Gesetzesprojekt / Meisch zieht bei Liberalisierung von Direktionsposten an Schulen die Notbremse
Am Mittwoch sollte über das umstrittene Gesetzesprojekt 7662 von Bildungsminister Claude Meisch in der Chamber abgestimmt werden. Das Gesetz sieht vor, Direktionsposten in Lyzeen für Akteure aus der Privatwirtschaft zugänglich zu machen. Es hagelte Kritik von allen Seiten. Unzählige Gewerkschaften und Oppositionsparteien, aber auch „déi jonk gréng“ stellen sich quer. Gewerkschaftler rufen zu einer Protestkundgebung auf. Am Montagnachmittag noch wies Bildungsminister Claude Meisch die Kritik zurück, am frühen Abend folgte dann der Rückzieher des Gesetzesprojektes von der Tagesordnung.
Vier spezialisierte Schulen – LTPS, LTPES, die Ackerbauschule in Ettelbrück und die Schule für Hotellerie und Tourismus in Diekirch – sind vom Gesetzesprojekt 7662 betroffen. Vorerst. Bei diesen vier Schulen sollen in Zukunft die Direktionsposten für Kandidaten aus der Privatwirtschaft zugänglich gemacht werden. Ein weiteres Gesetzesprojekt sieht zudem das Gleiche mit den Direktionsposten von Verwaltungen des Bildungsministeriums vor. Hierzu zählen unter anderem Script („Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“) und IFEN („Institut de formation de l’Education nationale“).
Das Vorhaben hat einen Aufschrei bei unzähligen Gewerkschaften, Oppositionsparteien und auch bei „déi jonk gréng“, die der Mehrheitspartei „déi gréng“ nahe stehen, provoziert. CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen berief zusammen mit dem CSV-Abgeordneten Claude Wiseler am Montagmorgen eine Pressekonferenz zum Thema ein. Am Nachmittag versuchte Bildungsminister Claude Meisch die Vorwürfe zurückzuweisen. Einige Stunden später, am frühen Abend, folgte die Einsicht. Meisch zog die Notbremse und nahm das Gesetzesprojekt kurzerhand von der Tagesordnung am Mittwoch. Der öffentliche Diskurs über das Projekt habe ihn dazu bewogen. Doch verschoben ist nicht aufgehoben.
„Wir sind gegen eine Braderie des öffentlichen Dienstes“, so Martine Hansen. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der ‚fonctionnaires’ und – in diesem Fall – der vielen engagierten Leute in den Schuldirektionen.“ Dieses Gesetz dürfe eigentlich nicht gestimmt werden, so die Fraktionspräsidentin. Das Gesetzesprojekt sei schlecht für die Zukunft der hiesigen Schulen und Verwaltungen.
Wir sind gegen eine Braderie des öffentlichen DienstesCSV-Fraktionspräsidentin
Hansen zitiert Wilhelm Busch: „Das war der erste Streich, der zweite folgt sogleich.“ Damit meint die CSV-Poitikerin ein weiteres Gesetzesprojekt, das sich auf dem Instanzenweg befindet. Hier werde das Gleiche bei den Verwaltungen wie Script und IFEN gemacht. „Wer A sagt, wird auch B sagen.“ Hansen zitiert aus dem „Exposé des motifs“ im Gesetz 7662: „D’autres lycées pourraient s’y ajouter.“ Die Fraktionspräsidentin befürchtet, dass dieses Zitat den Weg für weitere Lyzeen freimachen könnte, ebenfalls auf Direktoren aus dem Privatsektor zurückzugreifen. „Wenn hier erst mal ein Anfang gemacht wird, dann befürchte ich, dass das munter weitergeht.“ Das wolle man mit den Mitteln, die man habe, verhindern.
Meisch führte im Vorfeld keine Gespräche
„Hier wurden wohl zufällig vier spezialisierte Schulen von Herrn Meisch herausgesucht.“ Mit den betreffenden Schulen habe der Minister laut Hansen im Vorfeld keine Gespräche geführt. „Diese vier Schulen sind keine Lyzeen zweiter Klasse“, moniert die CSV-Abgeordnete. „Wenn man eine solche Schule leitet, muss man auch Erfahrung im Schulwesen haben“, sagt sie. Zudem müsse man wissen, wie man richtig Schule hält, weil man als Direktor auch die Praktikanten kontrolliert und auch mal einem Lehrer sagen muss, was nicht klappt. Darin müsse man sich auskennen, sonst sei man nicht glaubwürdig. Auch bei der ungenauen Formulierung zur Sprachkompetenz sieht Hansen ein Problem.
