Die FPÖ muss ohne ihren langjährigen Heiland Heinz-Christian Strache in die Wahlen ziehen. Der hat sich mit Affären zwar selber erledigt. Trotzdem stellt das Österreichs radikal rechte Partei vor ein Problem. Viele ihrer Wähler haben sie vor allem aus einem Grund gewählt: Strache. Der ehemalige Vizekanzler und Parteichef ist jetzt weg – und bleibt doch präsent. Deutlich wird das auch bei der Abschlusskundgebung der FPÖ am Freitag in Wien.
Der Elefant ist im Raum. Raus will er da nicht mehr. Zumindest nicht bis Sonntag, bis zu der vorgezogenen Neuwahl in Österreich. Der Wahl, die nötig wurde, weil die alte Koalition nicht mehr haltbar war für den konservativen Kanzler Sebastian Kurz – und für die Alpenrepublik im Allgemeinen. Das Ibiza-Video war zu viel.
Heimlich aufgezeichnet, zeigt es den damaligen FPÖ-Chef und späteren Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei der Korruptionsanbahnung mit einer vermeintlich russischen Oligarchennichte. Darin wurden Staatsaufträge in Aussicht gestellt, der Kauf der allmächtigen Kronen Zeitung überlegt, angedacht, das den Österreichern allerheiligste Wasser zu verscherbeln. Zur Zeit der Aufnahme des Videos, kurz vor den letzten Nationalratswahlen im Herbst 2017, bezeichnete die Freiheitliche Partei Österreichs ihren Chef auf Wahlplakaten noch als „Vordenker“.
Einfach wird das nicht
Jetzt steht die Partei ohne ihren HC da, wie Strache immer gerufen wurde: Hah-ZeH! Hah-Zeh! Dass das nicht so einfach werden könnte für Österreichs radikal Rechte, wird auch am frühen Freitagabend in Wien auf dem Viktor-Adler-Markt deutlich. Fast schon traditionell findet hier im Arbeiter- und Einwandererbezirk Favoriten die Schlusskundgebung der Freiheitlichen Partei Österreichs vor dem Wahltermin statt.
Wählt wohl FPÖ: Eine Frau hält Karten mit Kickl und Hofer hoch
Auf dem Weg aus der U-Bahn hin zu dem nach einem Sozialdemokraten benannten Platz kommen einem zuerst Kopftuch tragende Mütter entgegen, ihre Kinder halten die blauen Ballons der FPÖ in ihren Händen. Dahinter, wie immer bei der FPÖ, ein bunt gemischtes Publikum. Da sind ein paar Rentner, ein paar Schnösel, einige Rocker und Hooligans, recht viele Migranten; obwohl natürlich gegen sie gewettert wird auf der Bühne. Fast alle halten und schwenken kleine Österreich-Fahnen aus Papier. Die meisten trinken Bier, viele rauchen.
Wen lieben die Anhänger mehr – die FPÖ oder Strache?
So war das auch im Herbst 2017, vor der letzten Nationalratswahl. Was sich geändert hat, sind die Redner auf der Bühne – und damit auch die Stimmung. Wo vor zwei Jahren noch Euphorie herrschte, zieht sich der Abend jetzt schleppend dahin. Im Herbst 2017 war Strache noch der freiheitliche Heiland, dem Partei wie Fans zu Füßen lagen. Doch nach dem Ibiza-Skandal, einer Spesen-Affäre und laufenden Ermittlungen hat die Partei ihn verbannt. Wie es aber um die Liebe seiner Fans steht, das vermag keiner so recht zu deuten – und das macht die FPÖ ziemlich nervös.
Was, wenn die Strache-Anhänger an erster Stelle genau das waren, Strache-Anhänger eben, und erst an zweiter Stelle FPÖ-Wähler. Was, wenn sie jetzt daheim bleiben, aus Wut auf die Partei, die ihren Helden kaltherzig hat fallen lassen? Dann, so viel ist klar, hat die FPÖ ein Problem.
Früher ein Held, jetzt fehlt der Nachfolger
Die Blauen liegen in den Vorhersagen konstant bei um die 20, 21 Prozent. Bei der letzten Nationalratswahl waren es immerhin noch 26 Prozent. Der Ibiza-Skandal hat sicher geschadet. Schlimmer wahrscheinlich ist der Verlust von Strache. Dem Strache, der als junger Erwachsener Neonazi war,
dem deutschnationalen Burschenschafter, der noch vor nicht allzu langer Zeit einen Nazi-Gruß zeigte. Aber auch dem Strache, der sich gleichzeitig als Lebemann und Familienmensch inszenierte, der ein begnadeter Redner war – und dem die Partei den Wiederaufstieg ab 2005 verdankt.
Damals, 2005, Übervater Jörg Haider hatte die Blauen verlassen, lag die FPÖ am Boden – ihren neuen Helden trug sie trotzdem auf Schultern in die Salzburg-Arena. Aus den Boxen spielte es Bonnie Tylers „I need a hero“. Jubel, Standing Ovations, Tränen. Ab da ging es nur bergauf. Ende 2017 führte Strache sie in die Regierung. Was nur ein vorläufiger Höhepunkt sein sollte – Straches Ziel war immer die Kanzlerschaft –, dürfte der vorläufig letzte gewesen sein. Und dieser Mann wurde jetzt mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. In einer Partei, die Familie und Freundschaft in der Außendarstellung immer besonders vor sich herträgt. All das scheinen die Strache-Fans unter den FPÖ-Wählern nicht besonders zu goutieren.
