Zu den Folgen des Stillstands / Mit offenen Augen in den wirtschaftlichen Abgrund – Interview mit Yves Kuhn
„Stellen wir uns derzeit die richtigen Fragen?“, fragt sich Yves Kuhn, ehemaliger Chief Investment Officer der „Banque internationale à Luxembourg“ (BIL). Die Wirtschaft wurde zum Schutz der Bürger stillgelegt. Doch auch die ankündigende Wirtschaftskrise wird ihre menschlichen Opfer fordern.
Tageblatt: Als ehemaliger Hauptverantwortlicher für die Anlagepolitik einer Bank haben Sie Erfahrung mit der Erstellung von Wirtschaftsprognosen. Wie geht es nun weiter in der Welt?
Yves Kuhn: Aktuell ist das Erstellen von Prognosen eher schwierig. Niemand weiß so richtig, was die Zukunft bringt. Wird es ein Medikament sein, das die Mortalität vom Coronavirus stark reduziert? Wird es ein Impfstoff sein? Oder werden wir mehrere Serien von Corona-Krankheitswellen erleben? Wird das Virus mit dem Sommer verschwinden, so wie es das SARS-Virus im Jahr 2003 gemacht hat? Irgendwann, in nicht allzu weit entfernter Zukunft, werden wir uns wohl die Frage stellen müssen: Haben wir beim Kampf gegen die Corona-Seuche die richtigen Prioritäten gesetzt?
Machen wir denn alles richtig?
Es ist wahrscheinlich viel zu früh, um diese Frage zu stellen und zu beantworten. Wir sind uns nicht mal sicher, wie tödlich und wie weitreichend die Corona-Seuche ist. Unabhängig vom Coronavirus kann man davon ausgehen, dass dieses Jahr rund 14 Millionen Menschen weltweit im ersten Quartal sterben. Wenn wir die veröffentlichte Zahl von Coronavirus-Toten (100.000) im ersten Quartal nehmen, macht die Corona-Seuche etwa 0,7 Prozent aller globalen Todesfälle im ersten Quartal aus. Wahrscheinlich liegt die Dunkelziffer sogar höher. Was wir jedoch nicht wissen, ist, wie die anderen, auch indirekten Konsequenzen dieser Stilllegung zu messen und zu verwerten sind: Wie bewerten wir die psychologischen Folgen, wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und ganze Existenzen ruiniert werden?
Es zeichnet sich bereits jetzt eine Explosion der weltweiten Arbeitslosigkeit – sowie Armut und Hunger – ab. Gibt es Zahlen, die zeigen, wie schädlich ein derartiger Wirtschaftseinbruch für die Gesundheit der Menschen ist?
Es geht mir nicht darum, die Priorität und Bedeutung des Lebens zu mindern. Natürlich steht das menschliche Leben über allem. Aber die Erlebnisse der letzten Wochen werden viele globale Konsequenzen haben: sei es die Millionen von Menschen in der Arbeitslosigkeit, sei es in der Erziehung unserer Kinder, die mentalen Probleme, denen viele durch ihre Existenzangst ausgesetzt sind, oder einfach, dass die zukünftige Wirtschaftslage den Sozialstaat, wie wir ihn kennen, in einigen EU Staaten eventuell nicht mehr möglich macht. In der letzten großen Finanzkrise 2008-2009 gehen die USA davon aus, dass bis 900.000 Menschen gesundheitliche Schäden von dem Einbruch der Wirtschaft und dessen Konsequenzen davongetragen haben.
Die aktuelle Situation erscheint alternativlos. Die Verbreitung des Virus muss doch gebremst werden, damit die Krankenhäuser mit dem Ansturm von Patienten klarkommen können …
Um es mal klar zu sagen: Im ersten Quartal 2020 sind wir in den westlichen Ländern von Covid-19 überrumpelt worden. Das hat auch Präsident Macron in seiner Ansprache an die Nation vom 13. April bestätigt. Sogar Mitte Februar haben die wenigsten Entscheidungsträger in Europa daran geglaubt, dass ganze Schulen geschlossen werden, dass wir beim Einkaufengehen unsere Nachbarn und Kollegen nicht mehr wiedererkennen, weil wir alle Masken tragen werden, oder dass die Wirtschaft fast gänzlich stillgelegt werden würde.
