Luxemburg / Mobbing bei Kindern und Jugendlichen: Es kann jeden treffen
Ausschließen, Beleidigungen, Schläge – das alles sind Formen, die Mobbing annehmen kann. Um dieser Form der Gewalt vor allem bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, organisiert die Elternvereinigung der Schüler des hauptstädtischen Athenäums (AL) am Montagabend eine Konferenz zu diesem Thema. Denn Mobbing kann jeden Schüler treffen und dabei weitreichende Folgen für die Opfer haben.
Ein Junge kommt mit einer blutigen Nase von der Schule nach Hause. Der Vater erschrickt, fragt, was passiert ist. Nach anfänglichem Zögern erzählt der 11-Jährige, dass eine Gruppe von vier, fünf Jungs ihn in der Schule regelmäßig piesackt. Schon länger geht das so. Übelste Beleidigungen gehören zum Alltag des Primärschülers. Auch nach dem Unterricht. Dann kommen die verbalen Angriffe per Nachricht oder via Snapchat auf das Handy. Solche Texte erhält auch eine 14-Jährige auf ihr Smartphone: „Niemand mag dich, du bist langweilig“, schreibt der unbekannte Absender. Dabei ist sie in der Schule beliebt, hat einen guten Freundeskreis. Eine andere 14-Jährige erlebt Ähnliches – nur weiß sie, wer ihr Drohungen zuschickt und schreibt: „Ich hasse dich.“ Die Täterin wurde von der 14-Jährigen blockiert, nun schreibt diese allerdings den Mitschülern fiese Nachrichten über die Jugendliche.
Das sind nur drei von zahlreichen Mobbing- beziehungsweise Cybermobbing-Fällen, die bei KJT so gemeldet wurden. Neben dem Telefonberatungsdienst „Kanner-Jugendtelefon“ (KJT) werden bei KJT mittlerweile auch andere Dienste angeboten, darunter das „Elterentelefon“, die Helpline „BEE SECURE“ oder eine Chatberatung von und für junge Menschen. Insgesamt 48 Kinder, Jugendliche oder Eltern haben sich im vergangenen Jahr über diese Dienste wegen Mobbings oder Cybermobbings gemeldet. Bei der Luxemburger Polizei wurden im selben Jahr 62 Anzeigen wegen Mobbings erstattet – Informationen zum Alter der Opfer gibt es dabei nicht. Die Pressestelle der Polizei weist darauf hin, dass von einer höheren Dunkelziffer auszugehen ist.
Beleidigungen im Kindergarten
Um nun präventiv auf das Thema aufmerksam zu machen, organisiert die „Association des parents d’élèves du Lycée Athénée de Luxembourg“ (APEAL) am Montagabend eine Konferenz zum Thema Mobbing und Cybermobbing. Die Psychologin und Therapeutin Catherine Verdier wird dabei einen Vortrag halten. Seit mehr als 20 Jahren betreut sie im Großherzogtum Kinder und Jugendliche und hat das Therapie-Zentrum „Psyfamille“ gegründet, in dem Kurse zum Thema Mobbing angeboten werden. Sie erklärt, dass es unterschiedliche Arten von Mobbing gibt: „Es hängt immer vom Alter und Geschlecht ab, in welcher Form die Angriffe auftauchen. Bei Jungen sind es oft physische Attacken, Mädchen schließen andere oft aus. Bei den Älteren ist Cybermobbing weit verbreitet.“ Vor allem in der Pandemie, als die jungen Menschen zunehmend Computer und Handy nutzten, hat die virtuelle Form zugenommen.
Allgemein könne man zwischen physischem (Schläge, Tritte), sexuellem (Berührungen ohne Einverständnis, sexistische Aussagen), sozialem (Ausschließen einer Person), verbalem (Beleidigungen, Drohungen) und Cybermobbing (aggressive Nachrichten, Weiterversenden von Nacktbildern) unterscheiden. Bei ihrer alltäglichen Arbeit stellt Catherine Verdier fest, dass Mobbing immer früher anfängt und aggressiver ausfällt: „Das beginnt mittlerweile noch vor dem Primärschulalter. Bei den ganz Kleinen sind es vor allem verbale Angriffe. Schon bei ihnen gehört es zum Alltag, Schimpfwörter zu nutzen und andere zu beleidigen.“
Attacken treten meist wiederholt und mit einer bestimmten Intention des Täters auf: Dieser will seinem Opfer schaden. „Der Angreifer will etwas beweisen und sich stark fühlen, indem andere klein gemacht werden. Durch Mobbing wird das Selbstbewusstsein eines Opfers zerstört – aber oft ist dieses am Anfang besser als jenes des Täters. Viele von ihnen haben kein gutes Selbstbewusstsein“, erklärt Catherine Verdier. Deshalb ist sie der Meinung, dass auch Täter Hilfe brauchen, denn: „Sonst machen sie immer so weiter und mobben später auch im Berufsleben.“ Bei ihr hätten sich allerdings noch nie Eltern gemeldet, weil ihr Kind andere mobbt.
