Landwirtschaft / Ministerin setzt auf institutionalisierten Dialog
Zu viele Auflagen, zu großer administrativer Aufwand und zu wenig Planungssicherheit sind den Landwirten ein Dorn im Auge. Außerdem fühlen sie sich von der Politik zu wenig angehört. Agrarministerin Martine Hansen trifft sich am Montag mit Vertretern des Sektors Bauern in Senningen zum „Landwirtschaftsdësch“, der zweimal im Jahr stattfinden soll.
Tageblatt: Frau Ministerin, Sie waren diese Woche beim Treffen der Agrarminister in Brüssel. Dabei ging es vor allem um die administrative Vereinfachung in dem Sektor. Hierbei sollen 500 Vorschläge eingereicht worden sein. Über die bürokratischen Hürden klagen die Landwirte schon lange. Kann das Problem damit gelöst werden?
Martine Hansen: Bei 500 Vorschlägen gibt es schon mal sehr viele Schrauben, an denen man drehen kann. Die Bestimmungen in der Landwirtschaft sind nicht mehr unbedingt übersichtlich. Es gibt eine ganze Reihe von Vorschriften, die einzuhalten sind, und Daten, die erfasst werden müssen. Das ist wahnsinnig viel. Oft handelt es sich nur um einen Ein-Mann-Betrieb, der die Übersicht behalten muss.
Wie kommt man noch zurecht bei den vielen Prämien, die mit Bedingungen und Auflagen verbunden sind?
Man muss schon ganz viel einhalten, um in den Genuss von Prämien zu kommen. Das sind die sogenannten Grundanforderungen. Für eine Kontrolle muss jemand in den Betrieb kommen, der dann wieder den Landwirt bei der Arbeit aufhält. Allein schon in dem Bereich soll es Änderungen geben. Dann die ganzen Agrarumweltprämien: Hier steht den Landwirten ein ganzer Katalog zur Verfügung und zur Auswahl. Hinzu kommen die Investitionsprämien – die wiederum von einer ganzen Reihe von Vorschriften abhängen. Ich verstehe diejenigen, die sagen, dass dies nicht mehr machbar sei. Deshalb muss in dieser Hinsicht etwas getan werden. Doch nicht nur die Agrarpolitik macht Vorschriften, auch die Umweltpolitik. Das macht viele Bauern wütend. Wir haben unseren nationalen Strategieplan, auf den das Agrargesetz aufbaut. Wenn sich irgendetwas Neues im Umweltbereich ergibt, müssen wir den Strategieplan wieder anpassen. Was wiederum keine Planungssicherheit bedeutet. Die Landwirte sind das letzte Glied in der Nahrungsmittelkette. Daher muss der Handel fairer werden. Die Bauern müssen auch bei Freihandelsabkommen besser vertreten werden. Hinzu kommt der administrative Aufwand.
Um den Ammoniak-Ausstoß geht es auch beim Landwirtschaftstisch, der am Montag stattfindet. Hier macht die Landwirtschaft einen großen Teil aus. Soll der Viehbestand gedeckelt werden?
Nicht ganz. Im Agrargesetz wurde festgehalten, dass man, wenn man den Viehbestand erhöhen will, eine Genehmigung des Landwirtschaftsministeriums braucht, wenn man zwei theoretische Arbeitskräfte im Viehbereich benötigt. Wenn man mehr als fünf theoretische Arbeitskräfte hat, ist keine Viehbestandserweiterung mehr möglich. Bei zwei bis fünf braucht man eine Genehmigung und man muss verschiedene Kriterien erfüllen.
In Brüssel haben wieder viele Bauern aus mehreren Ländern demonstriert. Luxemburger waren anscheinend nicht dabei. Geht es den luxemburgischen Landwirten verhältnismäßig gut?
In Brüssel waren auch einige Jungbauern aus Luxemburg dabei. In verschiedenen Ländern wird der fehlende Dialog zwischen Regierungen und Landwirten kritisiert. Diesen Dialog haben wir von Anfang an gelebt. Und wir beziehen die Landwirte bei der Evaluierung des Strategieplans mit ein. Es ist eine gemeinsame Aufgabe.
Sie fühlten sich auch beim Agrargesetz nicht genügend angehört.
Deshalb haben wir auch den Landwirtschaftstisch ins Leben gerufen, den wir zweimal pro Jahr veranstalten. Ich denke, dass dies ein sehr wichtiges Instrument sein wird. Allerdings wird auch der Druck sehr hoch sein. Denn wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, die für die Landwirte praktikabel sind. Das Zweite, was wir gesagt haben: dass wir die Prämien nicht kürzen. Letztes Jahr im August ist das Agrargesetz gestimmt worden. Da haben sich viele vertraglich über verschiedene Umweltmaßnahmen festgelegt. Deshalb konnte es nicht sein, Kürzungen vorzunehmen. Die beiden Faktoren sind zufriedenstellend für die Landwirte. Jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Richtig ist jedenfalls, dass wir den Dialog institutionalisiert haben.