Was der CSV große Sorgen bereitet, ist das Zitat „D’autres lycées pourraient s’y ajouter“. Weitere Lyzeen könnten zum gegebenen Zeitpunkt ebenfalls betroffen sein. „Dabei denke ich an die ECG (,Ecole de commerce et de gestion“), was ja ganz sicher auch eine spezialisierte Schule ist“, so Hansen. Sie nennt zudem das Athénée, das Diekircher Lycée und das Mamer Lycée. Alle drei Schulen seien auf irgendeine Weise spezialisiert. „Das hier riskiert nur der erste Schritt zu sein.“
Mit dem Gesetzesprojekt 7662 wird ermöglicht, dass „fonctionnaires“ oder „employés“ beim Staat, die in der Klasse A eingestuft sind, Direktor eines Lyzeums werden können, ohne dass sie im Prinzip die Fähigkeit haben, Unterricht geben zu können. Sie brauchen laut diesem Gesetz auch keinen pädagogischen Grundriss. Jede Person aus dem Privatsektor kann unter der Voraussetzung, im Besitz eines Bachelordiploms oder einer Meisterprüfung zu sein, Direktor eines Lyzeums werden. Dafür benötigt diese Person weder „concours“ noch „stage“, Examen, Kenntnisse über das Schulsystem oder Beherrschen der drei offiziellen Landessprachen.
Hansen sagt, dass dieses Gesetz die Tür weit aufreißt für Klientelismus und Vetternwirtschaft. Auch basiere das Gesetz auf falschen Behauptungen, was dessen Notwendigkeit anbelangt. Im Bericht steht: „Ces lycées rencontrent de plus en plus de difficultés à recruter des candidats pour les fonctions dirigentes.“ Hansen kann nicht nachvollziehen, wie Meisch auf diese Begründung kommt. Diese Posten seien schließlich noch nicht ausgeschrieben worden. Dann könne er dies folglich auch nicht wissen.
Meisch will Gesetz in Coronazeiten durchprügeln
„Das Projekt wird nun in Coronazeiten durchgeprügelt, wobei der Minister hier besser hätte, andere Sachen zu tun“, sagt Hansen. „Wir haben gerade ganz andere Probleme, da muss man sich nicht noch andere suchen gehen.“ Der Staat und die Schulen dürfen laut Hansen nicht zur Spielwiese einzelner Menschen oder Parteien werden. Sie sieht die Mehrheitsparteien in ihrer Verantwortung. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass Meisch am frühen Abend das Projekt von der Tagesordnung nehmen würde. Hansen sagte am Morgen: „Wir werden am Mittwoch dafür plädieren, dieses Projekt von der Tagesordnung zu nehmen.“ So könne man eventuell erreichen, dass die Mehrheitsparteien dies unterstützen, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
Doch nicht nur die CSV-Fraktion, sondern auch „déi jonk gréng“ lehnen das geplante Gesetz sowohl aus inhaltlichen als auch aus formellen Gründen ab. Die jungen Grünen sprechen sich in einer Pressemitteilung für den Erhalt pädagogischer Kompetenzen im Bildungswesen und für eine Kultur des Dialogs in der Bildungspolitik aus.
Zur Leitung von Bildungseinrichtungen sei es unerlässlich, dass die Führungsposten mit Menschen besetzt werden, die eine profunde Kenntnis der spezifischen schulischen Gegebenheiten und der verschiedenen Akteuren in bestimmten Lyzeen haben, um auf dieser Basis ihre koordinierte Arbeit kompetent ausüben zu können. „déi jonk gréng“ bedauern den Umstand, dass das Gesetzesprojekt, das erst Anfang September vom zuständigen Minister vorgelegt worden ist, bereits an diesem Mittwoch im Parlament verabschiedet werden soll. „Wir stehen für eine Bildungspolitik, bei der alle beteiligten Akteure eingebunden werden und eine breite öffentliche Debatte zu Gesetzesprojekten stattfindet, aus der gegebenenfalls die Notwendigkeit inhaltlicher Anpassungen hervorgeht, ehe sie verabschiedet wird.“
Sollte das Gesetz durchkommen, fordern die jungen Grünen, dass etwaige Quereinsteiger ohne jahrelange berufliche Erfahrungen im Bildungswesen obligatorische Fortbildungen im pädagogischen Bereich absolvieren müssten, ehe sie einen Direktionsposten antreten. Auch die ADR übt Kritik am Gesetzesprojekt und befürchtet einen Angriff auf die Luxemburger Sprache, auf die Integrität des öffentlichen Dienstes und auf die Qualität des Schulsystems.
