/ Mehr Energie, weniger Karbon: In London treffen die Größen aus der Erdölbranche aufeinander
Die Ölindustrie macht eine „Wahrnehmungskrise“ durch, meint Amin Nasser, der CEO von Saudi-Arabiens nationaler Ölgesellschaft Aramco, zum Auftakt der International Petroleum (IP) Week in London.
Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Jean-Phillippe Schmit
Als Amin Nasser, der CEO von Saudi Aramco, der größten Erdölgesellschaft der Erde, vor rund einem Monat am World Economic Forum in Davos teilnahm, traf er auf viele Entscheider, die davon überzeugt waren, dass der Anstieg der Elektromobilität das rasche Ende für seine Industrie bedeuten würde.
„Meine Begegnungen in Davos haben mir klar gemacht, dass immer mehr politische Entscheidungsnehmer, Regulatoren und Investoren sich von Fakten und Logik entfernt haben. Wir stehen einer Wahrnehmungskrise gegenüber“, so Amin Nasser in London.
Diese Krise könne dazu führen, dass die Energieversorgung für Milliarden von Menschen auf diesem Planeten auf wackligen Beinen stehe. „Wenn ab heute nicht mehr in diesen Sektor investiert wird, bleiben in fünf Jahren die Ölquellen trocken“, so Nasser. Dies führe dann zu stark ansteigenden Preisen, von denen die Industrie profitieren würde. Schon heute ist Aramco das rentabelste Unternehmen der Welt.
Die Zukunft für Energieunternehmen sieht blendend aus, denn die Welt braucht eher mehr als weniger Energie. Was denn Aramco mache, wenn das COP21-Abkommen umgesetzt werde und zwei Drittel der weltweiten Ölreserven unter der Erde bleiben müssten, wollte ein Journalist wissen. „Dann werden wir globaler Leader beim Gas“, so Nasser.
Der CEO des größten Erdölproduzenten glaubt nicht daran, dass die Nachfrage nach Erdöl in den kommenden zwei Jahrzehnten einen Höhepunkt erreichen wird. Dies sieht BP in World Energy Outlook ähnlich. „80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen der Energieverbrauch unter 100 GJ pro Kopf und Jahr beträgt“, so BP. Dies würde die Notwendigkeit von „mehr Energie“ unterstreichen.
80 Prozent der Weltbevölkerung
Wenn sich die Lebensstandards dieser 80 Prozent der Weltbevölkerung weiter verbessern sollen, wird mehr Energie notwendig sein. Zwischen dem Wohlstand und dem Energieverbrauch gibt es einen ganz klaren Zusammenhang. Staaten, die den Human Development Index der Vereinten Nationen anführen, sind immer Staaten, in denen viel Energie verbraucht wird.
Das Thema Transport und Mobilität ist ein Bereich, an dem man dies festmachen kann. Hier gibt BP dem Saudi-Araber teilweise recht. Auch wenn in relativen Zahlen der Erdölanteil im Transport bis zum Jahr 2040 von aktuell 94 Prozent auf 85 Prozent verringert wird, wird, in absoluten Zahlen, der Erdölverbrauch in den kommenden 20 Jahren um vier Millionen Barrel pro Tag zunehmen.
Der Energie-Hunger der aufstrebenden asiatischen Mittelschicht sei für das erwartete Nachfragewachstum verantwortlich, meint BP. „In den OECD-Staaten geht der Verbrauch von Flüssigbrennstoffen zurück.“ Diese Verschiebung hat auch einen Einfluss auf die weltweiten Energieströme.
Das Nachfragewachstum in den Schwellenländern wird von Nicht-OPEC-Staaten abgedeckt, „allen voran mit amerikanischem Schieferöl“. Der Fracking-Boom in den Vereinigten Staaten hat dazu geführt, dass die USA erstmals seit der Ölkrise in den 1970ern wieder ein Nettoexporteur von Öl wurden. Um sechs Millionen Barrel pro Tag wird die Produktion dort zunehmen, meint BP.
Vom Importeur zum Exporteur
Damit reihen sich die USA vor Brasilien ein. Dort wurden in der Vergangenheit große Erdöllager vor der Küste entdeckt, die mittlerweile produzieren. Um zwei Millionen Barrel pro Tag (Mb/d) werde die Ausbeute dort zunehmen.
Russland findet sich mit einer Steigerung von einer Mb/d auf dem dritten Platz wieder. „Diese Produktionszunahme gleicht die Rückgänge in anderen Ölgegenden, wie z.B. in der Nordsee, mehr als aus“, schreibt BP. Bis zum Jahr 2030 soll zudem die OPEC-Produktion um 4 Mb/d zunehmen.
Wie die Zukunft des Erdöls aussehen wird, kann BP nicht mit Sicherheit sagen. Aktuell braucht der Planet rund 98 Mb/d. Wenn die aktuelle Entwicklung anhält und die Schwellenländer sich weiterentwickeln, werden es im Jahr 2030 108 Mb/d sein. Dazu seien aber „signifikante Investitionen“ notwendig, meint BP.
Ohne solche würde die Erdölproduktion um 4,5 Prozent pro Jahr abnehmen und im Jahr 2040 nur noch 35 Mb/d betragen. „Um die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot zu schließen, müssen über die kommenden 20 Jahre Billiarden in die Erschließung von neuen Öllagern investiert werden.“
Von Höchstpreisen zu einer Ölschwemme
Unabhängige Experten schätzen, dass von allen Sedimentbecken, die theoretisch Öl enthalten könnten, bisher nur ein knappes Drittel erschlossen sind. Ein Drittel ist nur teilweise exploriert, das restliche Drittel ist noch gar nicht erforscht. Es gibt also noch reichlich Öl, es wird aber immer komplizierter, um an dieses zu gelangen. Ein Teil davon liegt in den Tiefen der Ozeane, andere unerschlossene Lagerstätte liegen in der Arktis.
Höhere Preise machen aber die Ausbeutung von bisher unerreichbaren Vorkommen rentabel. Zudem setzen sich immer bessere Fördertechniken durch. Der natürliche Druck im Ölfeld reicht aus, um 10-15 Prozent des Öls der Lagerstätte an die Oberfläche zu befördern. Wenn der Druck nachlässt, gehen die Produzenten in die Sekundärförderung über. Durch Einpressen von Wasser oder Erdgas in die Lagerstätte steigt der Druck erneut und das Öl sprudelt wieder.
Bei der aufwendigen Tertiärförderung werden Heißwasser oder Heißdampf, Chemikaliencocktails und Gase in die Lagerstätte gepumpt. So lassen sich Entölungsgrade von 70 Prozent erreichen. Vor der Wirtschafts- und Finanzkrise aus dem Jahr 2008 kostete ein Barrel knapp unter 150 Dollar. Das führte dazu, dass vermehrt in die Erschließung von neuen Feldern und alternativen Produktionsmethoden investiert wurde.
Diese Investitionen machten sich bezahlt, die Produktion stieg in der Folge rapide an, die Preise gingen in den Keller. Nur 25 Dollar war ein Barrel im Jahr 2014 wert.
Heute sieht die Situation so aus, dass es zu viel Öl auf dem Markt gibt, zusätzlich sollen – um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen – zwei Drittel der weltweiten Reserven in der Erde bleiben.
Dies könnte Billigproduzenten (manche Felder in Saudi-Arabien produzieren schon ab Preisen von drei Dollar mit Gewinn) dazu verleiten, die Produktion auszuweiten.
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