/ „Militärisch völlig unfähig“: Ex-IRA-Mann Anthony McIntyre glaubt nicht an neue Gewalt wegen Brexit
Kommt ein harter Brexit, droht in Nordirland neue Gewalt. Davor warnen Politiker. Davor warnen auch Sicherheitskräfte. Der ehemalige IRA-Mann Anthony McIntyre aber hält das alles für „übertriebene Panikmache“.
Die Briten steuern immer mehr auf einen harten Brexit zu. Wird in den kommenden zwei Monaten keine Lösung mit der Europäischen Union gefunden, entsteht in Irland am 30. März Schlag auf Fall wieder eine harte Grenze zwischen der Republik im Süden und der britischen Provinz Nordirland im Norden.
Das weckt die Geister der Vergangenheit. Erst das Karfreitagsabkommen 1998 ließ die innerirische Grenze unsichtbar werden – und beendete damit einen 29 Jahre währenden Bürgerkrieg. 3.500 Tote beträgt der Blutzoll der Kämpfe zwischen britischen Protestanten (Unionisten) und irisch-nationalistischen Katholiken (Republikaner) in den Jahren 1969 bis 1998. Ein beliebtes Anschlagsziel in der Zeit waren auch die Grenzposten.
Keine Rebellion gegen Briten wegen Brexit
Eine wiederbelebte harte Grenze wird die Gewalt wieder aufflammen lassen. Das ist zumindest das Bild, das Politiker aller Seiten und auch die Sicherheitskräfte zeichnen. Aber Anthony McIntyre sieht das anders. Wird es in Nordirland wegen dem Brexit eine Rebellion gegen die Briten geben? „Das glaube ich nicht“, sagt McIntyre gegenüber dem Tageblatt. Der ehemalige Kämpfer der Provisional Irish Republican Army ist mittlerweile Schriftsteller und Historiker. Aber werden die Menschen der IRA denn wegen dem Brexit wieder in die Arme laufen? „Nein“, sagt der 1957 geborene Nordire, der unter anderem für die britische Zeitung Guardian und seinen eigenen Blog thepensivequill.com schreibt.
Wegen Mordes verbrachte McIntyre 18 Jahre im Gefängnis. Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 – seitdem teilen sich Katholiken (Sinn Féin) und Protestanten (DUP) die Macht im nordirischen Parlament – kehrte er den Republikanern den Rücken. Seinen Doktor in Geschichte machte McIntyre 1996 nach seiner Haftentlassung.
Wenig Sympathisanten für Gewaltaktionen
„Es ist viel Panikmache dabei“, wiegelt McIntyre die Gefahr eines erneuten Gewaltausbruches ab. Es gäbe zwar immer noch Leute, die Interesse daran hätten. Diese seien aber „militärisch völlig unfähig“. Als Beleg dafür führt McIntyre den Anschlag in Derry vom 20. Januar an, bei dem eine Autobombe im Zentrum der nordirischen Stadt hochging.
Dass es keine Opfer gab, war wohl bloßer Zufall. Der Anschlag habe auch offenbart, wie wenig Sympathisanten es für solche Aktionen gibt – und wie begrenzt die Mittel der Angreifer sind. Es gäbe zwar immer noch Verrückte, die zu Anschlägen bereit sind, „aber die gibt es mit oder ohne Brexit“. Zu neuen Gewaltkampagnen werde ein harter Brexit nicht führen.
Die Menschen in Derry würden „lieber die Tradition der Gewalt der Republikaner begraben als ihre eigenen Kinder“. Sie würden in solchen und ähnlichen Aktionen keinen Zusammenhang mehr sehen mit einer Rebellion gegen die Briten. Solche Gewalttaten würden vielmehr im Kontext des Drogenhandels betrachtet. Unterstützung dafür gebe es demnach kaum.
