Satire / Mittagsrunde in der „Brideler Stuff“: Das politische Geschick des Paul Konsbruck
Wild gewordene Journalisten, die nur mit Luxemburger Kulturgut – dem „Humpen“ – zu besänftigen waren, oder der Rückruf der Luxemburger Aufklärungskoryphäe Jeannot Waringo: Im Luxemburger Staatsministerium ist immer was los. In der vierten Folge von „Cringe – Grenzfälle der Luxemburger Politik“ begleiten wir Xavier Bettels Kabinettschef Paul Konsbruck hinter die Kulissen des täglichen Polit-Wahnsinns in die „Brideler Stuff“.
„Er will was?“, schreit Xavier Bettel entrüstet auf und droht am grünen Salat zu ersticken. Bettels Kabinettschef Paul Konsbruck zuckt zusammen und duckt sich weg. „Wieder Justizminister werden. Also eigentlich bleiben“, flüstert Konsbruck, um den plötzlich erratisch wirkenden Premier nicht noch weiter zu verärgern. Aus den Augenwinkeln blickt er in die besorgten Gesichter der Ministerrunde. Xavier schießt die Zornesröte ins Gesicht, während sich der sonst so ruhige Atem in ein wildes Schnaufen verwandelt. Sein Blick irrt wirr an den Tischgästen entlang, die Augen weit aufgerissen und umrandet von der pochenden Stirnader, die jedem Vertrauten des Premiers verrät, schnellstmöglich Deckung zu suchen. Konsbruck setzt zu einem Hecht unter den Tisch an – doch der Premierminister kommt ihm zuvor. Xavier springt auf, läuft zur Justizministerin Sam Tanson und zu Transportminister François Bausch, zieht sie an den Ohren von ihren Stühlen und bugsiert sie in einen angrenzenden Raum. „Könnt ihr beiden Partei und Personalien endlich in den Griff bekommen, oder soll ich euch Waringo auf den Hals hetzen?“, hört man Xavier brüllen, bevor ein lautes Krachen und durch den Raum fliegende Holzsplitter das Zuschlagen der Tür verkünden.
„Paul, was ist denn jetzt wieder los?“, fragt Paulette Lenert halb erschrocken, halb resigniert in die stechende Stille hinein. „Félix Braz hat gegen seinen Rücktritt im Oktober 2019 geklagt“, gesteht der sichtlich erleichterte Kabinettschef der erstaunten Ministerrunde – immerhin ließ der Premier seine Wut dieses Mal nicht an ihm aus. Kurz lässt er seinen Blick über den reich gedeckten Tisch im Restaurant schweifen, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Schade, dass er keine Zeit für einen kleinen Bissen hat. Verstohlen schaut er durch die Runde, keiner scheint ihm noch irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, zu sehr sind die Minister wieder in ihre Gespräche vertieft. Schnell steckt er sich zwei Spargel vom Teller des Premiers in den Sakko, bevor er sich wieder klammheimlich vom Tisch entfernt.
Das Ministertreffen in der „Brideler Stuff“ wurde sehr kurzzeitig einberufen, der halbe Staatsapparat eigens dafür in Bewegung gesetzt. Man müsse beweisen, dass sich ein Restaurantbesuch auch weiterhin lohne – für den Betreiber als auch den Gast, hieß es in der neuesten Ausgabe der „Circulaire Bettel“, die jedem Staatsbeamten um sechs Uhr in der Früh als Weckerklingelton im Kanon vorgelesen wird. Für jeden Minister musste also in kürzester Zeit eine Reservierung vorgenommen und ein Menü bestellt werden. Die zuständigen Beamten im jeweiligen Ministerium würde das nicht nur einen Vormittag Arbeit kosten, sondern die Post-it-Reserven des Staates stark beanspruchen, rechnet sich Konsbruck voller Grauen aus. „Kein Wunder, dass diese Krise so viel Geld kostet“, murmelt er in sich hinein, während er durchs Restaurant schlurft. Der sichtlich gestresste Restaurantbetreiber kommt ihm schnellen Schrittes entgegen, in jeder Hand eine Weinflasche mit angeheftetem Schnelltest und Schweißperlen auf der Stirn. „Wäre ich doch nur in Lampedusa am Strand …“, glaubt Konsbruck im Vorbeigehen zu hören.
