Bettelverbot / Menschenrechtsanwalt: „Als würden Sie Geschlechtsverkehr verbieten, um Vergewaltigungen vorzubeugen“
Hat Léon Gloden nicht richtig gelesen? Das vermutet zumindest der Menschenrechtsanwalt Frank Wies. Der CSV-Innenminister beruft sich bei seiner Zustimmung zum Bettelverbot auf die abweichende Meinung eines Luxemburger Richters am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch der Text liefert keine juristische Grundlage für das Verbot – im Gegenteil.
Die juristischen Details rund um das vom Innenministerium durchgewunkene Bettelverbot in Luxemburg-Stadt scheinen ob der politischen Diskussion schon fast obsolet. Innenminister Léon Gloden (CSV) hat aufgrund eines Dekretes von 1789 erklärt, dass die Stadt Luxemburg durchaus Maßnahmen ergreifen könne, um die öffentliche Sicherheit und Gesundheit der Bürger zu gewährleisten. Frank Wies zweifelt diese Argumentation im Gespräch mit dem Tageblatt jedoch an. „Worin die Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder Sicherheit der Gemeinde besteht, wenn jemand mit einem Becher auf der Straße sitzt, muss mir noch jemand erklären“, sagt der Menschenrechtsanwalt. Daraus resultiere dann direkt die entscheidende Frage, ob dieses 234 Jahre alte Dekret in diesem konkreten Fall überhaupt Anwendung finde.
Das Bettelverbot in Luxemburg-Stadt bettet sich in den seit Monaten geführten sicherheitspolitischen Diskurs in der hauptstädtischen Gemeinde ein. Der DP-CSV-Gemeinderat ergriff dabei mehrere Maßnahmen und legte sich mit den zuständigen Ministern an: Mit dem Patrouilleneinsatz einer privaten Sicherheitsfirma traten Lydie Polfer und Serge Wilmes dem grünen Polizeiminister Henri Kox auf die Füße. Das Bettelverbot hingegen kam einer Kampfansage ans Innenministerium gleich. Mitte Mai, einen knappen Monat vor den Gemeindewahlen, lehnte LSAP-Innenministerin Taina Boffering das Bettelverbot dann ab. Es fehle an konkreten Gründen, um die Bettelei zu unterbinden, so Bofferding. Eine Interpretation, der der CSV-Nachfolger offensichtlich nicht folgt.
Verkehrte Welt
Die Verantwortlichen im Gemeinderat und Innenministerium argumentieren, dass man damit gegen aggressive und organisierte Formen der Bettelei vorgehe. Innenminister Léon Gloden meinte im Interview mit dem Radiosender 100,7, dass doch jeder die „deutschen Limousinen mit belgischen Nummernschildern“ kenne, die jeden Tag Bettler auf dem Boulevard Royal entladen würden. „Eine Form des modernen Menschenhandels“, so Gloden.
Um diese Form der Bettelei zu bekämpfen, hätte es jedoch keiner weiteren Einschränkung gebraucht. Denn: Im Artikel 41 des städtischen Polizeireglements wird „jede Form des organisierten oder bandenmäßigen Bettelns“ bereits verboten. Die aktive Bettelei ist im Luxemburger „Code pénal“ ebenfalls bereits unter Strafe gestellt. „Das große Problem mit der jetzt ergriffenen Maßnahme sind die drei Wörter, die jetzt auch ,alle anderen Formen‘ der Bettelei untersagen“, sagt Frank Wies mit Verweis auf das neue Reglement. „Das ist, als würden Sie jede Form von Geschlechtsverkehr verbieten, um Vergewaltigungen vorzubeugen.“
Polizeireglement der Stadt Luxemburg
Article 41. Toute forme de mendicité organisée ou en bande est interdite. La mendicité est interdite aux mineurs de moins de dix-huit ans ainsi qu’aux majeurs accompagnés de mineurs de moins de dix-huit ans qui pratiquent ou ne pratiquent pas la mendicité.
