Ukrainehilfe / Mit dem Krankenwagen an die Front: Von Luxemburg ins Kriegsgebiet
Mark Kitchell hat Geld gesammelt, um einen Krankenwagen für die Ukraine zu kaufen. Nun will er ihn dorthin bringen, wo er am dringlichsten gebraucht wird: an die Front. Über einen Mann und eine Mission mit historischen Vorbildern.
Mark Kitchell blickt die sanft geschwungene Linie weißer Marmorkreuze hinab. Vor ihm erstreckt sich ein frisch gemähter Rasen. Die Sonne hat den höchsten Punkt am Himmel erreicht. Die Farben strahlen trennscharf: blau, grün, weiß. Italienischer Marmor, Grabsteine in perfekter Symmetrie, ein Kreuz scheint ins nächste zu fließen, aufgelockert von vereinzelten Davidsternen. Kitchell steht auf dem US-amerikanischen Militärfriedhof in Hamm, vor den Toren der Stadt. Hier liegen 5.076 amerikanische Soldaten begraben. Die meisten von ihnen sind im Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet des Großherzogtums gefallen. „Ich komme hierher, wenn ich innere Ruhe finden will“, sagt Mark Kitchell.
Kitchell ist 55 Jahre alt, ein US-Amerikaner, der seit mehr als zehn Jahren in Luxemburg lebt und arbeitet. „Ich fühle eine Verbindung zu diesem Land“, sagt er. Sein Vater Raymond Kitchell kam als Teil der 89. Infanteriedivision der dritten US-Armee im Februar 1945 nach Luxemburg. „Das Camp meines Vaters lag fünf Kilometer entfernt von meinem heutigen Wohnort in Mertert“, sagt der US-Amerikaner. Von dort aus ging es zunächst über die Mosel und dann über den Rhein, um Europa und Deutschland von den Nationalsozialisten zu befreien.
Kitchells Vater liegt nicht in Hamm. Er hat überlebt. Sein Sohn besucht den Militärfriedhof trotzdem regelmäßig. „Das hilft mir, meine Alltagsprobleme ein bisschen in Perspektive zu setzen.“ Am kommenden Sonntag wird Mark Kitchell seine Alltagsprobleme hinter sich lassen. Er wird in einen Krankenwagen steigen und ihn 2.500 Kilometer Richtung Osten steuern – bis an die Front in der Ukraine.
Kriegsgebiet statt Sommerurlaub
Zusammen mit der luxemburgischen NGO LUkraine hat Kitchell in den vergangenen Monaten eine erfolgreiche Spendenkampagne auf die Beine gestellt, um Geld zu sammeln für etwas, was im Kriegsgebiet – abgesehen von Waffen – dringend gebraucht wird: medizinische Hilfsgüter. „Einen funktionierenden Rettungswagen für 10.000 Euro zu finden, war eine Herausforderung“, sagt Kitchell. Der Markt ist klein. Doch er ist fündig geworden. In Frankreich, zwei Stunden Autofahrt von Luxemburg entfernt. Vergangenen Freitag hat Kitchell den Wagen mit einem Kollegen von LUkraine abgeholt. Am Dienstag steht er damit auf dem Parkplatz des Militärfriedhofs in Hamm. Und während andere in den Sommerurlaub fahren, geht es für Kitchell am Sonntag ins Kriegsgebiet.
Viel Risiko für ein einziges Fahrzeug. Jeder gespendete Rettungswagen rettet 250 Leben, bevor er zerstört oder funktionsuntüchtig wird, sagt das ukrainische Gesundheitsministerium. „Ich kann diese Zahlen nicht verifizieren“, sagt Kitchell. Aber auch wenn es nur die Hälfte sei, wäre das großartig. Im vergangenen Jahr war Kitchell schon einmal in der Ukraine. Er fuhr einen Wagen in einem Konvoi nach Dnipro. Dort hat LUkraine ein Büro. Die NGO kümmert sich um Wasserversorgung, fährt Evakuierungsmissionen. Kitchell besuchte ein Krankenhaus für Menschen, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben. Er sprach mit Verwundeten, war beeindruckt von deren Kampfgeist und Lebenswillen. „Das war gleichzeitig der fröhlichste und traurigste Teil der Reise.“
In diesem Jahr gibt es keinen Konvoi. Nur Kitchell, den Rettungswagen und einen Freund, der als zweiter Fahrer dient. Sie haben die Strecke in fünf Etappen eingeteilt. Erster Halt: Ohrdruf bei Gotha in Thüringen. Hier stand einst das erste Konzentrationslager, das an der Westfront befreit wurde. Im April 1945. Von Raymond Kitchell und der 89. Infanteriedivision. Als General Eisenhower das KZ wenige Tage später besuchte, sagte er zu seinen Soldaten: „Nehmt alles zu Protokoll, holt die Filme, holt die Zeugen. Denn eines Tages wird irgendein Mistkerl aufstehen und sagen, das sei alles nicht passiert.“ Raymond Kitchell erzählt seinem Sohn Mark Jahre später von der Befreiung, von dem Grauen. Er nennt es: „die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen“.
„Dieses Erbe der Generation des Zweiten Weltkriegs ist ein wichtiger Grund, warum ich heute die Ukraine unterstütze“, sagt Mark Kitchell. Er blickt auf die Soldatengräber. „Sie kamen in ein fremdes Land, von dem sie vielleicht noch nie gehört hatten, und kämpften für dieses Land.“ Hilfe in der Not, eine amerikanische Tradition. „Ich will diese Verbindung machen, dass Amerikaner den Europäern schon seit dem Ersten Weltkrieg helfen, sich gegen Tyrannei und Faschismus zur Wehr zu setzen“, sagt Kitchell.