Der alte Konflikt prägt Nordirland bis heute
Der alte Konflikt aber prägt das Land bis heute. Obwohl es mittlerweile auch eine nordirische Identität gibt, bleibt die Bevölkerung zwischen (irischen) Katholiken und Protestanten, die sich häufig als Briten sehen, gespalten. Nach Konfessionen getrennte Schulen sind weiterhin äußerst beliebt. Fast 90 Prozent der Kinder werden von ihren Eltern in solche Einrichtungen geschickt. Und nicht nur die nordirische Hauptstadt Belfast ist weiterhin durchzogen von Zäunen, die mehrere Meter hoch sind – und die katholische und protestantische Viertel voneinander trennen. Diese sogenannten „Peace Walls“ sind mittlerweile einerseits eine Touristenattraktion geworden, andererseits aber offensichtlich weiter nötig, um für Ruhe zu sorgen.
Dass ein harter Brexit und eine wieder geschlossene Grenze mit Kontrollposten und viel Polizeiaufgebot Splittergruppen provozieren könnten, glaubt McIntyre trotzdem nicht. Aus mehreren Gründen. Diese Dissidenten täten bereits jetzt „alles, wozu sie fähig sind, und das ist nicht viel“. Hinzu komme das Problem der Unterwanderung durch Spitzel, die es zwar immer schon gegeben habe, aber nie in dem Ausmaß wie heute.
„Noch inkompetenter und infiltrierter, als es die Provisional IRA je war“
„Die Sicherheitsvorkehrungen der Provos (die Provisional IRA war während des Nordirlandkonflikts aktiv, Anm.d.Red.) waren vielleicht nichts Besonderes – aber diese Typen sind noch inkompetenter und infiltrierter, als es die Provisional IRA je war“, sagt McIntyre. Die Provisional IRA war während des Konflikts die mit Abstand schlagkräftigste paramilitärische Organisation der Republikaner in Nordirland. „Die Real IRA oder die New IRA und wie sie jetzt alle heißen, existieren nur, weil die Sicherheitskräfte sie ins Leben gerufen haben.“ Die Real-IRA-Einheit in Ballymena in Country Antrim etwa, erinnert McIntyre, „wurde de facto von Sicherheitskräften betrieben“.
Hinzu komme, dass die Sicherheitskräfte „einen Teufel brauchen, den sie bekämpfen können“. Den müssten sie gefährlicher aussehen lassen, als er ist. „Die Menschen müssen davon überzeugt werden, dass er eine Bedrohung für sie darstellt“, sagt McIntyre. Die Spannungen würden im Fall eines No Deals zwar steigen – aber nur die zwischen der irischen und der britischen Regierung. Zu neuen Gewaltkampagnen werde das nicht führen. Auch schlecht informierte Journalisten und manche Experten malten ein falsches Bild. Die viel wichtigere Frage sei die nach dem wirtschaftlichen Schaden, der dann entsteht. Man solle auch nicht unterschätzen, „wie toll so eine harte Grenze für Schmuggler ist“.
Keine Wiedervereinigung in Sicht
Die streng bewachte Grenze sei damals auch nicht der Grund für die Unterstützung gewesen, die die IRA in der Bevölkerung hatte. „Das Problem war nicht einmal die Anwesenheit der Briten in Irland“, sagt McIntyre. Es sei vielmehr die Art und Weise gewesen, wie sich die Briten in Irland verhielten. Deshalb hätten sie auch nicht verschwinden müssen, damit Frieden einkehrt. „In den Augen der irischen Bevölkerung Nordirlands mussten sie sich einfach benehmen“, sagt McIntyre. Und das hätten sie mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 dann auch getan.
Aus diesen Gründen glaubt McIntyre auch nicht an eine baldige Wiedervereinigung der irischen Insel. Auch nicht, scherzt er, wenn man in Betracht zieht, dass „die britischen Tories in den vergangenen beiden Jahren mehr für eine Wiedervereinigung getan haben als die IRA in den vergangenen Jahrzehnten“. McIntyre zufolge wolle die Mehrheit der katholischen Nationalisten in Nordirland – in gleichberechtigter Form – Teil der Union mit Großbritannien bleiben. Und diese Menschen seien bei einem Referendum entscheidend. Denn „im Gegensatz zu den irischen Nationalisten, die sich nie einig waren in dieser Frage, sind die britischen Unionisten ein monolithischer Block“. Sie stünden geschlossen gegen Dublin – noch mehr als gegen Brüssel. Demnach: „Ein Referendum zur Wiedervereinigung würde scheitern.“
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