Article 42. Dans l’intérêt de la sécurité et de la salubrité publique, toute autre forme de mendicité est également interdite du lundi au dimanche inclus, de 7.00 heures à 22.00 heures, […]
Die Gemeinde reagiere eigentlich nur auf die Beschwerden der Geschäftsleute, die diese Menschen an den Eingängen ihrer Geschäfte vorfinden. „Und weil sie die organisierte Bettelei nicht nachweisen können, haben sie diesen Trick ausgegraben“, sagt Wies. Wenn man ein Problem habe, die organisierte Bettelei nachzuweisen – wie sie bereits im Gemeindereglement verboten ist –, müsse man sich die Frage stellen: „Gibt es die organisierte Bettelei in der Form überhaupt?“ Mit der vom Innenministerium durchgewunkenen Maßnahme bestrafe die Politik auf jeden Fall eher die Opfer der organisierten Bettelei – „wenn es diese denn in der Form gibt“, sagt Wies.
Ob ein Gemeindereglement überhaupt über die Tragweite des Strafgesetzbuches hinausschießen kann, bezweifelt der Jurist in diesem Fall. „Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass mit dem Gemeindereglement eine ‚liberté publique‘ eingeschränkt wird.“ Hier aber greift Wies zufolge dann die Luxemburger Verfassung, die klar besagt, dass diese nur auf Basis einer gewahrten Verhältnismäßigkeit anhand eines Gesetzes eingeschränkt werden dürfe.
Aber allein die Tatsache, dass es von einigen als ungehörig angesehen wird, macht Betteln noch nicht zu einer verbotenen Aktivität. Dies ist der Preis für das Leben in der Gesellschaft.Luxemburger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Dieses Prinzip werde auch im viel zitierten Lacatus-Urteil des Europäischen Gerichtshofs festgehalten, so Frank Wies. „Die Bettelei ist Teil des Rechts aufs Privatleben, die durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention abgedeckt ist“, sagt Wies mit Verweis auf eine Jurisprudenz des Europäischen Gerichtshofs. Dass die Bettelei eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle, sehe er zumindest nicht. Und selbst wenn: „Dann gilt noch immer die Luxemburger Verfassung und dann bedarf es eines Gesetzes.“ Léon Gloden hingegen meint, dass das Dekret von 1789 Gesetzesrang habe, das Gemeindereglement die „Ausführung“ dessen regele und demnach konform zur Verfassung sei.
Lacatus-Urteil
Léon Gloden hat eine gegensätzliche Interpretation des Urteils der Straßburger Richter – gemeinhin als Lacatus-Urteil bekannt – als Frank Wies. „Ich weiß nicht, ob jeder, der in der Diskussion mitredet, das Urteil gelesen hat“, sagt Gloden im Interview bei Radio 100,7. „Ich habe es im Detail gelesen.“ Dadurch, dass in Luxemburg kein generelles Verbot gelte und es genügend Auffangeinrichtungen gibt, sei der Fall mit dem Straßburger Urteil nicht vergleichbar. De jure liege tatsächlich kein generelles Bettelverbot vor, sagt Frank Wies. Da das Betteln jedoch zwischen 7 und 22 Uhr auf zahlreichen öffentlichen Plätzen untersagt werde, käme es de facto einem generellen Verbot sehr nahe. „Die Bettler können sich eigentlich nur noch auf die Cloche d’Or stellen und auf eine Praline von Namur hoffen“, so der Anwalt.
Lacatus-Urteil
Der Fall einer Roma, die in Genf gebettelt hatte, wurde 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Das Urteil ist unter dem Namen Lacatus-Urteil bekannt. Betteln war in der Schweiz grundsätzlich verboten und mit einer Gefängnisstrafe geahndet. Dadurch, dass die Bettelei der einzige Lebensunterhalt der Frau sei, könne sie nicht strafrechtlich belangt werden, so das Urteil der Richter. Ein allgemeines Bettelverbot und die darauf ausgeschrieben Gefängnisstrafen seien ein unverhältnismäßiger Eingriff ins Privatleben.
