Kräuterwanderung / Mit wachen Augen die Flora betrachten
Das Frühjahr lässt in diesem Jahr auf sich warten, schließlich bricht es sich doch in Gärten, Parks und Wäldern seine Bahn. Nicht nur Bäume und Sträucher schlagen aus, auch auf dem Boden wächst und grünt es. Unkraut oder Wildkraut – die Diskussion über unsere heimische Pflanzenwelt hat schon vor Jahren Fahrt aufgenommen. Wie aber sich schlaumachen, Kräuter erkennen und bestimmen? Unsere Korrespondentin Elke Bunge machte sich auf die Spur.
Alles sprießt und grünt. Manches zu viel, meinen meine Nachbarn und gehen mit Hacke und Spaten den Unkräutern zu Leibe. Auch in meinen Garten breitet sich gerade rasant eine Pflanze aus, die ich weder gesät noch gepflanzt habe, Gewöhnliches Tellerkraut. Schon wollte ich sie großflächig ausrupfen, da sah ich auf dem Wochenmarkt, dass sie als Wildsalat namens Cuba-Spinat oder Portulak teuer angeboten wird. Also doch nicht alles „Unkraut“, was da wächst?
Einer, der es wissen muss, ist Marius Sinn. Der einstige Softwareentwickler hat schon vor Jahren seinen Platz hinter dem Computer mit der Natur, den Wäldern, Wiesen und Gärten getauscht. Gesundheitliche Probleme, so verriet Marius, haben von ihm eine Änderung der Lebensweise verlangt. Und dies in erster Linie auch als Änderung der Ernährungsweise. Heimische Supermärkte boten nicht an, was er sich vorstellte. Und so begann Marius, nach Alternativen zu suchen.
„Begonnen hat es mit geführten Wanderungen, dort lernte ich die ersten Wildkräuter und ihre Verwendungsmöglichkeiten kennen“, erinnert sich der Gründer und Betreiber der Internetplattform Krautkind.de an seine ersten Erfahrungen. 2008 legte er seinen ersten „Kräutergarten“ auf dem Balkon seiner Wohnung an. „Der sah bald aus wie ein Dschungel“, sagt Marius schmunzelnd.
Die Alternative war, aufs Land zu ziehen und selbst einen richtigen Garten anzulegen. Als Autodidakt lernte er immer mehr Kräuter und Wildpflanzen kennen und nutzen. Heute ist er Pfleger von 500 essbaren europäischen Wildpflanzen in seinem Garten, ein Bruchteil der über 10.000 ähnlicher Pflanzen, die es in unserer Natur überhaupt gibt.
Wissen weitergeben
Seit nunmehr 15 Jahren sammelt der ursprüngliche Hobbygärtner Erfahrungen und Wissen. Ein Wissen, dass er nicht nur für sich behalten will, sondern auch gern an Interessenten weitergibt. Und so entstand die Idee von „Kräuterwanderungen“. Häufig führen seine begleiteten Wanderungen in den Park von Mirador in Steinfort. Auf der früheren Industriebrache gibt es viel zu entdecken (das Tageblatt berichtete am 3. März).
„Diese speziellen Kräuterwanderungen dauern nur zwei Stunden. Ich achte darauf, dass wir dabei nur etwa fünf bis zehn Pflanzen genauer betrachten und besprechen“, erklärt Marius. Weniger sei in diesem Fall mehr, denn die Informationen sind reichhaltig und die Teilnehmer an der Tour sollen das Wissen ja mitnehmen und später selbst anwenden können. So reicht oft eine Strecke von etwa fünf Kilometern aus, um die entsprechenden Pflanzen finden und bestimmen zu können. Und man darf sicher sein, Marius findet immer etwas. Hier eine Wildmöhre, die nicht nur den Kaninchen und Hasen schmecken dürfte, dort Nelkenwurz. Oder auch Distelkraut. Das wurde früher von den Benediktinern dem Bier als Würze beigegeben. Die auch Benediktenkraut genannte Pflanze kann zudem als Heilmittel bei Hautkrankheiten oder Magen-Darm-Verstimmungen angewandt werden.