Der Umweltminister ist beim Landwirtschaftstisch dabei. Wird das immer so sein?
Das hängt von den Themen ab. Dieses Mal stehen der Wasserschutz und das Bauen in der Grünzone, was beides im Kompetenzbereich des Umweltministeriums liegt, auf dem Programm. Das muss zusammengehen: Wenn wir sagen, dass Diversifikation und zum Beispiel Direktvermarktung gefördert werden, muss das auch vom Umweltministerium genehmigt werden. Das sind die beiden Themen. Hinzu kommen das Thema Ammoniak und der nationale Strategieplan. Nächstes Mal können es komplett andere Themen sein.
Viele Bauern klagen über zu wenig Planungssicherheit. Wie ist dabei Abhilfe zu leisten?
Das ist das Instrument des Strategieplans, das von Europa aus kommt. Der ist im Prinzip sieben Jahre gut. Wenn aber von der Umweltseite irgendetwas anderes entschieden wird, müssen wir das jedes Mal wieder anpassen, was der Planungssicherheit schadet. Wir müssen eigentlich an zwei Schrauben drehen können. Auch müsste das Instrument des Strategieplans mal überarbeitet werden. Der hat bei uns 800 Seiten. Da kann man nicht von administrativer Vereinfachung sprechen.
Auch müsste das Instrument des Strategieplans mal überarbeitet werden. Der hat bei uns 800 Seiten. Da kann man nicht von administrativer Vereinfachung sprechen.
Gibt es zu viele Auflagen?
Ich glaube, dass verschiedene Auflagen akzeptiert werden. Aber sie müssen nachvollziehbar sein. Wir haben uns überlegt, dass wir ein Screening über alle Kontrollen machen und auch die Frequenz der Kontrollen reduzieren. Im Agrargesetz steht ein Mindestprozentsatz von Kontrollen, die durchgeführt werden müssen. Wir haben noch die Möglichkeit, die herunterzufahren, was wir auch bei der nächsten Anpassung tun werden. Digitalisierung ist ein wichtiges Stichwort. In dieser Hinsicht gibt es noch sehr viel Arbeit. Die Landwirtschaft verfügt über sehr viele Daten. Nehmen wir zum Beispiel die Erfassung der Rinder über die Ohrmarken. Da sind wir dabei, ein digitalisiertes Programm zu erstellen. Das ist aber noch nicht fertig und muss noch getestet werden, bevor wir es flächendeckend einsetzen. Hier haben wir ein Jahr Verspätung. Das läuft dann zum Teil über das Ministerium für Digitalisierung. Auf der anderen Seite gibt es noch Landwirte, die das nicht nutzen können, weil sie mit der Digitalisierung nicht viel anfangen können. Auch diese Landwirte müssen wir mitnehmen.
Es gibt immer weniger Betriebe, und Betriebe, die es noch gibt, werden immer größer. Wie lange kann diese Entwicklung noch weitergehen?
Wir haben noch etwas Spielraum. Je nach Produkt hängt es von der Masse ab, wie viel man verdient. So ist der Drang zum Wachsen gegeben. Auf der anderen Seite haben wir Nischenprodukte, bei denen kleinere Betriebe noch funktionieren können. Sogenannte richtig große Betriebe haben wir fast keine. Wir können diese Entwicklung nur bremsen, wenn wir genügend Betriebsnachfolger haben. Das ist eine große Herausforderung, wie wir die Landwirtschaft für den Nachwuchs attraktiv gestalten können. Das durchschnittliche Alter der Betriebsleiter ist relativ hoch. Diese Tendenz gibt es aber schon seit langem. Der Strukturwandel setzt sich fort. Bei Bäckereien und Metzgereien ist das ähnlich.
Die EU bevorteilt große Betriebe.
Im Moment sieht das zum Teil so aus.
Warum werden die Subventionen nicht an Arbeitskräfte gekoppelt? Diese Diskussion gab es zumindest mal.
Dabei kam man aber nicht weiter. Deshalb ist es an die Flächen gekoppelt.
Die Bauern bedauern auch die Marktmacht der Lebensmittelketten und Supermärkte. Wie kann gewährleistet werden, dass bei den Landwirten auch ein gerechter Betrag ankommt?
Bisher gibt es zwei Länder, die in dieser Hinsicht schon einen Vorstoß gewagt haben: Das eine ist Frankreich, das andere Spanien. Die Franzosen hatten Probleme damit und müssen es jetzt wieder anpassen. Von den Spaniern haben wir noch keine Erfahrungswerte. Bei uns war es immer so, dass der Landwirt profitiert, wenn die Preise hochgehen. In Frankreich haben sie nicht so sehr davon profitiert. Wir möchten das etwas genauer analysieren. Aber besonders groß ist der Spielraum nicht.
Es wird befürchtet, dass die Qualitäts-, Sozial- und Umweltstandards verwässert werden, wenn zum Beispiel das Mercosur-Abkommen in Kraft tritt und Produkte aus Drittstaaten importiert werden.