Außerdem, so Gloden, habe auch der Luxemburger Richter Georges Ravarani eine konträre Meinung zum Urteil gehabt. Tatsächlich hat der Luxemburger Richter dem Urteil eine „opinion en partie concordante et en partie dissidente“ angehängt. Nur scheint Gloden die Begründung des Luxemburger Richters keinesfalls „im Detail“ gelesen zu haben, wie im Interview behauptet. Ravarani trägt das Urteil der Richter nämlich grundsätzlich mit und ist lediglich mit der Urteilsfindung nicht ganz einverstanden. Und geht in seiner Begründung sogar noch einen Schritt weiter als das Richterkollegium. Ravarani schreibt, dass es letztendlich unerheblich sei, ob ein Bettler durch seine persönliche wirtschaftliche Situation zum Betteln gezwungen werde. „Die Entscheidung, zu betteln, ist Teil des Rechts auf Selbstbestimmung und der persönlichen Autonomie, ein Prinzip, das der Auslegung der Garantien in Artikel 8 [der Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm. d. Red.] zugrunde liegt“, schreibt der Luxemburger Richter und zitiert aus weiteren Urteil: „So definiert ist Betteln als Form des Rechts, sich an andere zu wenden, um Hilfe zu erhalten, eindeutig als eine elementare Freiheit zu betrachten.“ Oder anders formuliert: Betteln ist grundsätzlich nichts anderes als jemand anderes um Hilfe zu bitten – was nicht ohne weiteres verboten werden kann.
Das bedeute nicht, dass Betteln keinen Einschränkungen unterliegen dürfe: „Der gemeinsame Nenner für die Legitimität von Einschränkungen ist, ganz klassisch, in der Freiheit anderer zu suchen“, schreibt Ravarani in seiner divergierenden Meinung. So könne Betteln, sobald es aktiv, aggressiv oder aufdringlich sei, eingeschränkt, begrenzt oder verboten werden. „Aber allein die Tatsache, dass es von einigen als ungehörig angesehen wird, macht Betteln noch nicht zu einer verbotenen Aktivität. Dies ist der Preis für das Leben in der Gesellschaft.“ Léon Glodens „detaillierte Lektüre“ des Straßburger Urteils hat ihn augenscheinlich zu einer sehr eigenen juristischen Interpretation verführt. Das letzte Wort ist laut Frank Wies jedenfalls noch nicht gesprochen: „Ein Gericht wird wohl in der Sache urteilen müssen.“
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Bravo!
Ech geif mol gaer d’Reaktio’unen gesinn vun deenen dei‘ geint ee Bettelverboot sinn, wann all Daag een an senger Entrée leit, wann see Mo’es schaffen ginn !
„„Als würden Sie Geschlechtsverkehr verbieten, um Vergewaltigungen vorzubeugen“. Toller Vergleich vom Juristen. Das Thema ist doch die Spezialität vom Vatikan. Die kennen sich da aus.Geschlechtsverkehr verbieten um Vergewaltigungen zu vermeiden. Da lachen ja die Hühner. Das ist kein Vergleich, das ist ein Gleichnis. Es geht darum den Schaffenden(ja die gibt es noch und die schreiben“ Verbuert“ mit „d“.) in Ruhe zu lassen und ihnen den Alltag nicht durch (oft, sehr oft) selbstverschuldetes Elend zu vermiesen. Hat schon jemand einen Bettler vor dem Palais des Gran Duck oder der Residenz des Kardinals Hollerich gesehen? Also. Warum kommen die Bettler denn aus dem Ausland angereist? Weil die Luxemburger spendabler sind? Betteln ist keine Straftat, nein.Bis jetzt. Und Herr Wies hat sicher andere Themen bei Amnesty die sehr viel mehr auf der Haut brennen als unsere Bettler.
Kein Mitmensch welcher auf der Straße bettelt ist mit Reichtum gesegnet. Machen wir doch mal den Unterschied zwischen Menschen, welche für sich betteln um zu überleben und dem Menschen, welcher von einem “ Chef“ auf die Straße geschickt wird um zu betteln.
In beiden Fällen sind es Hilfsbedürfige, sind keine Verbrecher sondern Mitmenschen.
Wir sollten lernen, kein Geld in die Becher zu legen. Wir sollten fragen was an Naturalien hilfreich wäre. Keine Euros, welche ein Chef in seinen Geldbeutel steckt, sondern Nahrungsmittel usw.
Wenn wir alle unsere Euros in der Tasche lassen und nur noch mit Naturalien helfen, wie rasch würde es in unseren Orten besser laufen.
Und ja, ich habe auch schon Euros an Drogenkranke verschenkt. Wurde schon verbal aggressiv um Geld „gebeten“. Trotzdem, wir sollten menschlich bleiben und helfen.
Friedliche Grüße zur Nacht
Wenn niemand diesen Menschen Geld geben würde sondern nur Sachgaben und das Geld, für Suff und Drogen, ausbleiben würde wäre schnell Schluss mit den lästigen Schmarotzern und nur die wirklich armen bedauernswerten Bedürftigen die keinen stören würden übrig bleiben.