Editorial / Mit dem Tabu brechen: Über die mentale Gesundheit im Spitzensport
Es waren ungewöhnliche Bilder, die am Donnerstag bei den French Open zu sehen waren. Eigentlich lief für die Rumänin Simona Halep, ehemalige Nummer eins der Tennis-Weltrangliste, alles wie üblich. Den ersten Satz gegen die Chinesin Zheng Qinwen hatte sie souverän mit 6:2 für sich entschieden. Kurz darauf kniete sich die 30-Jährige jedoch hin, begann nach Luft zu schnappen, musste im Verlauf der Partie gleich zweimal vom medizinischen Personal versorgt werden. Halep spielte weiter, unterlag in den beiden restlichen Sätzen jedoch chancenlos mit 2:6 und 1:6. Erst bei der späteren Pressekonferenz gab sie bekannt, dass sie während der Partie unter einer Panikattacke litt. „Ich weiß wirklich nicht, warum es passierte“, erklärte sie und vermutete, dass sie sich selbst im Endeffekt wohl einfach zu sehr unter Druck gesetzt hatte. Inzwischen geht es der Rumänin besser, wie sie auf ihrem Instagram-Account schrieb; sie offenbarte jedoch auch, dass die letzten 18 Monate für sie selbst „sehr hart und emotional“ waren. „Meine Botschaft an die Menschen, die mir sehr nahe stehen, war, dass ich nicht mehr kann, dass ich mit dem Tennis fertig bin. Aber irgendwie bekam ich das Feuer zurück … und ich beschloss, hart zu arbeiten und bedeutende Veränderungen vorzunehmen.“
Eine Gefühlslage, die in der Öffentlichkeit niemand mitbekam und im internationalen Spitzensport nur selten offen kommuniziert wird. Das Eingestehen der eigenen Schwäche scheint gerade in diesem Bereich immer noch ein Tabuthema zu sein. Dennoch rückte der Begriff der mentalen Gesundheit vor einem Jahr bereits einmal in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Denn mit Turnerin Simone Biles war es ein absoluter Weltstar, der sich bei den Olympischen Spielen in Tokio aus dem Finale des Team-Wettbewerbs zurückzog, da sie bei ihren Sprüngen – die vom Schwierigkeitsgrad her kaum noch zu toppen sind – keine Sicherheit mehr spürte. Zu sehr lastete der Druck einer ganzen Nation auf den Schultern der jungen Turnerin, die auch im Mittelpunkt des Missbrauchsskandals um den früheren Mannschaftsarzt Larry Nassar stand und kurz vor Tokio mit dem Tod ihrer Tante zudem noch einen privaten Schicksalsschlag zu verkraften hatte. Anstatt auf die erwarteten fünf Goldmedaillen konzentrierte sich die damals 24-Jährige auf der größten Sportbühne der Welt auf sich selbst und hinterlässt damit ein Erbe, das vielleicht viel größer ist als der sportliche Erfolg.
Die Fälle Halep und Biles, aber auch der Tennisspielerin Naomi Osaka, die ihre Depressionen im letzten Jahr ebenfalls öffentlich machte, zeigen, dass Spitzensportler eben keine Maschinen sind. „Wir sind nicht nur zur Unterhaltung da, wir sind auch Menschen. Wir haben Gefühle. Und am Ende des Tages verstehen die Leute nicht, was wir durchmachen“, erklärte Biles den Verzicht bei Olympia und hofft, dass sie dazu beitragen kann, mit ihrer Entscheidung das Thema Selbstbestimmung von Sportlern mehr in den Fokus zu rücken: „Daran werde ich wahrscheinlich 20 Jahre lange arbeiten“, war sie sich zuletzt jedoch in einem Interview bewusst. Dennoch haben diese starken Damen in den letzten Monaten gezeigt, dass Schwäche einzugestehen auch eine große Stärke ist.
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