Förderschule als Lichtblick / „Mein Kind, das immer nur geweint hat, lachte wieder“
Die Eltern von fünf minderjährigen Schülern aus Luxemburg erhielten eine schriftliche Bestätigung, dass ihre Kinder mit besonderen Bedürfnissen auf einer Förderschule im grenznahen Rheinland-Pfalz aufgenommen wurden. Jedoch hatte die Trierer Aufsichtsbehörde ihr Einverständnis dazu nicht gegeben. Für die Betroffenen war es, als würde man ihnen den Boden unter den Füßen wegreißen. Am Ende konnte dennoch eine Lösung gefunden werden.
Im November 2020 sagte das 10-jährige Mädchen zu seinem Vater, sich das Leben nehmen zu wollen. Das Kind hat Lernschwierigkeiten und musste den Zyklus 1, früher „Spillschoul“ genannt, auf drei Jahre verlängern. Das Gleiche passierte im Zyklus 2. „Meine Tochter kann nicht bis 20 zählen und ist mit den Sprachen überfordert“, sagt der Vater, der anonym bleiben möchte, gegenüber dem Tageblatt.
Vor rund acht Monaten spitzte sich die Situation zu. Die Mitschüler hänselten seine Tochter und sagten Sachen wie: „Geh doch zurück in die ‚Spillschoul‘!“ Daraufhin habe seine Tochter die Motivation verloren, sei depressiv geworden und habe Medikamente nehmen müssen, erzählt der Vater. Sie wollte nicht mehr zur Schule gehen. Dann habe sich die Möglichkeit ergeben, dass sie ab nächstem Schuljahr nach Rheinland-Pfalz auf eine sonderpädagogische Förderschule gehen kann. Doch die Freude darauf ist von kurzer Dauer. Trotz schriftlicher Zusage von der Schule, darf das Kind diese nicht besuchen. Dennoch wurde inzwischen eine andere Lösung gefunden.
Meine Tochter war noch nie so glücklich in einer Schule. Sie durfte den ganzen Tag ihre neuen Mitschüler, Lehrer und Pädagogen kennenlernen.
Laut aktuellem Luxemburger Schulgesetz hat das Bildungsministerium die Möglichkeiten, Schüler mit besonderen Bedürfnissen, die in den Kompetenzzentren (früher: Ediff) hierzulande keine adäquate Betreuung bekommen können, ins Ausland zu schicken. Dies kann aber nur nach einer entsprechenden Entscheidung der „Commission nationale d’inclusion“ (CNI) erfolgen. In diesem konkreten Fall sowie in vier weiteren Fällen lag eine solche Entscheidung vor. Das war Ende Juni, Anfang Juli 2021. Zudem hatte auch eine Förderschule in Deutschland den Eltern dieser fünf Kinder aus Luxemburg bereits eine schriftliche Zusage erteilt.
Auf die Freude folgt die Ernüchterung
„Wir und die anderen vier Elternteile haben bereits einen Vertrag unterschrieben, dass unsere Kinder auf der Don-Bosco-Schule in Wiltingen bei Konz für das nächste Schuljahr eingeschrieben sind“, so der Vater. So durfte seine Tochter einen Schnuppertag an dieser Förderschule verbringen. „Meine Tochter war noch nie so glücklich in einer Schule. Sie durfte den ganzen Tag ihre neuen Mitschüler, Lehrer und Pädagogen kennenlernen.“ Das Kind sagte zum Vater: „Ich freue mich, wenn die Ferien vorbei sind.“ In den letzten vier Jahren hat sie, so der Vater, so etwas nie gesagt. „Wir haben endlich Licht am Ende des Tunnels gesehen. Mein Kind, das immer nur geweint hat, lachte wieder“, so der Vater. Das war vor drei Wochen, als das Mädchen in Deutschland war.
Jetzt haben wir einen Durchbruch bei meinem Kind erreicht. Es ist wieder froh und glücklich. Und jetzt soll ich meiner Tochter sagen, du gehst nicht in diese Schule. Das nimmt mich richtig mit.
Doch dann folgte die Ernüchterung. Die Schulaufsichtsbehörde in Trier blockierte das Vorhaben. In einer E-Mail an das luxemburgische Bildungsministerium schrieb die Behörde, dass diese fünf Kinder keineswegs an der Don-Bosco-Schule in Wiltingen angenommen werden können. Dies sagte Alexandra Forster auf Tageblatt-Nachfrage. Sie ist Verantwortliche für den Bereich sonderpädagogische Förderung an der Schulaufsichtsbehörde in Trier. Die Überraschung bei den Eltern war groß, da sie glaubten, das Ganze sei in trockenen Tüchern. Schließlich hatten sie einen Vertrag mit dieser Förderschule unterschrieben. „Jetzt haben wir einen Durchbruch bei meinem Kind erreicht. Es ist wieder froh und glücklich. Und jetzt soll ich meiner Tochter sagen, du gehst nicht in diese Schule. Das nimmt mich richtig mit.“
Die Schule kann diese Zusage allerdings nicht einhalten, da sie aktuell nicht über die nötigen Kapazitäten verfügt
Der Vater sagte gegenüber dem Tageblatt, dass dieses Jahr weniger Schüler in der Don Bosco-Schule eingeschrieben seien als vergangenes Jahr. Auch habe der Träger der Schule, der verantwortlich für die Räumlichkeiten ist, dem Vater versichert, dass es genug Platz gebe. Deshalb versteht der Vater nicht, wieso diese fünf Schüler nun nicht mehr dort aufgenommen werden können. Eine Nachfrage des Tageblatt bei der Schulleitung der Don-Bosco-Schule blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Transfer nach Deutschland nicht geregelt
Die Pressesprecherin des luxemburgischen Bildungsministeriums bestätigte gegenüber dem Tageblatt, dass die Don-Bosco-Schule den betroffenen Eltern tatsächlich eine Zusage für die Einschreibung ab nächster „Rentrée“ am 30. August gemacht hat. „Die Schule kann diese Zusage allerdings nicht einhalten, da sie aktuell nicht über die nötigen Kapazitäten verfügt.“ Das Bildungsministerium bedauert, dass eine Zusage gemacht wurde, die nicht eingehalten werden konnte. In den Gesprächen mit der rheinland-pfälzischen Behörde werde nach einer konstruktiven Lösung entweder in Deutschland oder in Luxemburg gesucht, damit jedes Kind die für es notwendige Bildung bekomme.
