Von 16 auf 18 Jahre / Meisch gibt Details zur Anhebung des Schulpflichtalters
Die Schulpflicht in Luxemburg soll von 16 auf 18 Jahre angehoben werden. Dies soll verhindern, dass Jugendliche unter 18 Jahren zu Schulabbrechern werden, ohne ein Diplom in der Tasche zu haben. Am Dienstag gab Bildungsminister Claude Meisch Erläuterungen zu dem neuen Gesetzesprojekt.
Im Laufe des Schuljahres 2020/21 haben 647 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren die Schule ohne Abitur oder Diplom abgebrochen. „Das sind alles Einzelschicksale, wo jedes Mal eine individuelle Geschichte dahintersteht“, sagte Bildungsminister Claude Meisch am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Er verwies auf eine Studie des Liser („Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“), die das Bildungsministerium in Auftrag gegeben hat. „Die Liser-Studie zeigt, dass die jungen Schulabbrecher im Prinzip eine Ausbildung machen wollen“, sagte Meisch. „Auch sie haben einen Lebenstraum, auch sie wollen Perspektiven haben und spüren, dass eine Ausbildung für ihren Lebensweg einfach besser wäre, obwohl es in der Schule nicht mehr funktioniert.“ Die Liser-Studie soll demnächst im Detail vorgestellt werden.
Ein Schulabbruch könne eintreten, wenn ein Jugendlicher falsch orientiert sei und sich demnach in einer falschen Klasse oder Ausbildung befände, so Meisch. Dies sei der einfachste Fall. Oft aber müsse man bei den Schulabbrechern persönliche Probleme, fehlende Stabilität in der Familie und im privaten Umfeld, gesundheitliche Probleme, eine nicht stabile mentale Gesundheit und nicht selten einen regelmäßigen Drogenkonsum feststellen. „Oft beobachtet man auch im Vorfeld eines Schulabbruchs Warnsignale, wie sinkende schulische Leistungen und vermehrte Abwesenheit. Irgendwann kommt der Schüler gar nicht mehr zur Schule“, sagte der Bildungsminister.
Die Schulabbrecher haben andere Ansprüche, andere Sorgen, als nur die schulischen ProblemeBildungsminister
Hinter diesen Einzelschicksalen stecke laut Meisch eine Gemeinsamkeit. „Die Schulabbrecher haben andere Ansprüche, andere Sorgen, als nur die schulischen Probleme“, so der Bildungsminister. Deshalb müsse man in der Schule anders mit ihnen arbeiten und zudem in der Familie intervenieren, um die psychische Gesundheit wieder zu stärken. „Das kann die Schule nicht alleine.“ Aus diesem Grund müsse man sich mit anderen Experten assoziieren, unter anderem aus dem Bereich der „Aide à l’enfance et la famille“, die dem Bildungsministerium untersteht. „Erst wenn die Lebenskompetenzen gestärkt werden, kann die Schule zu ihrer eigentlichen Mission zurückfinden“, sagte Meisch.
88 Prozent der Schulabbrecher ohne Arbeit
Kritiker des neuen Gesetzes zur Schulpflicht würden laut Meisch sagen: „Dann gehen sie eben arbeiten.” Aber genau dies trete nicht ein, sagte der Minister. Von den 647 Schulabbrechern im Schuljahr 2020/21 seien laut Meisch im März 2021 nur 77 einer bezahlten Arbeit samt Arbeitsvertrag nachgegangen. „Das sind knapp 12 Prozent der Schulabbrecher. Die anderen 88 Prozent gehen keiner geregelten Arbeit nach, gehen weder in die Schule noch befinden sie sich in einer Ausbildung.“ Der Bildungsminister zählt diese Jugendlichen zu den sogenannten Neet („Not in education, employment or training“). Die Schulpflicht auf 18 Jahre hochzusetzen, habe zum Ziel, das Phänomen der Neet stärker und anders anzugehen. Heute könne man keinem jungen Menschen anraten, ohne Abschluss arbeiten zu gehen. Über Monate oder gar Jahre inaktiv zu Hause zu hocken, bedeute für jene Jugendlichen, sich immer mehr von der Lebensrealität zu entfernen. Dadurch werde die Reintegration in die Schule oder die Integration in den Arbeitsmarkt immer schwieriger.
