Gesundheit / Musiktherapeuten haben ein berufliches Anerkennungsproblem
Marie-Laure Fabbrizio (37) weiß, was Musiktherapie bewirkt. Mit ihrer heute fast sechsjährigen Tochter hat sie einen Marathon an ärztlichen Untersuchungen hinter sich. Ihre Tochter spricht nicht, fängt sehr spät an zu laufen und ist anstrengend im Umgang.
Ein Arzt am „Centre hospitalier de Luxembourg“ (CHL) stellt schließlich die Diagnose: Autismus. Es ist ein Schlag für die alleinerziehende Geschäftsführerin eines Kosmetikstudios im Süden Luxemburgs. Es ist Detektivarbeit herauszufinden, was der Kleinen fehlt. Oft nimmt sie ihre Mutter an der Hand und zeigt, was sie will. Nach wie vor spricht sie nicht.
In den letzten drei Monaten hat sich allerdings viel getan. Marie-Laures Tochter singt und vervollständigt die Sätze von Liedtexten. Sie baut sich gerade einen kleinen Wortschatz auf – dank eines Musiktherapeuten. Er kommt einmal pro Woche zu ihnen nach Hause. Es ist ein festes Ritual für beide. „Das ist ein schöner Moment für uns, er verbindet“, sagt die Mutter.
Zeitweise kehrt ein wenig Normalität ein. „Es gibt mir das Gefühl, ich habe ein normales Kind“, sagt Fabbrizio. Per Zufall entdeckt sie die Neigung ihrer Tochter zur Musik. Bei einem Kinderkonzert ist ihre Tochter fasziniert. Sie, die nie stillsitzt, bleibt, hört zu, bewundert die Instrumente, will nach dem Konzert nur ungern gehen.
Im Internet stößt die Mutter auf Musiktherapie und lässt sich darauf ein. Für beide ist es ein Glücksfall. Ihre Tochter entwickelt sich weiter, es löst etwas bei ihr aus. Wenn es möglich wäre, würden sie das noch öfter machen, aber der Therapeut kann nicht. Er hat noch einen anderen Beruf. Der Verdienst als Krankenpfleger erlaubt es ihm überhaupt erst, Musiktherapie in solchen Fällen anbieten zu können.
Viele Musiktherapeuten haben mangels Anerkennung einen zweiten Beruf
Eine hauptberufliche Tätigkeit ist zu unsicher. Das kennt Cathy Schmartz (41) nur zu gut. Sie ist die Präsidentin der „Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg“ (GML), in der sich seit 2004 rund 25 Musiktherapeuten zusammengeschlossen haben. Genauso lange kämpfen sie für die Anerkennung dieses heilenden und helfenden Berufes in Luxemburg. Sie arbeitet hauptberuflich als Psychologin und nebenberuflich als Musiktherapeutin.
„Das ist die Realität von uns allen wegen der Nichtanerkennung unseres Berufes und einer mangelnden Absicherung“, sagt sie. „Wir müssen immer nach Konstruktionen suchen, um Musiktherapie anbieten zu können.“ Ihren Kollegen in den meisten europäischen Ländern geht es ähnlich. Aber es gibt Ausnahmen. Österreich ist das Vorbild. „Das ist das einzige Land, wo es sogar ein Gesetz zur Musiktherapie gibt“, sagt sie.
In den baltischen Staaten ist die Musiktherapie ebenfalls anerkannt. In anderen Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien gibt es Sonderkonstruktionen und in Finnland ist es zwar nicht anerkannt, wird aber von der Krankenkasse übernommen. In Luxemburg tut sich trotz vieler Anläufe und Gespräche seit langem nichts. Es entsteht der Eindruck, der Gesundheitssektor tut sich schwer mit der Therapieform.
Musiktherapie ist eine relativ junge Disziplin. „Es wird gerne mit mangelnder wissenschaftlicher Erforschung argumentiert“, sagt Schmartz. „Das stimmt definitiv nicht.“ Eine andere Angriffsfläche, die den Befürwortern der Nichtanerkennung gelegen kommt, ist die Nischenposition. Es gibt nicht viele Musiktherapeuten.
