Filmbesprechung / #MeToo im Mittelalter: Ridley Scotts „The Last Duel“
Ridley Scotts „The Last Duel“ ist ein formal spannender, toll gespielter, feministischer Ritterfilm, der geschickt und eindrucksvoll eine Welt voller viriler Manierismen und toxischer Männer kritisch beleuchtet.
Im Pariser Gerichtshof wird 1386, wie der Name des Films es bereits andeutet, das letzte gesetzlich untermauerte Todesduell ausgetragen. Der Gewinner eines solchen Kampfes gilt nicht nur als einziger Überlebender – sein Sieg soll gleichzeitig signalisieren, dass er die Wahrheit gesagt hat und Gott dies durch das Kampfergebnis zum Ausdruck bringen sollte.
Zu Beginn des Films sehen wir, wie sich die auf den Tod zerstrittenen Jean de Carrouges (Matt Damon) und Jacques Le Gris (Adam Driver) auf den überaus brutalen Kampf vorbereiten. Während eines Flashbacks, der 90 Prozent des Films ausmacht, erzählt Scott in drei Anläufen, wie es dazu kam, dass die beiden einstigen Freunde sich unwiderruflich zerstritten haben.
Jean de Carrouges trägt zwar einen adligen Namen, befindet sich jedoch in einer finanziellen Notlage. Der kauzige de Carrouges ist nicht sehr belesen, zeigt sich dafür aber als mutiger Kämpfer, der sich für sein Land und seinen König einsetzt. In einer der ersten Szenen rettet er Jacques Le Gris das Leben, Freunde werden die beiden trotzdem nur für kurze Zeit: Le Gris, der im Gegensatz zu Le Carrouges ohne Adelstitel im dunklen Mittelalter überleben muss, nutzt seine Erziehung, um in der Gunst vom adeligen Pierre d’Alençon (Ben Affleck spielt den höhnischen, zynischen, dauervögelnden Lebemann in Samtkostümen überaus überzeugend) zu steigen – was er einerseits schafft, indem er Geld für Pierre eintreibt und sich um seine Finanzen kümmert, andererseits aber auch, indem er an den endlosen Hausorgien und Saufgelagen teilnimmt.
Pierre belohnt ihn dafür mit Ländereien. Eine davon sollte Teil der Mitgift sein, die der in Verruf gekommene Adlige de Thibouville dem künftigen Mann seiner Tochter Marguerite (Jodie Comer) verspricht – und dieser künftige Ehemann ist niemand anderes als ein erzürnter Jean de Carrouges, der für seine Ehefrau das Land, das ihnen beiden zusteht, zurückzuerobern möchte. Jacques Le Gris hingegen verfällt dem Charme von Marguerite – die Lage spitzt sich zu, als Le Gris während einer von Jean de Carrouges Reisen nach Paris bei Marguerite erscheint und übergriffig wird.
Die Wahrheit aus der Sicht von …
Wie in Russel Banks Roman „The Sweet Hereafter“ wird in „The Last Duel“ eine Geschichte gleich dreimal erzählt: Jean de Carrouges, Jacques Le Gris und Marguerite de Thibouville erhalten jeweils 45 Minuten, um ihre Perspektive darzustellen. Scott nutzt diese drei Anläufe, um nicht nur die Relativität der Wahrheit und ihrer Interpretation darzulegen oder die Unzuverlässigkeit jeder subjektiv erlebten Wirklichkeit, sondern um zeitgleich auf subtile Art mit einer Gesellschaft abzurechnen, in der Frauen als reiner Besitztum toxischer, oft einfältiger, arroganter und zutiefst selbstbezogener Männer galten.
So entlarvt Marguerites Erzählung, die an dritter Stelle kommt, die Unzuverlässigkeit und den Hang zur blinden Selbstverherrlichung in den beiden männlichen Erzählperspektiven: Wurde schon in der Erzählung von Jacques Le Gris klar, dass Jean de Carrouges Selbstdarstellung als tapferer, treuer Diener etwas dick aufgetragen war, so erfährt man in Marguerites Version, dass De Carrouges Geldschwierigkeiten ganz einfach auf eine schlechte Verwaltung des eigenen Besitztums zurückzuführen ist.
Le Gris, der seinen sexuellen Übergriff als ein spielerisches Rituell darstellt, in dem Marguerite erst neckisch kokettiert, um dann seinem Charme zu verfallen, wird in Marguerites Erzählung zum skrupellosen Vergewaltiger. Da verschiedene Szenen gleich zwei- oder dreimal gezeigt werden, wird der Zuschauer zu einer Art Ermittler, der die verschiedenen Blickwinkel abgleicht, gegen den Strich liest und mithilfe von unstimmigen Details Lügen aufdeckt – in Le Gris’ Version zieht Marguerite verführerisch ihre beiden Schuhe aus, in Marguerites Version ergreift sie die Flucht vor dem Missetäter und verliert sie dabei.
Eine Szene, in der Marguerite vor Gericht vorgeworfen wird, bei der Vergewaltigung so etwas wie Spaß empfunden zu haben, ist himmelschreiend – was Scott hier subtil darstellt, ist, dass das, was man hier als mittelalterlich abtun könnte, längst nicht der Vergangenheit angehört: Auch heute noch werden Frauen, die über Übergriffe klagen, nicht immer und überall so ernst genommen, wie es der Fall sein müsste.
Und auch heute wird bei manchen Gerichtsfällen noch gefragt, ob sich das Opfer nicht vielleicht zu aufreizend angezogen hätte – ganz als würde dies das Verhalten der Täter legitimieren. Nur, weil wir nicht mehr von übernatürlichen Gottesurteilen reden, bedeutet dies nicht, dass wir uns von den beschämenden Praktiken, die im Film dargestellt haben, gänzlich emanzipiert haben. In dem Sinne ist Scotts Mittelalterfilm erschreckend aktuell, kritisch und wichtig. Schade, dass er in den Luxemburger Kinos kaum eine Chance bekam, gesehen zu werden.
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