Ernstzunehmendes Problem
Stattdessen betreut Catherine Verdier tagtäglich die Opfer der Täter. Deshalb weiß sie auch, dass jeder schnell zum Betroffenen werden kann. „Alles kann ein Vorwand für Mobbing sein: Weil jemand ein guter oder ein schlechter Schüler ist, weil einer zu ruhig ist, eine andere Hautfarbe hat oder den falschen Marken-Ranzen trägt“, fasst Catherine Verdier ihre Erfahrung zusammen. Mobbing schädigt die Opfer oft für den Rest ihres Lebens und sei nicht selten der Grund für suizidale Gedanken – oder im schlimmsten Fall Selbstmord. „Mobbing ist kein Kinderspiel“, unterstreicht die Expertin mit Nachdruck.
Aus Scham sprechen viele allerdings nicht über ihre schlimmen Erlebnisse, wie auch die Direktionsbeauftragte von KJT Barbara Gorges-Wagner in ihrem Berufsalltag feststellt: „Kinder haben ein ungutes Gefühl, wenn sie ihren Eltern erklären müssen, dass sie die doofsten in der Schule sind. Oft wird das Selbstbild übernommen, das durch das Mobbing von außen vermittelt wird.“ Aus Erfahrung weiß die Pädagogin und Familientherapeutin, dass die jungen Menschen es oft lang aushalten, bevor sie sich mitteilen. Auch bei KJT hat man festgestellt, dass Mobbingfälle immer früher vorkommen.
Barbara Gorges-Wagner rät Erwachsenen dazu, wachsam zu sein, wenn Kinder und Jugendliche sich plötzlich merklich verändern: „Wenn ein Kind immer gerne zur Schule gegangen ist und plötzlich nicht mehr, kann das ein Anzeichen sein. Oder wenn es keine Lust mehr zum Spielen hat, nicht mehr mit Freunden unterwegs sein will.“ Ein unerklärbarer Leistungsabfall aber auch Bauchschmerzen, Kopfweh und andere psychosomatische Schmerzen können auf Mobbing hinweisen. Barbara Gorges-Wagner berichtet ebenfalls von suizidalen Gedanken bei den Betroffenen.
Was tun bei Mobbing
Wer selbst von Mobbing betroffen ist, sollte sich unbedingt jemandem anvertrauen. Niemand – auch nicht ein Erwachsener, dem ein Kind von seinen Erfahrungen erzählt – muss das Problem alleine lösen. Unterstützung von Experten erhält man kostenlos und anonym beim „Kanner-Jugendtelefon“ unter der Nummer 11 61 11 oder bei der Helpline von „BEE SECURE“ unter der Nummer 80 02 12 34. Erwachsene, die mit Kindern oder Jugendlichen zu tun haben, können sich unter 26 64 05 55 an das „Elterentelefon“ wenden. Betroffenen kann zudem das Schreiben eines Mobbingtagebuchs dabei helfen, Gefühle wie Angst, Ärger oder Wut zu verarbeiten.
Konferenz: Zusammen gegen Mobbing und Cybermobbing
Am Montag, dem 29. November, findet im Festsaal des hauptstädtischen „Athénée de Luxembourg“ (AL) eine Konferenz zum Thema Mobbing und Cybermobbing statt. Die Psychologin und Therapeutin Catherine Verdier wird dabei über Angriffe auf dem Pausenhof, im Sportverein oder in den sozialen Medien reden und zeigen, welche Auswirkungen das auf das Leben junger Menschen haben kann. Organisiert wird die Konferenz von der „Association des parents d’élèves de l’Athénée“, die darin vor allem eine präventive Maßnahme sieht. Los geht es um 19 Uhr. Die Veranstaltung funktioniert nach dem Covid-Check-Prinzip, um eine Registrierung über www.apeal.lu wird gebeten. Man kann sich noch bis kurz vor der Veranstaltung anmelden.
Erfolgt Mobbing via Handy oder im Netz, wird empfohlen, den Täter zu blockieren und nicht mehr zu antworten. Zudem sollten Fotos, Kopien oder Screenshots gemacht werden, um die Angriffe zu dokumentieren. Auf unter anderem der Webseite von „BEE SECURE“ lässt sich ein Ratgeber zum Thema Cybermobbing herunterladen. Darin gibt es auch eine Anleitung dazu, wie man bei (virtuellem) Mobbing Anzeige erstattet. Auch die Luxemburger Polizei stellt auf ihrer Webseite police.public.lu unter der Rubrik „Opferhilfe“ wichtige Informationen zum Thema bereit.
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