Wir sind in den westlichen Ländern von Covid-19 überrumpelt worden
Unsere Politiker haben schnell erkannt, was unser erstes Ziel ist bei dieser Seuchenbekämpfung: Möglichst viele Leben zu retten und unserem Gesundheitssystem eine Chance zu geben, dem Ansturm von potenziellen Patienten standzuhalten.
„Ganz alternativlos ist es nicht“
Italien war in Westeuropa eines der ersten Länder, das ein Lockdown, d.h. eine sanitäre Distanz zu erstellen und die Wirtschaft auf null zurückzufahren, praktiziert hat. Da die Erfahrungen mit einer Seuche in den westlichen Ländern minimal waren, haben sich viele Entscheidungsträger mit dem italienischen Modell auseinandersetzen müssen. Auch Länder, die einen anderen Weg gehen wollten, waren dem starken politischen Druck oft nicht gewachsen und haben eine Kehrtwendung gemacht wie z.B. Großbritannien. Ganz alternativlos ist es nicht. Es scheint eine Frage der Intensität der Maßnahmen, aber auch der Tests und des Tracking von Corona-Infizierten zu sein.
Beispielsweise Schweden …
Schweden beispielsweise geht einen etwas anderen Weg. Auch Korea hat nicht seine ganze Wirtschaft lahmgelegt. Wie diese Alternativmodelle ausgehen, ist jedoch noch ungewiss. Auf jeden Fall glaube ich, dass man schon heute sagen kann, dass einige asiatische Länder wie Taiwan, Südkorea oder Singapur sicher reiche Erfahrung mit Epidemien wie mit dem SARS-Virus angesammelt haben. Deshalb mussten sie nicht ihre ganze Wirtschaft auf null zurückfahren.
Werden uns die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus die heftigste Rezession seit fast einem Jahrhundert bringen?
Die Antwort dieser Frage hängt sicherlich damit zusammen, wie lange wir die Wirtschaft schließen, und auch damit, wie eine Normalisierung aussehen wird. In der Zwischenzeit sprechen mehr und mehr Experten von einer W-Form-Normalisierung. Was Sie damit meinen, ist, dass die Corona-Welle nicht nach ein paar Wochen abgehakt ist. Sie rechnen mit einem wiederholten Aufkommen von Infektionswellen über die nächsten Monate. Immer wieder müsste die Wirtschaft abgebremst und gegebenenfalls geschlossen werden.
„Wir werden sicher eine starke Rezession haben“
Und wie lange wird der Abschwung dauern?
Man sagt, dass eine Rezession einige Quartale andauert, während sich eine Depression über mehrere Jahre hinzieht. Was wir von der Geschichte gelernt haben, ist, dass Rezessionen oft durch falsches Handeln der Entscheidungsträger in Depressionen übergangen sind. Wir werden sicher eine starke Rezession haben. Wir wissen jedoch nicht, wie lange das Ganze anhalten wird. Wir wissen, dass in den 30er Jahren die Krise durch falsche Maßnahmen der Zentralbanken verschärft wurde. Wir kennen noch nicht die Maßnahmen, die von unserer Regierung oder von Nachbarländern zwecks Normalisierung genommen werden. Wir wissen auch nicht, wie wir aus dieser gewollten Wirtschaftsstilllegung rauskommen. Einige Wirtschaftsmodelle zeigen, dass ein Monat Wirtschaftsstille etwa drei bis vier Prozentpunkte vom Bruttosozialprodukt abzieht. Moody’s prognostiziert zurzeit ein negatives Wachstum von minus fünf Prozent für Luxemburg.
Wie sieht es mit der Arbeitslosenquote aus?
Die ILO (International Labour Organisation; Anm. der Red.) rechnet im ersten Quartal 2020 mit fast 30 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen. Dies vor allem in den arabischen Staaten und in Asien. Die Arbeitslosigkeit in den USA wird in den nächsten Wochen von 3,6 Prozent (5,5 Millionen) auf über 12 Prozent (18,3 Millionen) ansteigen. Nach der Finanzkrise, im Mai 2009, betrug die Arbeitslosenquote in den USA 9,5 Prozent. Schätzungen zufolge wird es dort in der zweiten Hälfte 2020 eine Arbeitslosigkeit von 17 bis 20 Prozent geben. In Europa hilft die Kurzarbeit zurzeit, die Arbeitslosenquote weitgehend unter Kontrolle zu behalten.