„Keng voll Pänz, mee léiwer Transparenz!“, grölt eine Menschengruppe, bewaffnet mit Grillwürstchen und Dosenbier, vor dem Restaurant. „Das werden doch nicht die Journali…“, will sich Konsbruck über ein überstanden geglaubtes Problem ärgern, als er aus dem Restaurant tritt und etwas die Straße runter einen Transporter erblickt, vor dem sich eine Warteschlange gebildet hat. Durch eine Öffnung in der Seite entweicht dichter schwarzer Rauch und angekokeltes Grillgut wechselt den Besitzer. „Der Foodtruck der Piraten“, stöhnt Konsbruck, als er das Logo auf der Kühlerhaube erkennt. Doch irgendwie ist er etwas erleichtert: Xavier bekommt von alledem nichts mit, da er wohl noch am grünen Salat zu kauen hat.
Paul will sich schon in Richtung Störenfriede begeben, als aus der Ferne ein tiefes Grollen ertönt. Aus entgegengesetzter Richtung kommt eine Harley-Davidson Renegade um die Ecke. Mit mäßiger Geschwindigkeit und donnerndem Motorengeräusch fährt der Biker vorbei, am Heck eine Fahne mit dem Schriftaufzug „Frank Engel for Premier“ befestigt. „Der hat gerade noch gefehlt“, denkt sich Paul Konsbruck, als der Motorradfahrer in Lederjacke, Skinny-Jeans und Cowboy-Stiefeln beim Foodtruck stehen bleibt. Tatsächlich erscheint unter dem pechschwarzen Helm mit abgedunkeltem Visier der leicht angegraute Haarschopf des ehemaligen CSV-Präsidenten, der sogleich anfängt, unter den Anwesenden Zettel zu verteilen. Konsbruck entreißt einem von ihnen den Zettel: Darauf wird die Gründung von Frank Engels eigener Partei angekündigt, die mit einer Vollzeitstelle im Parteivorstand um neue Mitglieder wirbt. Paul Konsbruck beschleicht so langsam das Gefühl, dass die Situation auch außerhalb des Restaurants außer Kontrolle gerät.
„Du machst also Ernst mit deiner eigenen Partei?“, ruft er Engel von weitem zu, während Sven Clement sich mit einem schelmischen Grinsen aus dem Foodtruck schwingt. Engel dreht sich um und bejaht die Frage mit gewohnt ruhiger Stimme. Das muss ich Xavier dann wohl beim Dessert erklären, denkt Paul. „Wie wirst du deine Partei denn nennen?“, fragt Konsbruck, während er sich überlegt, wie er den nächsten Wutausbruch des Premiers verhindern kann. „Das ist doch selbstverständlich: Hellewull un Ehemolegen Individue mat Extrem Lénkslastegem Éiergäiz fir Iech“, antwortet Engel stolz, der den Foodtruck der Piraten als Geschenk zur Parteigründung mit offenen Armen annimmt.
„Paul, was ist denn hier los?“, ertönt es plötzlich hinter dem Rücken des Kabinettschefs. Das Gespräch mit Bausch und Tanson war schneller vorbei als gedacht und Xavier wollte wohl schnell kurz frische Luft schnappen. „Alles unter Kontrolle“, hastet Konsbruck zum wieder rot anlaufendem Premier. „Das hier nennst du Kontrolle?“, deutet Xavier Bettel mit einem Fingerzeig Richtung Engel, während er einen der mittlerweile am Boden liegenden Flyer aufhebt und durchliest. Kurz bevor der Premier sich wieder aufzuregen vermochte, kommt Paul Konsbruck dann die zündende Idee: „Wie wär’s, wenn wir Engel einfach den Vorsitz der Cargolux anbieten würden? Die Wickler können wir eh nicht mehr lange halten – und der Engel wäre endlich sozialversichert. Win-win, oder?“, schlägt er mit einem Grinsen vor. Xavier Bettel hält kurz inne und klopft seinem Kabinettschef dann anerkennend auf die Schulter. „Mein lieber Paul …“, lacht Bettel zufrieden. Erleichtert atmet Paul Konsbruck auf. Das Dessert ist gerettet.
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Ech fannen dat gutt! Ee Foodtruck an eng Cargolux-Présidence, sou schlecht kommen ech jo hei guer net ewech 😜