/ Mr. Cool überrascht die Szene: Compound-Spezialist Gilles Seywert holt Silber
Gilles Seywert war mit der Hoffnung nach Minsk gereist, im Compound-Wettbewerb der European Games die erste Runde zu stehen. Am Ende holte er mit seinem breiten Dauerlächeln die Silbermedaille und überraschte seine Kontrahenten.
Der Wind pfiff durch die Anlage in Minsk, die Hände zitterten und der Gegner war 2018 Europameister. Es waren nicht die besten Voraussetzungen, um einen Coup zu landen. Doch Gilles Seywert blieb cool – zumindest sah es so aus. Als der Russe Anton Bulajeq und der Luxemburger gestern im Viertelfinale die Arena betraten, dröhnte „TNT“ von AC/DC aus den Boxen. Seywert lächelte locker ins Publikum, wo seine Recurve-Teamkollegen ihn anfeuerten. Innerlich war beim hauptberuflichen Polizisten aber die Hölle los: „Ich war extrem nervös.“
Der „flückliche und zufriedene Mensch“, wie der 35-Jährige sich selbst beschreibt, hat jedoch seine Methode, um mit diesen Stresssituationen umzugehen. „Ich bin ein Mensch, der viel lacht und so trete ich dann auch auf. Wenn du den Platz mit versteinerter Miene betrittst, denken die Leute vielleicht, dass du arrogant bist. So aber habe ich die Unterstützung meiner Teamkollegen, der Volunteers und sogar der Spanier bekommen. Das hat mich sehr motiviert und ich wollte sie nicht enttäuschen.“
Auch durch acht Zehner in Folge schaffte Seywert die Überraschung und nahm gleichzeitig Revanche. 2018 bei der EM in Legnica hatte er gegen den späteren Europameister Bulajew im Viertelfinale im Stechen verloren. Das Halbfinale gegen den Briten Adam Ravenscroft schien für den Luxemburger nur noch Formsache zu sein. Von Anfang an lag Seywert in Führung und gewann am Ende mit vier Ringen Vorsprung (142:138). Die Medaille war gesichert. Dabei waren die Voraussetzungen auch diesmal nicht die besten. „Ich habe die ganze Zeit gezittert. Wegen des Windes hatte ich zeitweise das Visier nicht mehr auf der Scheibe“, sagte Seywert.
Entspannung angesagt
Vor dem großen Finale war Entspannung angesagt. Seywert überbrückte die fünf Stunden zwischen den beiden Schießen mit ein bisschen Training mit seinen Teamkollegen, Essen, Trinken und Entspannen. Er entschied sich, nicht ins Athletendorf zurückzufahren und blieb auf der Anlage.
Dort stürmte und regnete es. Die Bedingungen wurden kurz vor dem Finale immer schlechter. Abgesagt wird Bogenschießen aber erst, wenn das Wetter die Gesundheit der Sportler gefährdet (bei Blitz und Donner zum Beispiel). Der große Moment verzögerte sich durch einige organisatorische Probleme um rund 40 Minuten.
Seywert ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und betrat um 16.20 Uhr Lokalzeit mit seinem breiten Lächeln die Bühne und legte gleich mit 29 von 30 Ringen in der ersten Runde los und hatte einen Punkt Vorsprung auf den niederländischen Weltranglistenersten Mike Schloesser. „Ich hätte mir nie erträumt, gegen ‚Mister Perfect‘ vorne zu liegen“, sagte Seywert später. Schloesser dominiert derzeit die Compound-Szene und legte bei Weltcups reihenweise perfekte 150er Runden hin.
Nach drei von fünf Durchgängen in Minsk hatte der Favorit seinen anfänglichen Rückstand aufgeholt und führte mit drei Ringen (88:85). Seywert wusste jedoch, dass seine Chance noch kommen würde. Recurve-Kollege Jeff Henckels hatte ihn Stunden vor dem Duell noch einmal daran erinnert, dass Schloesser immer wieder in der Vergangenheit bei seinem letzten Pfeil Nerven gezeigt hatte. Und so kam es auch. Seywert hatte mit dem letzten Versuch die Möglichkeit zum Ausgleich. Er hätte die Zehn treffen müssen, um ins Stechen zu kommen. Er verpasste sie jedoch um Millimeter. Die Punktrichter maßen noch einmal nach, aber es blieb bei der Goldmedaille des Niederländers.
Seywert hatte die Überraschung trotzdem geschafft. „Wenn jemand mir vor diesem Wettbewerb gesagt hätte, dass ich Silber gewinnen würde, hätte ich ihn laut ausgelacht.“
Mit 35 Jahren erlebte der Schütze von Guillaume Tell Strassen den Höhepunkt seiner Karriere. „Es ist mein absolutes Highlight, der absolute Wahnsinn. Hier trat nur die Crème de la Crème an und zu der gehöre ich jetzt wohl dazu“, sagte er mit dem breiten Lächeln, das jetzt auch ein paar Weißrussen kennen.
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An diesem Silber riskiert der sympathische Sportschütze sich die Zähne auszubeissen ( Foto ).