Im Jahre 2018 soll es bilaterale Gespräche zwischen Vertretern des luxemburgischen Bildungsministeriums und der rheinland-pfälzischen Schulaufsichtsbehörde gegeben haben. Zu diesem Thema hatte CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen jüngst eine parlamentarische Frage gestellt. Die Abmachungen waren allerdings nur mündlich ausgesprochen worden. Laut Tageblatt-Informationen soll es in der Trierer Aufsichtsbehörde kürzlich zu einem Wechsel an der Spitze gekommen sein. Ist dies vielleicht der Grund, weshalb die mündliche Vereinbarung keinen Bestand mehr hat? Wäre es nicht vielleicht sinnvoll, in Zukunft ein bilaterales schriftliches Abkommen zu unterschreiben?
Fünf weitere Schüler können wir dort auf keinen Fall aufnehmen. Wir müssen nach Alternativen suchen.Schulaufsichtsbehörde in Trier
Alexandra Forster von der Schulaufsichtsbehörde in Trier sagt, dass der Transfer von luxemburgischen Schülern an deutsche Förderschulen grundsätzlich nicht geregelt ist. Es gebe auch kein Kooperationsabkommen zwischen Luxemburg und Deutschland. „Trotzdem haben wir in der Vergangenheit immer in einer guten Kooperation mit Luxemburg Schüler aufgenommen.“ Man habe stets eine Duldung für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgesprochen. Dennoch sei dies immer auch von den personellen und räumlichen Kapazitäten abhängig gewesen.
Erhebliches Kapazitätsproblem in Rheinland-Pfalz
Auch das luxemburgische Bildungsministerium sagt, dass es kein allgemeines Abkommen über die Aufnahme von Luxemburger Schülern in ausländischen Sonderschulen gibt. Die Aufnahmen werden Fall für Fall entschieden. Die Zusammenarbeit habe bislang immer gut funktioniert. Die Trierer Behörde sieht sich in diesem Jahr mit erheblichen Problemen bei den Räumlichkeiten und der personellen Situation konfrontiert, sagt Forster. „Deswegen können wir diese fünf Schüler in der Don-Bosco-Schule nicht aufnehmen.“ Laut Forster habe die Don-Bosco-Schule bereits Container aufgerichtet, um alle Schüler unterrichten zu können. „Fünf weitere Schüler können wir dort auf keinen Fall aufnehmen. Wir müssen nach Alternativen suchen“, sagt sie. Fünf Schüler entsprechen in einer Förderschule einer halben Klasse. Das sei viel.
Wenn wir die Schüler aus Luxemburg aufnehmen, dann müssen ja auch die Unterrichtsbedingungen gut sein. Sonst versprechen wir denen eine gute Förderung, die wir nicht einhalten können.Schulaufsichtsbehörde in Trier
Aber wieso hat die Don-Bosco-Schule mit den Eltern einen Vertrag unterschrieben? Forster vermutet, dass sich die Schulleitung hier etwas weit aus dem Fenster gelehnt habe. Dies sei von der Aufsichtsbehörde nicht autorisiert worden. „Wenn wir die Schüler aus Luxemburg aufnehmen, dann müssen ja auch die Unterrichtsbedingungen gut sein. Sonst versprechen wir denen eine gute Förderung, die wir nicht einhalten können.“ Forster versicherte dem Tageblatt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Lösung in Grenznähe für diese fünf Schüler gefunden werde.
In der mündlichen Vereinbarung zwischen den zwei Behörden sei vor allem der Workflow nicht geklärt worden, sagt Forster. „Im konkreten Fall sind wir erst sehr spät involviert worden.“ Die Aufstellung des Personals habe einen bestimmten zeitlichen Ablauf. Zudem müsse man wissen, mit wie vielen Schülern man rechnen soll. „Es ist ein Problem, wenn ich das erst sehr spät erfahre.“ Forster verweist mehrmals auf die Wichtigkeit eines schriftlichen bilateralen Abkommens. Grundsätzlich sei sie daran interessiert. Dieses Abkommen sollte dann sämtliche Vorgehensweisen festlegen, damit es nicht mehr zu einer solchen Situation wie in der Don-Bosco-Schule kommen kann.
Kurz vor Redaktionsschluss sagte die Pressesprecherin des luxemburgischen Bildungsministeriums gegenüber dem Tageblatt, dass die fünf Kinder allesamt einen Platz in grenznahen rheinland-pfälzischen Förderschulen bekommen werden. Dies sei dank einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Behörden erreicht worden. „Somit bekommt jedes Kind ein qualitativ gleichwertiges Angebot, das seinen Bedürfnissen entspricht.“
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