sein als das Digitale. Andere Schulen im Land verbieten das Handy ganz.
Das Lycée Ermesinde …
Genau. Ich bin aber generell eher gegen Verbote und mehr für Aufklärung und Verantwortungsbewusstsein – auch wenn ich ein gewisses Suchtverhalten beobachte. Im Smartphone spielt sich heute ein großer Teil des Lebens von Jugendlichen ab.
Gibt es noch eine Beobachtung?
Die soziale Interaktion verändert sich drastisch. Schüler sitzen nebeneinander auf einer Bank hier in der Schule. Statt miteinander zu reden, schaut jeder auf sein Handy. Oder sie schreiben sich Nachrichten, anstatt miteinander zu kommunizieren, weil es lustiger ist, Bildchen zu verschicken.
Teilen Sie die Auffassung, dass es zwischen Lernschwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen und der Smartphone-Nutzung einen Zusammenhang gibt?
Studien, die ich gelesen habe, bestätigen eine Abnahme des Lernerfolges bei zu viel Medienkonsum. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, nimmt bei exzessivem Mediengebrauch ab. Auf Plattformen wie Tiktok oder Youtube kann man im Sekundentakt zwischen den Videos wechseln und muss sich nicht darauf einlassen. Wenn mich der Artikel nicht interessiert, klicke ich weiter zum nächsten.
Warum liegt Ihnen Medienkompetenz so sehr am Herzen?
Es ist nicht aufzuhalten. Außerdem soll die Schule auf die Arbeitswelt von morgen und übermorgen vorbereiten. Wenn wir als Schule die Medienkompetenz nicht in die Hand nehmen, rennen wir irgendwann nur noch hinterher und bereiten nicht mehr vor.
Das „Maacher Lycée“
Das „Maacher Lycée“ besuchen 1.250 Schüler. „Classique“, „Générale“, „voie de préparation“ und Berufsausbildung in verschiedenen Bereichen wie Schreinerei, Friseurwesen, Elektrotechnologie, Maschinenbau und für kaufmännische Berufe sind die Schulzweige. Zusätzlich wird eine BTS-Ausbildung für den Beruf des medizinisch-administrativen Assistenten angeboten. Der Lehrkorps umfasst rund 170 Personen.
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