Koalitionsvertrag / Mit ChatGPT gegen die Arbeitenden: Opposition äußert sich zum geleakten Dokument
24 Stunden nach der Unterschrift ist der Koalitionsvertrag trotz eines von Luc Frieden verhängten Embargos an die Öffentlichkeit gelangt. Oppositionspolitiker äußern sich kritisch gegenüber dem CSV-DP-Papier.
Die Investigativ-Plattform reporter.lu hat am Freitagmorgen den Koalitionsvertrag der neuen CSV-DP-Regierung veröffentlicht. Auf 209 Seiten haben die beiden Koalitionspartner ihre Pläne und Ziele für die kommende Legislaturperiode dargelegt. Das Regierungsprogramm ist weitaus weniger spektakulär, als die Ankündigungen im Wahlkampf hätten vermuten lassen können. Im Gegenteil: In vielen Punkten bleibt das Programm sehr vage, die von Formateur Luc Frieden versprochene Detailtreue wird sich wohl erst in den Gesetzestexten der neuen Regierung wiederfinden.
Der große Umbruch, den man sich unter dem Wahlslogan „Zeit für eine neue Politik“ hätte vorstellen können, lässt sich nicht direkt aus dem Abkommen herauslesen. Die Wörter „maintenir“ (46), „évaluer“ (125) und „analyser“ (88) kommen insgesamt über 250-mal in dem Dokument vor. Gerade im Bildungsministerium dürfen sich Schüler, Studenten und das Lehrpersonal auf fünf Jahre der Kontinuität einstellen. (siehe Bildung)
Ob oder inwiefern die geplante Mitteilung vonseiten der Regierung an die Abgeordneten am Montag stattfinden wird, konnte Interims-Parlamentspräsident Michel Wolter (CSV) am Freitag auf Tageblatt-Nachfrage nicht beantworten. „Ich habe damit nichts zu tun“, sagt Wolter. Er sehe jedoch keinen Grund, dass die offizielle Mitteilung vonseiten der Regierung an das Parlament nicht stattfinden sollte. Institutionell habe das jetzige Dokument nämlich keinen Stellenwert. „Wenn die Regierung es am Montag annimmt und veröffentlicht, ist es ein Regierungsprogramm“, erklärt der langjährige CSV-Politiker und Abgeordnete Michel Wolter. „Obwohl es sich um das gleiche Dokument handelt, ist das eine wichtige Nuance.“
Die Diskussionen um das Publikationsdatum des Koalitionsvertrages ziehen sich bereits mehrere Tage hin. Luc Frieden wollte den Vertrag erst nach seiner Regierungserklärung im Parlament veröffentlichen. Auf Druck einiger Abgeordneter – darunter wohl auch Stimmen aus den Reihen der CSV – wurde dann entschieden, den Abgeordneten am Montag bereits Einsicht zu gewähren, damit diese die an die Regierungserklärung anschließende Debatte ordentlich vorbereiten können. „Ich bitte, die Regierungserklärung als Begleitmusik (,Musek ronderëm‘) zu hören, um verschiedene Entscheidungen zu verstehen“, machte Frieden am Donnerstag bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages noch einmal deutlich. „Die Abgeordneten aber wollten zuerst das Detail und dann den Kontext.“ Mit der Vorgehensweise habe Frieden sich jedoch anfreunden können.
Linke fürchten Aushöhlung des Arbeitsrechtes
Marc Baum, Abgeordneter von „déi Lénk“, meint gegenüber dem Tageblatt, dass er eher ein Gutachten der Luxemburger Handelskammer als einen Koalitionsvertrag zwischen zwei politische Parteien vor Augen hat. „Der Index wird strukturell infrage gestellt“, bemängelt der Linken-Politiker und spricht von einem „Schönwetter-Index“. Auch kritisiert Baum, dass in zahlreichen Bereichen sogenannte „Public-Private-Partnerships“ gefördert werden und private Investoren von öffentlichen Investitionen profitieren könnten. „Das ist relativer Wahnsinn.“
Vor allem aber sieht der Linken-Parlamentarier das Luxemburger Arbeitsrecht in Gefahr. „Es wird eine Flexibilisierung auf Kosten der Arbeitenden angestrebt“, sagt Baum. „Das Arbeitsrecht wird komplett untergraben.“ Das könne man klar aus dem Dokument herauslesen.
Weniger klar sei die von CSV und DP angestrebte Liberalisierung oder Privatisierung im Gesundheitssektor im Vertrag verankert. „Ich habe das auf jeden Fall noch nicht so deutlich herausgelesen wie beim Arbeitsrecht“, sagt Baum. Sorgen mache er sich im Bereich der Sozial- und Rentenversicherung. „Immer dann, wenn Rechte über die Nachhaltigkeit in dem Bereich reden, läuft das auf eine Verschlechterung der Leistungen hinaus.“ Das würde nicht eins zu eins im Vertrag stehen, die Linken seien jedoch alarmiert. Wenig Verbindliches würde zum Thema Umwelt im Koalitionsvertrag stehen. „Dadurch, dass Umweltthemen auf so viele Ressorts aufgeteilt wurden, wird es schwer, eine kohärente Politik in dem Bereich zu machen“, sagt Baum.