So viele negative Zahlen … Dabei setzen die Staaten doch viele Milliarden ein …
Klar ist, dass die Staaten viele Mittel gegen den Kampf dieser Krise zur Verfügung stellen. Luxemburg stellt 9 Milliarden bereit, um den wirtschaftlichen Konsequenzen des Coronavirus zu trotzen. Die G20-Staaten haben etwa 5.000 Milliarden in die Hand genommen, um gegen den selber hervorgerufenen Wirtschaftsstillstand vorzugehen. Dies ist eine schier unglaubliche Zahl.
Auch stellt sich wieder die Frage der Inflation. Wird das viele neue Geld die Preise nach oben treiben?
Wir können auf Erfahrungen zurückblicken. Zwischen 1950 und 1973 druckte die Zentralbank in Kanada Geld, um die Regierung teils direkt zu finanzieren. Trotzdem entstand keine Hyperinflation. Wohl eine Frage des Vertrauens. Dann gibt es natürlich das Beispiel von Deutschland in den 20er Jahren. Oder von Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dort führte Gelddrucken zur Hyperinflation. Wenn nun tatsächlich 5.000 Milliarden US-Dollar in den Umlauf kommen werden, stellt sich die Frage: Wie wird der Preis des Geldes bzw. wie wird sich die Inflation verhalten? Hier muss man sich bewusst sein, dass der Löwenanteil nicht direkt an die Konsumenten ausgeteilt werden wird. Es sind eher staatliche Darlehensgarantien, die sich ihren Weg in die Volkswirtschaften erobern. Es wird sicher auch einige Länder geben, in denen der monetäre Stimulus direkt an den Staat oder an den Konsumenten weitergegeben wird, z.B. die USA. Hier steht noch aus, wie die Inflation reagieren wird. In China ist die Inflation während der Corona-Krise gestiegen, da wenige Güter zur Verfügung standen. So wie heute mit Sanitärseife und Plastikhandschuhen bei uns. Wegen des stark gefallenen Ölpreises ist bei uns jedoch aktuell die gemessene Preissteigerungsrate niedrig. Der Ölpreis wird aber wieder steigen.
Zur Person
Yves Kuhn war von 2012 bis 2018 Chief Investment Officer und damit Hauptverantwortlicher für Investments bei der BIL in Luxemburg. Heute ist er im Vorstand von der BIL-eigenen Fondsstruktur BILInvest. (www.yveskuhn.com)
- Elektroautos haben ihren Marktanteil in Luxemburg weiter ausgebaut - 10. Januar 2025.
- Die Zahl der Firmenpleiten ist 2024 deutlich gestiegen - 9. Januar 2025.
- Die Inflationsrate ist im Jahr 2024 deutlich zurückgegangen - 9. Januar 2025.
Jaja. Wirtschaftiches Armageddon.So kennen wir sie ,die BWL-Experten. Wenn die Investitionen nicht brummen auf Teufel komm raus,dann gehen wir alle zugrunde. Wer war denn Schuld an der Bankenkrise? Waren das nicht eben diese Experten,die „Eiterpickel des Kapitalismus“( Volker Pispers),die den Mund,resp.die Taschen nicht voll genug kriegten? Ackermann&Söhne,rücksichtslos und dicke Löhne. Aber es wird weitergehen.Wie immer nach Katastrophen und vielleicht bleibt diesmal etwas Menschlichkeit und Anstand übrig nach dieser guten Lehre.
Herr Kuhn, was ist ein Menschenleben wert?
Yves Kuhn / und ewig grüsst das Murmeltier : „Aktuell ist das Erstellen von Prognosen eher schwierig. Niemand weiß so richtig, was die Zukunft bringt.“
An all diese Schlaumeier: vergisst das Wörtchen „Aktuell“.
Schon mal überlegt wieso die Rendite eines Investmentfonds die von Personen – wie Yves Kuhn – verwaltet werden im Durchschnitt kein Mehrwert im Vergleich zu einem Index bieten? Eeben….
Dem Yves Kuhn seng Gedanken sinn eng Iwerleeung wert.
Déi selwescht Saach hunn mer matt dem Klimawahnsinn matt dem klengen Mädchen.
Wahrscheinlech sinn schons méi Leit un den Folgen vun enger Riesenflemm gestuerwen wéinst allen Katastrophen, déi do sollen kommen, wéi der herno (wann et je kënnt) stierwen wärden.