Wir geben uns heute schon viel Mühe, um Jugendliche, die der Schule den Rücken gedreht haben, zurückzugewinnenBildungsminister
„Wir geben uns heute schon viel Mühe, um Jugendliche, die der Schule den Rücken gedreht haben, zurückzugewinnen“, so Meisch. Nur bei einem kleinen Bruchteil gelinge dies. Der Minister nannte die Arbeit der „Antenne locale pour jeunes“ des SNJ („Service national de la jeunesse“) sowie die Prävention in den Schulen. Die Mühe habe ihre Früchte getragen, denn zwischen dem Schuljahr 2016/17 und 2019/20 sei die Quote der Schulabbrecher zurückgegangen. 2020/21 sei die Quote aufgrund der Pandemie wieder hochgeschnellt, während im laufenden Schuljahr die Wiedereinschreibungen wiederum extrem hoch gewesen seien.
Im EU-Vergleich liege Luxemburg bei der Schulabbrecherquote gar nicht so schlecht, sagte Meisch. Im Jahr 2020 brachen 8,2 Prozent der Jugendlichen, die nicht mehr schulpflichtig waren, ihre Schule ab. Auf EU-Niveau waren das 10,1 Prozent. Meisch betonte aber auch, dass Luxemburg durch die neue Maßnahme weder Vorreiter noch Schlusslicht in der EU sei. „Luxemburg nimmt an einem internationalen Trend teil“, so der Minister. Dieser Trend sehe vor, die Schulpflicht auf 18 Jahre hochzusetzen. In Belgien gelte die Schulpflicht bis 18 Jahre. In Deutschland variiere es zwischen den einzelnen Bundesländern. Bundesweit liege die Schulpflicht bei 18, beziehungsweise 19 Jahren. In Frankreich gelte seit 2020 eine Ausbildungspflicht bis 18 Jahre. Auch Portugal habe eine Schulpflicht bis 18 Jahre.
Psychosoziale Betreuung für schulmüde Jugendliche
Bildungsminister Claude Meisch stellte am Dienstag klar, dass die Anhebung der Schulpflicht nicht bedeuten würde, dass Schüler, die eine Lehre in einem Betrieb machen würden und dazu parallel die Schule besuchten, bis zum 18. Lebensjahr warten müssten, um ihre Lehre anzufangen. Dies sei falsch. Auch gebe es im neuen Gesetzesprojekt eine Ausnahme. Demnach könne die Schulpflicht bereits vor der Volljährigkeit entfallen, sobald der Schüler einen Abschluss in der Tasche habe. Dies könne ein Abitur oder ein Diplom wie ein CCP, DAP oder Technikerdiplom sein.
„Das Anheben des Schulpflichtalters gibt uns mehr Zeit für eine intensive Begleitung der Jugendlichen“, sagte Meisch. So könne man stärker auf die anderen Bedürfnisse der Schüler eingehen. Man solle sich dennoch bewusst sein, dass es nichts bringe, Jugendliche, die mit der Schule abgeschlossen haben, zu ihrer Bildung zu zwingen. Diese Schüler seien schulmüde. Deshalb brauche man für solche Fälle eine starke psychosoziale Betreuung. Die Schule müsse sich demnach auch für Schüler ändern, die schulmüde sind. Ansonsten würden sie lediglich zwei Jahre länger in die Schule gehen, ohne dass daraus etwas Positives entstünde. Man müsse über neue Formen der Ausbildung nachdenken, die stets das Ziel haben sollten, zurück in einen normalen Ausbildungsweg zu kommen und einen normalen Abschluss zu machen. Meisch nannte als Beispiel den „Centre d’insertion socio-professionnelle“.
Im Regierungsrat vom 11. Februar, kurz vor den Karnevalsferien, wurde das Gesetzesprojekt adoptiert. Nun gehe es seinen Weg durch die Instanzen, sagte Meisch. Im Gesetzesprojekt ist eine Übergangszeit von drei Jahren vorgesehen. „Diese drei Jahre müssen genutzt werden, um andere Lernmöglichkeiten und Kapazitäten in den Schulen einzusetzen“, so Meisch. „Mit der Anhebung wird unser Schulsystem sicher gerechter, weil wir niemanden hängenlassen bis zur Volljährigkeit.“ Das Gesetz könnte laut Meisch bis zum Ende des Jahres gestimmt werden. Durch das neue Gesetz würden rund tausend Schüler mehr zur Schule gehen und dementsprechend müsste eine andere Art der Betreuung angeboten werden. Meisch nannte das Vorhaben „eine Herausforderung für unser Schulsystem“.
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