„Gern suche ich mit meinen Mitwanderern auch Doppelgänger. Denn so sehr ich Wildkräuter liebe und sie in meiner Küche benutze, so sehr warne ich auch davor, sie ohne genaue Bestimmung zu verwenden“, meint Marius. Denn die Wildmöhre kann leicht mit dem Gefleckten Schierling verwechselt werden. Bärlauch, das als „wilder Bruder des Knoblauch“ gern gesammelt wird, kann ebenfalls mit giftigen Doppelgängern verwechselt werden, zum Beispiel mit den Blättern des Maiglöckchens oder – noch gefährlicher – mit der Herbstzeitlosen. „Um hier sicherzugehen, nehme ich mir viel Zeit, mit meinen Kursteilnehmern die Pflanzen genau zu bestimmen. Wer mag, kann dann auch einige der sicher bestimmten Pflanzen mit nach Hause nehmen und im Garten oder auf dem Balkon eine Wildkräuterecke anlegen.“
Wie alles in der Natur haben auch die Wurzel- und Kräuterwanderungen ihre Zeit im Jahresablauf. Wurzeln kann man am besten im ersten Vierteljahr, in der noch kalten Jahreszeit, finden. Im März und April lassen sich sowohl Bärlauch als auch ihre giftigen Pendants entdecken und unterscheiden. Zum Ausklang des Frühjahrs und in den ersten Sommermonaten finden wir Wildkräuter an Bach- und Flussufern.
Highlight einer solchen Veranstaltung ist dann stets das Zubereiten von Wurzel und Kräutern sowie ein gemeinsames Kochen und Verspeisen des Gefundenen.
Wildpflanzen sind eben nicht auf Form, Größe und Zuckergehalt gezüchtet, vielfach enthalten sie noch mehr Inhaltsstoffe wie Mineralien und Vitamine als Kulturpflanzen. So findet man in 100 Gramm Brennnessel etwa 300 Milligramm Vitamin C. Aus 200 Gramm junger Brennnesselblätter, 200 Millilitern Olivenöl, zwei Knoblauchzehen und 200 Gramm Nüssen lässt sich – abgeschmeckt mit Salz und Pfeffer – ein tolles Pesto aus Wildpflanzen kreieren.
Marius’ Credo bei den Kräuterwanderungen: Nimm nur so viele Pflanzen, wie du auch verbrauchen kannst, sammle keine geschützten Pflanzen und sammle nur dort, wo reichlich Exemplare wachsen. Und wenn du einen gefährdeten Ort ausmachst, setze die Pflanze behutsam in einen Grund, wo sie sicher aufwachsen kann.
Neben Kräuter- auch Survivaltouren
Der Titel der Touren hört sich martialischer an, als es in Wirklichkeit ist. Dauern die meisten Kräuterwanderungen nur wenige Stunden, so muss man sich für eine geführte Survivaltour schon einen ganzen Tag oder besser noch ein Wochenende Zeit nehmen. Dafür ist man dann auch ganz in der Natur zu Hause. Das heißt nicht, bloß und allein im Wald zu übernachten. Wer mag, kann sich von zu Hause einen kleinen Proviant mitnehmen. Doch wer sich auf das Abenteuer einzulassen versteht, erlebt, was alles im Wald und auf Wiesen an Essbarem wächst und wie man es durchaus schmackhaft zubereiten kann. Und einmal Natur pur zu spüren, kommt in unserer industrialisierten Welt nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele zugute.
Zur Vorbereitung ist gut zu überlegen, was man alles mitnehmen will, denn das alles muss auch getragen werden. Neben wetterfester Kleidung und Schuhwerk sind eine leichte Plane (Tarp) und ein warmer Schlafsack notwendig. Im Wald nass werden ist an kühlen Tagen keine gute Idee. Zum Sammeln und Essen sollte man ein geeignetes Messer mit sich führen. Etwas Öl, Salz und Pfeffer kann zum Würzen des Essens auch nicht schaden. Nützlich sind ebenfalls ein kleiner Topf und ein Camping-Gaskocher mit kleiner Flasche. Das alles kann in leichtem Gepäck verstaut werden und schon kann die Tour beginnen.
Wie bei den Kräuterwanderungen lernen die Teilnehmer von ihrem Kursleiter – auch hier bietet Marius Sinn die verschiedensten Wanderungen an –, sich in der Natur zu bewegen, Essbares zu finden und zuzubereiten. Und neben der Erholung auch die Natur neu kennen und schätzen zu lernen.
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