Unsere Position ist die, dass bei Freihandelsabkommen darauf geachtet wird, dass die Sozial- und Umweltstandards in diesen Ländern erfüllt werden müssen. Wir haben zum Beispiel in Brüssel gesagt, dass Importe keine Rückstände von Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln, die in der Europäischen Union nicht mehr erlaubt sind, haben dürfen. Da besteht eine Toleranzgrenze. Wir sind gegen diese.
Luxemburg war eines der ersten Länder, die Glyphosat verboten haben. Was machen Sie jetzt, nachdem es europaweit wieder erlaubt wurde?
Wir haben das Gerichtsverfahren ja verloren. Nun unterstützen wir den freiwilligen Verzicht auf Glyphosat und führen diese freiwillige Regelung ab nächstem Jahr ein.
Welche Rolle kommt den Konsumenten zu?
Es sollte sich jeder Einzelne bewusst sein, was er kauft und was er isst. Wir als Landwirtschaftsministerium haben die Aufgabe, für die regionalen und saisonalen Produkte zu werben. Letzte Woche hatten wir ein Treffen mit dem Bildungsministerium. Momentan machen etwa zwölf Schulkantinen bei einem diesbezüglichen Projekt mit. Das wird im September ausgeweitet. Das Potenzial ist groß.
Viele Landwirte machen sich berechtigt Sorgen um eine Nachfolge, um die Übernahme ihres Betriebes. Wie steht es mit dem Nachwuchs?
Ich sprach erst kürzlich mit einem früheren Schüler. Er sagte mir, dass sein Junge unbedingt Landwirt werden möchte, und er geantwortet habe, dass er irgendetwas anderes machen soll. Das tut mir wirklich weh. Hier müssen wir anpacken. Wenn wir junge Leute haben, die das gerne machen wollen, anpacken können und auch wissen, dass die Landwirtschaft mit viel Arbeit verbunden ist, und die Eltern sind dagegen, läuft etwas schief. Wenn man Vieh hat und keine Angestellten, dann muss man jeden Tag füttern und melken. Das gehört dazu. Natürlich muss man auch viel organisieren. Es ist also mehr als ein Acht-Stunden-Tag. Wir müssen den jungen Bauern Perspektiven aufzeigen. Was allerdings nicht so einfach ist. Das ist aber eine Aufgabe der Politik.
Wir müssen den jungen Bauern Perspektiven aufzeigen. Was allerdings nicht so einfach ist. Das ist aber eine Aufgabe der Politik.
Hat die Landwirtschaft ein Imageproblem?
Ich glaube, dass Landwirt ein sehr schöner Beruf ist. Man ist selbstständig und kann sich selbst organisieren. Es gibt nicht nur negative Seiten. Auch ist das Image der Bauern bei den Nicht-Landwirten ziemlich gut. Das haben Umfragen ergeben. Und wir haben ja auch junge Landwirte. Nur müssen wir permanent dranbleiben. Wir haben auch extrem viel Know-how in der Milchwirtschaft. Es wäre extrem schade, wenn wir das verlieren würden.
Ist man als Landwirt nicht zum Wachsen gezwungen? Kann man überhaupt noch Kleinlandwirt sein?
Was ist ein Kleinlandwirt? Wenn man Gemüse anbaut, braucht man nicht so viel Fläche. Und mit Biogemüse noch weniger. Dafür ist es arbeitsintensiv. Allerdings kann ein Landwirt mit zehn Milchkühen nicht überleben. Die Zeiten sind vorbei. Oder er verkauft Käse, macht Direktvermarktung und lässt sich noch einiges einfallen.
Er spezialisiert sich also.
Wir haben eine große Vielfalt, und diese müssen wir bewahren.
Apropos Biolandwirtschaft. Gibt es da nicht noch viel Luft nach oben?
Bei verschiedenen Produkten auf jeden Fall.
Oder wird sie künftig vernachlässigt?
Nein. Wir werden zusammen mit der Landwirtschaft den PAN Bio (Bio-Aktionsplan) neu erstellen.
Zur Person
Martine Hansen ist Ministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Weinbau sowie für Verbraucherschutz. 1965 in Wiltz geboren, studierte sie nach ihrem Abitur in Diekirch Agrarwissenschaften an der Universität Stuttgart-Hohenheim. Nach ihrem Abschluss als Agraringenieurin absolvierte sie ein weiteres Studium in Schulmanagement an der Uni Kaiserslautern. Hansen unterrichtete von 1993 bis 2006 am „Lycée technique agricole d’Ettelbruck“ und war von 2006 bis 2013 Direktorin der Schule. Von April bis Dezember 2013 war sie Ministerin für Hochschulwesen und Forschung, danach Abgeordnete und ab Dezember 2018 die erste weibliche Vorsitzende der CSV-Fraktion. (sk)
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Die setzt auf welchen Dialog?