Fremdenfeindliche Geschmacklosigkeiten, wie immer
Am Viktor-Adler-Markt verfestigt sich dieses Bild. Nur etwa halb so viele Menschen sind gekommen wie noch vor gut zwei Jahren. Dominik Nepp, Chef der Wiener FPÖ, hetzt in seiner Eröffnung, man müsse sich bei der Wahl überlegen, was man lieber wolle, „0,1 Grad wärmer im Sommer oder einen Bauchstich von einem Asylanten“. Bei den fremdenfeindlichen Geschmacklosigkeiten ist noch alles beim Alten bei der FPÖ, nur der Jubel bleibt dieses Mal aus. Stattdessen vereinzelt höfliches Klatschen.
Die wahre Überraschung wird aber erst kommen, wenn die ehemaligen Minister Norbert Hofer und Herbert Kickl auf der Bühne stehen.
Nicht einmal bei Scharfmacher Kickl springt der Funke über
Nicht einmal beim
als Scharfmacher bekannten Kickl springt der Funke richtig über. Alle klassischen FPÖ-Themen werden bedient, die Migration, die „Zwangsgebühren“ beim öffentlichen Rundfunk ORF, der „schmale Staat“, die Grenzen, wo ein Zaun „Modell Viktor Orban“ hingehöre, die Kinder, der kleine Mann. Es gibt Breitseiten gegen die anderen Parteien und gegen die Presse.
Sogar Rufe bleiben merkwürdig leise
Auch die bei Rechten wohl obligatorische Greta-Thunberg-Missachtung fehlt nicht. Statt Fridays for Future solle es Freiheitliche for Future heißen, ruft Kickl und bleibt dabei trotzdem merkwürdig leise. Es fallen noch die Worte „Massenvergewaltiger“ und „Kopfabschneider“, um dann der „lieben Familie“ zu danken und den „lieben Norbert“, „meinen Freund“ anzukündigen. Die Stimmung am Viktor-Adler-Markt bleibt verhalten. Es wirkt, als stünde Strache, der jetzt nur noch Ex-Freund ist, wie der Elefant im Raum. Sein Fehlen ist spürbar. Erwähnt wird er mit keinem Wort, von keinem der Redner.
Auch nicht von Norbert Hofer, dem offiziellen Spitzenkandidaten der Blauen an diesem Sonntag. Für Hofer hatten einmal 49 Prozent der Österreicher gestimmt, das war bei der Wahl zum Bundespräsidenten im Jahr 2016. Hofer galt als gefürchteter Rhetoriker, als die zweite Hoffnung neben Strache.
Als Strache noch da war, kamen mehr: FPÖ-Anhänger in Wien
Und jetzt? Hofer spricht leise, ist schwer zu verstehen, die Menschen vor der Bühne fangen an, sich zu unterhalten. Hofer verliert sich in Details. Als der FPÖ-Spitzenkandidat anfängt, den Wienern am Viktor-Adler-Markt etwas von zu alten Militärhubschraubern zu erzählen, fangen diese an, nach Hause zu gehen. Noch während der Spitzenkandidat spricht.
Ist die Luft raus?
Ist die Luft raus bei der FPÖ? Im Herbst 2017 war die Stimmung noch eine ganz andere. Da haben die Augen vor der Bühne gestrahlt. Da ging keiner frühzeitig nach Hause. Da standen sie anschließend Schlange für ein Selfie mit ihrem Helden. Da hat Strache mit seinen Zuhörern gemacht, was er wollte.
HC bestimmte, wann sie lachen, wann sie sich empören, wann sie johlen und die Österreichfahnen schwenken sollten. Im Spätsommer 2019 bestimmen die Zuhörer selber, was sie machen wollen. Sie unterhalten sich und gehen heim, weil es ihnen zu langweilig wird (-> hier geht’s zu unserem
Strache-Porträt).
„Ich lag am Strand in Ibiza“
Nur einmal ist die Stimmung kurz heiter. In einer Zwischenpause spielt wie immer bei der FPÖ die hauseigene Kapelle auf, die John Otti Band. Das Lied heißt „Braungebrannte Haut“. Der Refrain geht so: „Es war ein heißer Sommertag, ich lag am Strand in Ibiza.“ Die Menschen lachen. Aber nicht boshaft. Sie scheinen ihren HC zu vermissen. Der Mann, der die FPÖ einst neu belebte, ist knappe 15 Jahre später zum größten Problem der Partei geworden.
Armand Back ist seit 2006 beim Tageblatt. Über die Korrektur ging es erst in die Lokalredaktion, um dann mit der internationalen Politik in die große weite Welt hinausgeworfen zu werden. Dort treibt sich der Escher noch heute herum und behält besonders Europas neue Rechte im Blick. Andere Schwerpunkte sind der Brexit, Migration, der Mittlere Osten und sonst alles, was die Welt und damit auch den Autor gerade in Atem hält. Zuletzt und wohl auch in nächster Zeit ist die Corona-Krise hinzugekommen. Eine besondere Vorliebe gilt Esch und Wien, dem Balkan und dem Kaukasus, dem Westen Irlands und dem Süden Italiens. Entspannt wird vorzugsweise mit den vielen Lieben, sonst mit schräger Musik. Mag Unterhaltung, die gruselt, und hält sich selber für den besten Pasta-Koch.
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