Soziales / Mehr Rechte für Plattform-Arbeiter: Mitgliedstaaten stimmen mit qualifizierter Mehrheit zu
Wohl schneller als gedacht haben die zuständigen EU-Sozial- und Arbeitsminister bei ihrer Ratstagung gestern in Brüssel der Einigung mit dem Europäischen Parlament (EP) über die sogenannten Plattform-Arbeiter zugestimmt.
Der luxemburgische EU-Sozial- und Beschäftigungskommissar Nicolas Schmit kann aufatmen. Eines seiner größten Gesetzesprojekte dieser Legislaturperiode hat eine der letzten Hürden genommen: die Regelung von Rechten der Plattform-Beschäftigten, wie es sie etwa in Bereichen wie dem Lieferservice oder dem Taxiwesen gibt. Beim dritten Anlauf unterstützte eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten den im vergangenen Februar zwischen den Verhandlern des EP sowie der belgischen EU-Ratspräsidentschaft gefundenen Kompromiss. Eine „Überraschung“ habe letztendlich die qualifizierte Mehrheit ermöglicht. Estland hatte laut Diplomaten im letzten Moment seine Haltung zu dem Gesetz geändert. Damit wurde die nötige Mehrheit von 15 Mitgliedstaaten erreicht, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen. Deutschland enthielt sich der Stimme, da die Liberalen in der deutschen Regierungskoalition gegen die Richtlinie sind. Auch Frankreich stimmte der Richtlinie nicht zu.
„Europa hat es geschafft“, sagte Nicolas Schmit im Anschluss an die Ratstagung. Erstmals auf der Welt würden nun die Arbeitsbedingungen von Plattform-Beschäftigten geregelt. Es sei dies eine Einigung, die wohl ihre Wirkung über die Grenzen der EU hinaus entfalten werde, meinte der luxemburgische EU-Kommissar. Denn auch in den USA habe es bereits Versuche gegeben, Regeln für die Plattform-Beschäftigten festzulegen. Menschen, die für Plattformen arbeiten, sollen auch von Arbeitsrechten profitieren können, so Nicolas Schmit weiter und verwies darauf, dass es sich bei ihnen nicht um Selbstständige, sondern oft genug um „prekär Beschäftigte“ handele.
Die Plattform-Beschäftigten werden oft als Selbstständige geführt, sei es im Bereich der Essensauslieferung, bei Fahrradkurieren oder Beschäftigten des Fahrtendienstes „Uber“. Die Plattform-Betreiber, die eigentlich Arbeitgeber sind, entziehen sich so der Pflicht, ihre Beschäftigten sozial zu versichern. Mit der neuen Regelung soll nun dieser Scheinselbstständigkeit entgegengewirkt werden. Es obliegt künftig der Arbeitsplattform, den Beweis zu liefern, dass es sich bei ihren Beschäftigten nicht um eine Scheinselbstständigkeit handelt. „Jene, die für Plattformen arbeiten, sollen auch von Arbeitsrechten profitieren können“, sagte Nicolas Schmit.
„Historische Premiere“
Der belgische Wirtschafts- und Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne seinerseits feierte eine „historische Premiere“: Denn erstmals werden über ein europäisches Gesetz die Entscheidungen eines Managements geregelt, das sich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses der Künstlichen Intelligenz (KI) bedient. So werden Plattform-Beschäftigte „ordnungsgemäß über den Einsatz automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme, unter anderem in Bezug auf ihre Einstellung, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Einkommen informiert“, wie es in einer Mitteilung des EU-Rates heißt. Algorithmen regeln die Vermittlung zwischen den Kunden und der Arbeitsplattform, also den dort Beschäftigten. Nicolas Schmit bezeichnete es als einen „großen Fortschritt“, weil festgelegt werde, welche Rechte die Beschäftigten gegenüber solchen Algorithmen haben. „Der Mensch muss Rechte gegenüber der Maschine haben“, so der luxemburgische EU-Sozialkommissar. Das sei auch ein Element, das noch für künftige Regelungen Bedeutung haben werde.
Derzeit gelten EU-weit mehr als 28 Millionen als Plattform-Beschäftigte. Bis zum Jahr 2025 könnte sich ihre Zahl auf 43 Millionen Beschäftigte erhöhen, so Schätzungen, die vom Generalsekretariat des EU-Rates angeführt werden. Neben den Fahrdiensten (Taxi) und Lieferdiensten werden mittlerweile auch häusliche Dienste, Fachdienstleistungen, wie etwa im Rechnungswesen, freiberufliche Dienste oder Betreuungsdienste über Arbeitsplattformen angeboten. Meist handelt es sich um junge, männliche Beschäftigte mit postsekundärer Ausbildung, die über diesen Weg einer Zweitbeschäftigung nachgehen.
Nachdem sich die EU-Staaten mit qualifizierter Mehrheit darauf geeinigt haben, dem mit dem EP ausgehandelten Kompromiss zuzustimmen, müssen nun noch die EU-Parlamentarier grünes Licht geben. Anschließend haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Gesetz umzusetzen.
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