Musik / Music for Fastfood Lovers: Coldplay veröffentlicht einen weiteren musikalischen Totalausfall
„Music Of The Spheres“ ist Musik von Menschen, die keinen Bock haben, Musik zu schreiben, für Menschen, die keinen Bock haben, Musik zu hören.
Vor ein paar Wochen argumentierte ein Musikredakteur in einem dieser an und für sich schwachsinnigen Bandvergleichsartikeln, Coldplay wäre eine bessere Band als Radiohead. Die Begründung: Während Radiohead sich in Experimenten verzettelt habe, habe Coldplay die hohe Kunst des Popsongs auf ihrer neuen Platte „Music Of The Spheres“ perfektioniert. In welchem Blatt dieser Schund stand, habe ich erfolgreich verdrängt. Wäre ich Chefredakteur dieser Zeitung, hätte ich den Journalisten auf der Stelle entlassen. Begründung: „faute grave“ (Stichwort: Grenzen der Meinungsfreiheit).
Klar: Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Aber mit Geschmack hat die Musik gewordene Fastfoodkette Coldplay schon lange nichts mehr zu tun. Eine neue Coldplay-Platte hören ist ungefähr so, als wann man nach einer durchzechten Nacht vom Kumpel oder der Freundin, die auf dem Sofa gecrasht hat, in die von einem am wenigsten geschätzte Fastfoodkette gezerrt werden, um den Magen mit Fett zu versorgen.
Aber da, wo die Fastfoodkette sich Sachen wie Anspruch, Finesse oder Ästhetik erst gar nicht mal ans fettverschmierte Revers haftet, treiben Chris Martin und Co. die Heuchelei auf die Spitze: Zwischen jeder Coldplay-Platte lässt man die obligatorischen zwei, drei Jahre verstreichen, um den Zuhörer im Glauben zu lassen, da wäre jemand ganz intensiv mit dem Komponieren beschäftigt gewesen und habe sich zudem vielleicht mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandergesetzt, um dieses auf Albumlänge zu verhandeln.
Hört man dann das Resultat – diesmal also die Platte mit dem von „Viva la Vida“-Produzenten Brian Eno inspirierten (sprich: gestohlenen) Titel „Music Of The Spheres“ –, wundert man sich: So lange haben die an dieser auf Knopfdruck generierbaren Musik geschrieben?
Konnte man sich bereits während der letzten Platte fragen, was um Himmels willen die anderen Bandmitglieder wohl trieben, während Martin im Alleingang an seinen megalomanischen Plastikhymnen für den späten Kapitalismus werkelte (Sich in der Kneipe betrinken, um zu vergessen, wie oft man seine Seele bereits verkauft hat? Das viele Geld zählen? Den Regenwald eigenhändig abholzen, um Martins Weltrettungsnarrativ etwas Bösartiges entgegenzusetzen?), beschleicht einen hier das Gefühl, die Band habe ein neues Gleichgewicht gefunden: Nachdem irgendwelche Algorithmen das neue Album in Sekundenschnelle ausgespuckt haben, hat Martin sich zu seinen Bandkollegen in die Kneipe gesellt, um dort die Tantiemen zu zählen und andere Bands zu dissen, die mit viel Aufwand und Talent nur Bruchteile dessen verdienen, was Coldplay an einem Tag scheffelt.
Träge und faul
Da der Leser auf diesen Seiten auch etwas zur Musik erfahren soll, hier dann die Songs, von denen einige, ganz nach Frédéric Beigbeders ebenso trägem letzten Roman, nach Emojis benannt wurden: Auf eine sphärische (tiens donc) Emoji-Intro folgt die bereits bekannte Single „Higher Power“, ein Lied, das einen den Wunsch formulieren lässt, eine höhere Kraft möge doch bitte die Bandauflösung von oben herab durchsetzen. Und zwar sofort. „Humankind“, ein titelgewordenes Wortspiel, das darauf hinausläuft, dass Menschen auch manchmal „kind“ sind (!), erinnert an die peinlicheren Momente von Thirty Seconds To Mars (wenigstens hat Jared Leto noch ein zweites Standbein als Schauspieler).
