Editorial / Mit dem Bettelverbot schert die DP/CSV- Koalition der Stadt Luxemburg alle Bettler über einen Kamm
Frei von Vorurteilen und Stereotypen ist niemand. Mit jeder menschlichen Interaktion skizzieren wir in unserem Inneren ein Bild von der uns umgebenden Gesellschaft. Um uns das Zuordnen zu erleichtern, stellt sich jeder mehr oder weniger willkürlich zusammengewürfelte Gruppen zusammen, die er dann mit einem Wort betitelt. Das erlaubt es uns, in unserer Welt zu navigieren. Ohne dieses schablonenhafte Denken würde in unserem Kopf Chaos herrschen.
Doch man muss sich dieses Umstands bewusst sein. Denn mit welchen Attributen man Gruppen wie „die Ausländer“, „die Pendler“, „die Luxemburger“, „die Reichen“ oder „die Armen“ verknüpft, sagt am Ende viel über das verinnerlichte Weltbild jedes Einzelnen aus. Niemand lässt sich so einfach in eine Kategorie einordnen. Wenn wir also über eine Person urteilen, sollten wir uns bewusst sein, dass ihre Lebensumstände vielleicht nicht jenen entsprechen, die wir ihr in unserer imaginierten Gesellschaft zugeschrieben haben.
Besonders gefährlich werden Stereotype und Vorurteile, wenn sie als Rechtfertigung für Regelungen und Gesetze gebraucht werden. Das zeigt das Bettelverbot. Hört man den Fürsprechern zu, dann gehören alle Bettler in Luxemburg-Stadt einer einzigen wohlorganisierten Bande an, die unbescholtene Bürger aggressiv belästigt und ihren kriminellen Machenschaften frönt. Kritiker hingegen lassen das Bild entstehen, dass Bettler alle hilfsbedürftige Pechvögel sind, die auf harte Zeiten gestoßen sind und nun von der Gesellschaft hängen gelassen werden.
In den öffentlichen Debatten werden diese beiden Zerrbilder immer wieder bedient und weiter stilisiert, bis eine neutrale, faktische Diskussion über einen angemessenen Umgang mit Bettlern völlig unmöglich wird. Denn man spricht am Ende überhaupt nicht mehr über die tatsächlich spürbaren Probleme und effiziente Lösungsansätze. Sondern es finden nur noch Grabenkämpfe über Extreme statt.
Denn so leicht wie von manchen dargestellt lassen sich Bettler nicht kategorisieren, weder im positiven noch im negativen Sinn. Sie zeichnen sich individuell durch ihre eigene Geschichte, Tradition, Einschränkungen und Fähigkeiten aus. Sie also kollektiv aus unserem Leben verbannen zu wollen, ganz nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ und so, wie es das Bettelverbot vorsieht, wird dieses zwangsläufig zahlreiche Personen bestrafen, die wirklich auf das Betteln angewiesen sind und mit denen die Verteidiger der Bestimmung eigentlich keine Probleme haben.
Mit dem Bettelverbot schert die DP/CSV-Koalition der Stadt Luxemburg, mit dem ausdrücklichen Segen des neuen CSV-Innenministers Léon Gloden, alle Bettler über einen Kamm, um ein Schreckgespenst der „kriminellen, aggressiven Banden“ zu verbannen, das sie selbst in ihrem Wahlkampf erst erschaffen haben und durch das sich ihre Wähler nun „angegriffen“ fühlen. Dabei entblößen sie die hässliche Fratze eines Weltbildes, in denen Arme am Ende nur noch weggesperrt, abtransportiert und vergessen gehören. Doch Armut verschwindet nicht auf Ansage – und die Bettler auch nicht.
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Wat si mir, mënschlech gesinn, dach een aarment Land!