Ein historisches Vorbild
Der Rettungswagen, der am Sonntag in Richtung Ukraine startet, hat ein historisches Vorbild: Noch bevor die Vereinigten Staaten 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, transportierten US-Bürger mit Rettungswagen verwundete Soldaten in Frankreich von der Front in Krankenhäuser. Der sogenannte „American Field Service“ bestand aus freiwilligen Sanitätsfahrern, vor allem aus jungen US-amerikanischen Männern, die an Elite-Universitäten studierten.
Kitchells Rettungswagen steht in einer amerikanischen Tradition. Verbündeten helfen, wenn sie in Not geraten sind. Einer Tradition, die heute alles andere als selbstverständlich ist. Die USA ziehen sich schon seit Jahren immer mehr aus Europa zurück. Trumps verbale Angriffe auf den Bündnisparagrafen der NATO sind nur der jüngste Höhepunkt in einer Geschichte der Entfremdung. „Wir sind ein gespaltenes Land“, sagt Kitchell über seine Heimat. Er sitzt auf einer Bank. Die Friedhofsruhe setzt einen Kontrapunkt zum Kriegsgespräch. „Aber das waren wir auch damals. Und trotzdem haben sich die Leute hinter einer guten Sache versammelt.“
Mit seiner Mission will Kitchell zeigen, was eine einzige Person alles bewirken kann. „Luxemburg ist großzügig gewesen, aber es kann noch mehr tun.“ Mehr Geld in die Verteidigung und die NATO investieren, zum Beispiel. Kitchell kritisiert den Umgang der Regierung mit der Gazprombank Luxembourg. „Ich verstehe einfach nicht, warum eine Bank, die eine direkte Verbindung zur russischen Regierung hat, in Luxemburg operieren darf.“ Er blickt wieder über die Gräber: „Sind diese Jungs hierhergekommen und haben ihr Leben geopfert, damit wir eine Steueroase für illegale russische Gelder werden können?“ Nach der Sache mit dem Rettungswagen will sich Kitchell diesem Thema widmen.
„Was mich aber am meisten motiviert, sind all die ukrainischen Freunde, die ich seit der russischen Invasion gemacht habe.“ Kitchell erzählt die Geschichte von Yulia und ihrem Mann Pavlo, die vor der russischen Invasion aus dem Osten der Ukraine nach Luxemburg fliehen mussten. Er erzählt von LUkraine und dem Schulprojekt „Mriya“, das Kitchells Arbeitgeber Amazon finanziell unterstützt und wo ukrainische Kinder in Luxemburg die Sprache und Kultur ihrer Heimat lernen können. Wie er mit LUkraine in Kontakt gekommen ist? Gleich am ersten Tag nach Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine, am ersten Protest auf der Place de Clairefontaine. Auf seiner Reise habe ihm in jeder Stadt jemand eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten. In Kiew wird sich Kitchell mit einem Ex-Militär und einem professionellen Fahrer treffen, die ihn auf der letzten Etappe und an den Checkpoints unterstützen werden.
Ich will mit eigenen Augen sehen, was die Menschen dort erleben
„Ich weiß, dass LUkraine mich mit den richtigen Papieren ausgestattet hat“, sagt Kitchell. „Aber an der Grenze weißt du nie.“ Der US-Amerikaner will den Wagen soweit wie möglich an die Front bringen. Wohin genau, das kann er noch nicht verraten. „An einem bestimmten Punkt werden wir unser endgültiges Ziel festlegen“, sagt Kitchell. Die letzte Etappe, das werde der schwerste Teil sein. „Wir werden in der Nähe der Front sein. Seit letztem Jahr hat sich der Krieg verändert. Es gibt mehr Angriffsdrohnen. Wir wissen, dass die Russen Rettungswagen ins Visier nehmen.“
Warum nimmt er so ein Risiko in Kauf? Warum bringt er den Wagen nicht einfach bis nach Kiew? Warum muss es die Front sein? „Wir wollen den Wagen dorthin fahren, wo er am dringlichsten gebraucht wird“, sagt Kitchell. In Charkiw, einem möglichen Ziel, leben noch immer eine Million Menschen, in unmittelbarer Nähe der Front. Alltag unter Beschuss. „Da werde ich ja wohl eine einzige Nacht dort verbringen können.“ Und dann sagt Kitchell etwas, was auch sein Vater hätte sagen können: „Ich will mit eigenen Augen sehen, was die Menschen dort erleben. Und dann darüber berichten.“
Der weiße Marmor der Grabsteine glänzt in der Sonne. Der Friedhof ist ein Ort des Krieges – und doch scheint der Krieg in dieser Idylle weit entfernt. Ein Trugschluss. Es sind gerade einmal 2.500 Kilometer. „Ich versuche mich vorzubereiten“, sagt Kitchell. „Ich war noch nie in einem Kriegsgebiet. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, von Drohnen angegriffen zu werden. Aber ich fokussiere mich nicht darauf, sondern auf den Job. Ich habe keine Angst.“
Mission Rettungswagen
In den kommenden Tagen wird Mark Kitchell für das Tageblatt von seiner Reise an die ukrainische Frontlinie berichten.
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