Nach einem Sternchen-Emoji-Intermezzo kommt „Let Somebody Go“, eine kitschige Ballade mit Selena Gomez, auf der Chris Martin singt, dass er jemanden „to the moon and back“ geliebt hat. Dass Martin schon immer ein großer Lyriker war, beweist er dann gleich nochmal auf dem darauffolgenden Herz-Emoji-Song, der mit der Aussage „Boys don’t cry“ beginnt, stilistisch aber kein New-Wave-, sondern ein Bon-Iver-Plagiat der untersten Schublade darstellt. „People Of The Pride“ ist allein deswegen bemerkenswert, weil es im Gegensatz zu allen anderen Songs eine Gitarre hat: Der Song hört sich ein bisschen so an, als wäre Gitarrist Jonny Buckland auf dem Heimweg nach dem Kneipenbesuch betrunken ins Studio gestolpert, um mit Martin Mansons „The Beautiful People“ und Muses „Supermassive Black Hole“ zu covern.
Über die restlichen Songs – darunter das sich dem K-Pop anbiedernden „My Universe“ mit BTS – könnte ich Ähnliches schreiben, es reicht aber vielleicht aus, Folgendes festzuhalten: „Music Of The Spheres“ ist Musik von Menschen, die keinen Bock haben, Musik zu schreiben, für Menschen, die keinen Bock haben, Musik zu hören. Alles hier lässt darauf schlussfolgern, dass Martin und Co. Brett Andersons in dem Suede-Song „Lazy“ formulierten Wunsch Folge geleistet haben: „All we want to be is lazy.“
Im Endeffekt zeigt diese Platte aber auch die Grenzen meiner nicht sonderlich innovativen Fastfood-Metapher: Sich ernähren ist ein Grundbedürfnis, die neue Coldplay-Platte beweist wieder einmal, dass es Menschen gibt, für die ein Leben ohne Kultur durchaus möglich ist. Einige dieser Menschen spielen sogar in Bands.
Info
Weitere (meist weniger vernichtende) Plattenbesprechungen gibt es jeden Samstag in unserer Magazin-Beilage.
- Barbie, Joe und Wladimir: Wie eine Friedensbotschaft ordentlich nach hinten losging - 14. August 2023.
- Des débuts bruitistes et dansants: la première semaine des „Congés annulés“ - 9. August 2023.
- Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“ - 8. August 2023.
Déi Kritik ass esou herzerräissend schlecht dass ee scho bal Loscht hätt sech déi Musik unzelauschteren 😆
Merci fir den super Artikel, ech hunn gudd gelaacht! Weider esou! :’D
Also ech verstinn och net, wei een Coldplay lauschteren kann. Leider leeft dee Sch**** de ganzen Zäit um Radio. Kitschege, langweilege O815-Pop. D´Lidder klengen, wei wann een se schon heieren hätt (wahrscheinlech ass et och sou, alles klengt selwecht).
@Jeff Schinker
Bei allem Respekt, wann där géift dee Journalist direkt entloossen well hien eng gudd Kritik iwwert Coldplay schreiwt, da froen ech mech firwât de Chefredakter vum Tageblatt ierch erlaabt huet esou eng schlecht Kritik (ënnert der Gürtellinn) ze veröffentlechen.
Och wann een eng Band net gären huet, muss een sech net direkt esou wäit erof setzen an duerch de Kaka zéien.
Här Schinker merci endlech een den dat seet wat ech schon emmer denken,wei kann een Radiohead mat coldplay vergleichen den Journalist mist an den Prisong😉…. Coldplay hatten zwee gut Albumen gemat Parachute an den zweeten dono war den Uewen aus, et as emmer mei schlecht an eischter peinlech gin… Elbow wär en verglach mat Coldplay an och dei spillen an engem aneren Universum wei dat gedudels vun Coldplay… bye bye Chris M and Band… an merci fir dei schein Kritik…