Woher nehmen?
„Ich kann den Koalitionsvertrag in einem oder zwei Sätzen zusammenfassen“, sagt der Piraten-Abgeordnete Sven Clement gegenüber dem Tageblatt. Die da wären: „Wo nehmen die das Geld her?“ und „Es sieht aus, als wäre es eine Zusammenfassung der beiden Wahlprogramme, die anhand von ChatGPT verfasst wurden.“ Vieles würde vage bleiben, konkret würden die beiden Koalitionäre nur dann werden, wenn sie klarstellen würden, was sie nicht machen werden. „Es ist an Plattitüden nicht zu überbieten.“
Zum Teil ausklammern würde der Politiker lediglich das Kapitel zur Steuerpolitik, in dem konkrete Ansagen gemacht werden würden, darunter auch die Ankündigung der Inflationsbereinigung der Steuertabelle. Trotzdem würden vielen Maßnahmen die wirtschaftliche Situation oder der Erhalt des Triple A vorangestellt werden.
Das Kapitel zur Digitalisierung überzeugt Clement ebenfalls nicht. „Die Vernetzung zwischen MyGuichet und DSP als großen Wurf vorzustellen, finde ich schon eigenartig“, sagt Clement. Bei einer ersten Analyse seien aber auch einige positive Aspekte aufgefallen. „Die Entlastung Alleinerziehender fordern wir schon länger“, sagt Clement, bemängelt jedoch, dass auch hier keine Details geliefert werden würden. „Die Intention stimmt, die Details fehlen.“
60 Prozent des Vertrages seien überflüssig, wenn mal alle Floskeln streichen würde, meint Clement abschließend. Dass die Regierung das Journalistenstatut auf den Prüfstand stellen will, lässt den Parlamentarier ebenfalls aufhorchen. „Der neue Luc ist vielleicht doch der alte Luc mit einer Maske“, sagt Clement.
Frieden-Touch
LSAP-Fraktionschefin Taina Bofferding will im Koalitionsvertrag den klaren Einfluss des neuen CSV-Premierministers erkannt haben. „Man erkennt schon den Frieden-Touch“, bemerkt Bofferding im Gespräch mit dem Tageblatt. Besonders der Umstand, dass Luc Frieden zehn Jahre lang in der Privatwirtschaft unterwegs war – Stichwort Steuererleichterungen für Unternehmen – lasse sich aus dem Koalitionsabkommen herauslesen.
Für die LSAP-Politikerin ist das Koalitionsabkommen nicht unbedingt sozial gerecht und ausgeglichen. „Von der nun angekündigten Inflationsbereinigung der Steuertabelle profitieren vor allem Großverdiener“, sagt Bofferding, nachdem sie am Nachmittag die Schlüssel fürs Innenministerium Léon Gloden überreicht hatte. Es habe sie gefreut, dass das elektronische System zwischen Innenministerium und Gemeinden weiterhin ausgebaut und eventuell auf andere Ministerien ausgeweitet werden soll. „Wenn sie das tun, werde ich sie auch als Oppositionsleaderin unterstützen.“
In der Logement-Politik von CSV-DP habe die ehemalige Innenministerin mit dem Baulandvertrag und der Mobilisierungssteuer bereits Vorarbeit geleistet. „Mal schauen, wie diese Instrumente weiterentwickelt werden“, sagt Bofferding. „Ich hoffe, dass sie bei der Zielsetzung [der vorherigen Regierung, Anm. d. Red.] bleiben und nicht in eine komplett andere Richtung gehen.“ Schade sei, dass der Wohnungsbau weiterhin nicht zur Chefsache erklärt wurde, sondern einem Claude Meisch anvertraut wurde, der neben dem Bildungsministerium auch für die Landesplanung zuständig ist. „Diese Entwicklung müssen wir im Auge behalten.“ Kritisch sieht die LSAP-Politikerin auch die Wiedereinführung des „Amortissement accéléré“. „Dieses haben wir in der vorigen Regierung abgeschafft, weil es nichts genützt hat“, moniert Bofferding. Nun aber wolle die neue Regierung es wieder einführen. „Es ist halt eine konservative Regierung.“ „Froh“ sei sie hingegen, dass das Chancengleichheitsministerium entgegen anderslautenden Gerüchten nicht abgeschafft wurde.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
„Der neue Luc ist vielleicht doch der alte Luc mit einer Maske“, sagt Clement.
Und das merkt er erst jetzt?
Mal sehen ob unsere S ap ler weiterhin so brav bleiben wie zu Regierungszeiten.