Türkei / „Menschliche Misere ist enorm“: Freiwillige aus Luxemburg berichten vom Einsatz im Katastrophengebiet
Mehr als eine Woche ist das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien mittlerweile her. Drei freiwillige Helfer aus Luxemburg sind inzwischen im Katastrophengebiet im Einsatz. Per Videokonferenz gaben zwei von ihnen am Mittwoch einen Einblick in die Lage vor Ort.
Mit Momenten ein etwas unscharfes Bild, teilweise kleinere Tonprobleme: Und doch sind Alain Lang und Joé Beckius gut zu verstehen, als sie sich an einem Mittwochmorgen im Februar aus dem türkischen Hatay melden, um die Luxemburger Presse über die aktuelle Arbeit der drei Freiwilligen vom „Humanitarian Intervention Team“ (HIT) der Feuerwehr zu informieren. Dass die Videokonferenz aus dem Krisengebiet überhaupt möglich ist und ohne größere Unterbrechung verlaufen kann, ist auch auf die Arbeit der freiwilligen Helfer aus dem Großherzogtum zurückzuführen.
Denn unmittelbar nach dem Erdbeben hat sich Alain Lang am Dienstag letzter Woche auf den Weg in die Türkei gemacht – mit einem mobilen Satellitensystem im Gepäck. Vom Flughafen in Istanbul aus ging es mit einem weiteren Flieger in Richtung Hatay – im Süden der Türkei nahe an der Grenze zu Syrien gelegen. Der letzte Teil der Reise vom Flughafen bis nach Hatay führte über die kaputten Straßen einer Strecke, für deren Zurücklegen es normalerweise nur zwei Stunden braucht. „Das war aber sehr chaotisch und kompliziert, auch weil so viele Menschen und Hilfstransporte unterwegs waren. Wir haben dann insgesamt acht Stunden gebraucht“, erzählt Alain Lang während der Videokonferenz am Mittwochmorgen.
Überlastetes Netz
Nach Ankunft im Notlager nahe des Fußballstadions von Hatay kam er während der ersten Nacht im Zelt eines italienischen Notfallrettungsteams unter. Insgesamt 199 solcher Gruppen seien aktuell in der Türkei im Einsatz. Es folgte die Installation des mobilen Satellitensystems von „emergency.lu“. Dieses kommt nach Katastrophen zum Einsatz, wenn Telekommunikationsmittel nicht mehr funktionieren. „Zum Teil gibt es hier zwar Empfang, da allerdings alle telefonieren wollen, ist das Netz überlastet“, lässt der Experte für Informations- und Kommunikationstechnologie in der Videokonferenz wissen.
Und erklärt weiter, dass die Technik aus Luxemburg nun dafür sorge, dass die Kommunikation ohne Unterbrechung laufen kann. Wie wichtig das in einer ersten Phase nach einer Katastrophe für die Koordination der Hilfe vor Ort ist, hatte Gilles Hoffmann von der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Angelegenheiten beim Außenministerium bereits in einem Gespräch mit dem Tageblatt am Freitag betont.
Aber auch die entsprechende Infrastruktur spielt bei der Organisation der Hilfe eine tragende Rolle: Fehlt diese, ist die Koordination der Unterstützung schwer. Deshalb hat sich der Logistikexperte Joé Beckius am vergangenen Donnerstagnachmittag ebenfalls auf den Weg in die Türkei gemacht, um sich in Hatay am Aufbau des Notlagers zu beteiligen. „Wir haben für die gleiche Strecke wie Alain keine acht, sondern nur noch fünf Stunden gebraucht. Mit dem Verkehr ging es dann schon besser“, erzählt Joé Beckius leicht lächelnd. Seit Samstag steht die Zeltstadt in Hatay.
Zusammenbruch der Infrastruktur
Inzwischen gibt es dort auch fließendes Wasser – keine Selbstverständlichkeit, wie Joé Beckius berichtet: „Fast alle Wasserleitungen in der Region wurden beschädigt. Deshalb bringt die Feuerwehr ständig Wasser in die Orte, damit die Menschen ihre Flaschen auffüllen können.“ Ansonsten lebt die Mannschaft von dem Mitgebrachten. Immer wieder fällt in der Umgebung der Strom aus. Die wenigen noch intakten Gebäude drohen bei Nachbeben zusammenzufallen. „Alles, was noch steht, kann nicht genutzt werden. Am Samstag hat es hier bei einem Nachbeben noch einmal so richtig gewackelt“, erzählt Alain Lang.
Was wir hier erleben, ist mit keinem anderen Einsatz vergleichbarfreiwilliger Helfer
Deshalb übernachten die Überlebenden der Katastrophe trotz Minustemperaturen am Abend in Zelten. Insgesamt fehlt es an dicken Schlafsäcken, Kleidung, Heizmöglichkeiten, Zelten, aber auch an Hygieneartikeln wie zum Beispiel Windeln. „Was wir hier erleben, ist mit keinem anderen Einsatz vergleichbar. Das kann man sich nicht vorstellen, wenn man nicht vor Ort ist“, versucht Alain Lang die Ausmaße der Katastrophe in Worte zu fassen.
Ihn hat vor allem die Zerstörung geprägt. Und: „Was ich besonders schlimm finde, sind die persönlichen Gegenstände in den Ruinen. Man weiß, dass ganze Familien teilweise ausgelöscht wurden. Die menschliche Misere ist einfach enorm.“ Auch Helfer Joé Beckius erwähnt Familien, die in Zelten vor zerstörten Häusern oder Wohnungen schlafen. „Sie können nicht mehr rein, keine persönlichen Gegenstände und auch keine Kleidung holen. Sie haben nichts mehr.“ Vor Ort haben die Freiwilligen auch einen Mann kennengelernt, der bisher als Fahrer arbeitete. Alain Lang erzählt: „Sein Haus wurde zerstört, er hat keine Arbeit mehr und weiß nicht, wie seine Familie künftig über die Runden kommen soll. Es sind diese menschlichen Schicksale …“
Einzelne Zwischenfälle
Alain Lang und seine Kollegen haben auch mitbekommen, dass es in der Umgebung Unruhen gab. „Ich würde allerdings behaupten, dass das Einzelfälle sind. Die Menschen sind frustriert, weil die Unterstützung anfangs sehr langsam anlief. Hier bei uns ist es aber ruhig und die türkische Bevölkerung ist eine enorme Unterstützung. Alle versuchen zu helfen.“ Zu sehen, wie die Menschen zusammenarbeiten – innerhalb und außerhalb des Notlagers – macht den Einsatzkräften aus Luxemburg Mut. Und: Die Infrastruktur wird laut den Helfern des HIT allmählich wieder aufgebaut.
Wie lange sie und Brice Tavernier – der dritte Helfer aus Luxemburg an einem Flughafen nahe der türkischen Stadt Gaziantep – noch bleiben, steht noch nicht ganz fest. „Wir sind da flexibel“, sagt Alain Lang, der am 7. Februar in der Türkei ankam. Aktuell sei geplant, dass er am 21. Februar und Joé Beckius am 24. Februar nach Luxemburg zurückkehrt. Da sich die Situation allerdings stetig verändert, ist vieles noch unklar. „Das heißt dann auch nicht, dass nicht andere herkommen, um uns zu ersetzen“, unterstreicht Alain Lang. Denn wie Joé Beckius feststellt, gibt es noch viel zu tun: „Das hier wird noch sehr lange dauern.“
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