„Als in Österreich das Gesetz kam, waren proportional gemessen an der Bevölkerung nicht mehr Musiktherapeuten tätig als heute in Luxemburg“, hält Schmartz dagegen. Sie ärgert sich vor allem in Covidzeiten über die Situation des Berufsstandes im Land. „Es wäre gerade jetzt ein guter Moment, Gesundheitsberufe wie diesen anzuerkennen“, sagt sie im Hinblick auf die noch nicht erforschbaren Langzeitfolgen der Pandemie.
Sie werden kommen, denn eine Erkenntnis hat schon die Runde gemacht. Die Zufriedenheit mit dem Leben ist seit der Pandemie unter den jüngsten Mitgliedern der Gesellschaft, den Kindern, signifikant gesunken. Das geht aus einer Studie hervor, die die Uni.lu online mit einem multinationalen Forscherteam zwischen Mai und Juli 2020 unter 680 Kindern in Luxemburg realisiert hat.
Das Schlimmste ist natürlich, dass man viel über die Menschen und die sterbenden Menschen in den Nachrichten hört und das ist wirklich traurig. Ich habe das Gefühl, es dreht sich alles nur darum. Man hört nicht wirklich gute Nachrichten.Teilnehmerin an der Studie der Uni.lu
Darin geben 96 Prozent der 6- bis 16-Jährigen an, sie seien vor der Pandemie mit ihrem Leben zufrieden oder sehr zufrieden gewesen. Während der Pandemie waren es nur noch 67 Prozent. Psychologie ist das eine, Musiktherapie das andere. „Musik hilft nicht nur, Sachen auszudrücken, die wir mit Worten nicht ausdrücken können“, sagt Schmartz. „Sie hilft, in Kontakt zu bleiben – gerade in Zeiten von social distancing.“
Was ich am meisten vermisse, sind definitiv meine Freunde. Denn so verbringe ich meine Zeit. Ich verbringe meine Zeit mit meinen Freunden, habe Spaß, gehe nach der Schule in den Park, ins Kino und mache Aktivitäten mit ihnen, wie Training im Fußballverein, spielen oder mit ihnen in den Park gehen.Teilnehmer an der Studie der Uni.lu
In der Studie berichtet ein Drittel der Kinder von häufig auftauchenden Ängsten, während der Pandemie krank zu werden. Musiktherapie könnte helfen. „Wir arbeiten mit Gesang und den Stimmen von uns und unseren Patienten“, sagt Schmartz. „Dafür müssen sie den Atem kontrollieren, was wiederum die Lungen stärkt.“ Das Covid-19-Virus befällt vor allem die Lunge.
Seit 2006 ist die GML Mitglied im europäischen Verband. Als Präsidentin steht Schmartz in Kontakt mit diesen Kollegen. „Sie sind gerade extrem beschäftigt“, sagt sie. Musiktherapeuten in den Niederlanden arbeiten mittlerweile auf Covidstationen im Krankenhaus oder in Alten- und Pflegeheimen. „Da ist die Musiktherapie systemrelevant und hier sind uns die Hände gebunden“, sagt sie. „Das tut weh.“
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„Musik ist die einzige Weltsprache die Jeder versteht.“ sagte einst John McLaughlin(Gitarrist) Jeder weiß um den Einfluss von Musik auf die Psyche oder einfach nur den Gemütszustand des Menschen.Trauer,Feier,Freude,Tanz,Ausgelassenheit…ja,sogar für den Marsch in den Krieg,für jede Stimmung geben die Noten und der Rythmus ihr Bestes. Unabhängig von der Sprache der Menschen führt die Musik zusammen oder sie feuert an um sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.Man sieht die Macht die von Musik ausgeht. Etwas anderes als Bachblütentherapie oder anderer esotherischer Schwachsinn.Also,warum ein Anerkennungsproblem?