Ein absolutes „No-go“ für Gewerkschaften
Die Féduse („Fédération des universitaires au service de l’Etat“)/CGFP („Confédération de la fonction publique“) und ADIL („Association des membres des directions de l’enseignement post-fondamental public luxembourgeois“) wenden sich mit einem offenen Brief mit dem Titel „Stopp! Esou net!“ an die Abgeordneten. Das Gesetzesprojekt 7662 stellt für die Gewerkschaftler ein „absolutes No-go“ dar. Sie kritisieren, dass damit weder ein Minimum an Berufserfahrung in der Schule noch ein adäquates Beherrschen der Sprachen des öffentlichen Dienstes zwingend notwendig für zukünftige Direktoren seien. Die Weichen würden laut Féduse, Adil und CGFP durch das Gesetzesprojekt noch weiter in Richtung Degradierung der öffentlichen Schule und somit Privatisierung gestellt werden.
Projekt 7662 betreffe zwar jetzt nur Direktionsposten an einer begrenzten Anzahl spezialisierter Schulen, dennoch gehe aus dem „Exposé des motifs“ unmissverständlich hervor, dass die Liste der Lyzeen in Zukunft problemlos erweitert werden kann. Durch dieses Gesetz werde ein Präzedenzfall nicht nur für die Schulen, sondern auch für den öffentlichen Dienst geschaffen. Für die Gewerkschafter wirkt es so, als ob Meisch im Windschatten von Corona die Koalitionsabgeordneten überrumpeln wolle, um etwas durchzuboxen, was noch nicht einmal im Koalitionsabkommen vorgesehen sei.
Die Gewerkschafter stellen in ihrem offenen Brief die Frage nach dem Mehrwert dieses Gesetzes für Schulen und Kinder. Sie fragen auch, wie lange sich die Abgeordneten noch auf der Nase herumtanzen lassen und wie lange ein solcher Minister noch tragbar sei, auch für seine eigenen Leute. „Nimmt das Gesetzesprojekt von der Tagesordnung“, fordern Féduse, Adil und CGFP. Niemand brauche eine solche Reform, außer vielleicht jene, die die Schule liberalisieren wollen.
Auch die ACEN, ALPIA, APESS, SEW und UNEL haben sich in einer Mitteilung an die Presse gegen das Gesetzesprojekt ausgesprochen. Sie kritisieren das „stille und heimliche Vorgehen des Bildungsministers, der mitten in der Corona-Krise einen weiteren großen Schritt hin zur Privatisierung der öffentlichen Schule“ macht. „Hohe Beamtenposten können demnach zukünftig nach dem Prinzip der Vetternwirtschaft nach rein subjektiven Kriterien besetzt werden.“ Und weiter: „Dieser Angriff auf die öffentlichen Schulen ist ein Schlag ins Gesicht der Lehrkräfte Luxemburgs und ihrer Gewerkschaften.“ Während diese gerade all ihre Kräfte darauf konzentrieren, den öffentlichen Schulbetrieb vor dem Kollaps zu bewahren, habe der Minister offensichtlich nichts Besseres zu tun, als alle zu hintergehen, die sich für eine starke öffentliche Schule einsetzen, monieren die Gewerkschafter. Sie fordern alle Parteien dazu auf, am Mittwoch gegen das Projekt zu stimmen. Die Gewerkschaften rufen am Mittwoch um 13.30 Uhr zu einer Protestkundgebung vor dem „Cercle municipal“ auf.
Luc Wildanger, Präsident der ACEN, nennt es gegenüber dem Tageblatt eine Zumutung, dass nun hohe Posten der „fonctionnaires“ durch Leute aus dem Privatsektor besetzt werden können, ohne dass diese Examen in den Sprachen und den Gesetzen ablegen müssen, während die „chargés“ für einen Posten als „fonctionnaire“ nach 15 Jahren im Staatsdienst beides ablegen müssen.
Auch die Gewerkschaften ALEE/CGFP, APCCA/SEW/OGBL, APPSAS, SLEG/CGFP und SPEBS/CGFP ktitisieren das Meisch’sche Vorhaben aufs Schärfste. Sie werfen dem Bildungsminister vor, die sanitäre Krise auf eine undemokratische Art zu missbrauchen, um eine ideologische ultraliberale Agenda durchzudrücken. Auch sie stellen sich die Frage, wie lange Meisch noch tragbar ist.
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Den Bock zum Gärtner machen ist was komplett anderes als den Turnlehrer zum Bürgermeister machen , oder ?
Kéint ech w.e.g. wessen wéi de Marc Baum ofgestemmt huet zu deem Sujet?
@ Martine Hansen:
„„Diese vier Schulen sind keine Lyzeen zweiter Klasse“, “
Schulen zweiter Klasse? Haben wir sowas in Luxemburg? Dann sollte das schnellstens in Ordnung gebracht werden! Zweitklassige Schulen dürfen wir nicht dulden. Die Schüler habens so schon schwer genug.
Quatsch Notbremse, er parkt das Gesetz ein bisschen, das kommt todsicher!
Deem feelt et net ou culot.