Gewerkschaft ACEN / Musikunterricht: „Bei beiden Reformen wurden die ,Chargés’ vergessen“
In Luxemburg sind sie die tragende Säule des Musikunterrichts „Enseignement musical“. Denn etwa 80 Prozent der Lehrer in diesem Bereich sind „Chargés“, also Lehrbeauftragte, die in unseren Musikschulen, der UGDA („Union Grand-Duc Adolphe“) und in „Conservatoires“ unterrichten. In den Musikschulen und der UGDA arbeiten sogar exklusiv nur „Chargés“. Sie gehören dieser Kategorie an, nicht weil sie etwa weniger Kompetenzen haben, sondern weil das Bildungssystem dies so vorsieht. Und dennoch behandelt sie das Gesetz stiefmütterlich. Wir haben uns mit Vertretern der Gewerkschaft ACEN („Association des chargés de l’enseignement national“) unterhalten und bei den Ministern für Inneres und Bildung eine Stellungnahme erfragt.
Pol Belardi, Laurent Clement, Jeff Herr, Joël Heyard sind vier „Chargés“ des „Enseignement musical“ und engagieren sich innerhalb der Gewerkschaft ACEN für die Lehrbeauftragte des Musikunterrichts. Das Tageblatt hat sich mit ihnen sowie mit dem ACEN-Präsidenten Luc Wildanger unterhalten. „Ohne die ,Chargés’ würde in Luxemburg kein Musikunterricht stattfinden“, sagen sie im Tageblatt-Gespräch. ACEN ist die einzige Gewerkschaft, die sich für die Belange aller „Chargés“ einsetzt und hier im Spezifischen für jene des „Enseignement musical“. Die Vertreter stellen klar, dass „Chargés“ nicht irgendwelche unqualifizierten Ersatzlehrer sind, die irgendwo einspringen. Sie sind vollwertige Lehrbeauftragte mit Diplom. Dies sei vielen Leuten leider nicht bewusst.
Im Musikunterricht sind sie demnach „Salarié“ oder „Employé communal“ und unterstehen den Gemeinden. Nur in den „Conservatoires“ können einige wenige Stellen mit Musiklehrern aus der Kategorie „Fonctionnaire“ besetzt werden. Diese Stellen müssen allerdings explizit als solche ausgeschrieben sein. In diesem Fall spricht man von einem „Museksproff“. Alle anderen Stellen werden mit Lehrbeauftragten besetzt. Die meisten „Chargés“ haben mittlerweile die gleiche Ausbildung wie ein „Proff“ und machen die gleiche Arbeit. Dennoch würden sie nicht dementsprechend entlohnt. Die ACEN-Vertreter sehen hierin ganz klar eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Im Jahr 2015 sollten mit der Reform des öffentlichen Dienstes die Diplome beim luxemburgischen Staat harmonisiert werden und 2017 folgte die Gehälterreform der Gemeinden. Bei beiden Reformen seien die „Chargés“ vergessen worden. Im Kerngedanken sei die Reform von 2015 durchaus gut gewesen, so die ACEN-Vertreter. Denn laut Reformgesetz wurden ab dem Zeitpunkt die Leute beim Luxemburger Staat nach ihrem jeweiligen Diplom eingestellt, einklassifiziert und entsprechend bezahlt. Doch die Lehrbeauftragten aus allen Sparten – nicht nur jene aus dem „Enseignement musical“ – wurden damals bei dieser Reform nicht berücksichtigt.
Nach langem Kampf durch die Gewerkschaftler der ACEN konnte 2018 erreicht werden, dass die Lehrbeauftragten, die in den Lyzeen oder beim Staat arbeiten, endlich gerecht eingestuft werden konnten. Auf diese Weise wurde ihr Diplom voll anerkannt. Doch auch bei dieser Korrektur 2018 wurden die Lehrbeauftragten des Musikunterrichts außen vor gelassen. Der Grund hierfür war, dass diese nicht dem Staat unterstehen, sondern den Gemeinden. Deshalb sind sie nun die einzigen, deren Diplom immer noch nicht anerkannt wird.
Regierung ist sich der Problematik bewusst
Man sei sich dieser Tatsache bewusst, so das Feedback der Regierung an die ACEN. Auch sei die Regierung der Meinung gewesen, dass eine Anpassung kommen müsse. Doch nichts sei passiert. Nach mehreren Versuchen der ACEN, Gespräche mit den zuständigen Ministerien zu führen, sei es dann vor einem Jahr endlich zu einer Unterredung mit dem Bildungsminister gekommen. Claude Meisch habe sich damals einsichtig gezeigt und versprochen, sich der Sache annehmen zu wollen. Aufgrund der Corona-Pandemie allerdings habe sich seitdem nicht mehr viel getan.
Das Tageblatt hat bei den Ministern für Inneres und Bildung nachgefragt, wie es um die Situation der „Chargés“ in den Musikschulen steht und wie es nun weitergehen soll. In einer Versammlung der „Commission centrale“ am 16. Oktober wurde das Thema „Enseignement musical“ angesprochen, sagte Innenministerin Taina Bofferding. Bei dieser Zentralkommission handelt es sich um das Gremium, in dem die Innenministerin mit den Sozialpartnern aus dem Gemeindesektor zusammenkommt. Bofferding habe bei diesem Treffen bestätigt, dass eine Reihe an Vorarbeiten in Bezug auf das „Enseignement musical“ geleistet wurden, die nötig sind, um in diesem Dossier weiterzukommen. Die Resultate werde die Regierung zuerst intern und danach mit den Vertretern der Gemeinden diskutieren. Letztere tragen einen substanziellen Teil bei der Finanzierung des Musikunterrichts. Bildungsminister Claude Meisch sagte auf Tageblatt-Nachfrage hin, dass die zuständige Abteilung mit der ACEN in Kontakt stehe.
Wir sind uns dieser Problematik bewusst. Dies ist auch der Grund, wieso sich die Regierung mit diesem Dossier beschäftigt, um Lösungsvorschläge zu finden.Minister für Bildung und Inneres
Wieso wurden denn bei den Reformen 2015 und 2017 die „Chargés“ aus dem „Enseignement musical“ außen vor gelassen? Auch diese Frage haben wir den beiden Ministern gestellt. In ihrer gemeinsamen Antwort sagen sie: „Wir sind uns dieser Problematik bewusst. Dies ist auch der Grund, wieso sich die Regierung mit diesem Dossier beschäftigt, um Lösungsvorschläge zu finden.“
Die ACEN-Vertreter bekunden im Tageblatt-Gespräch, dass sie immer wieder von den Ministerien mit der zukünftigen Reform des Musikunterrichtsgesetzes „vertröstet“ wurden. Doch diese anstehende Reform habe nichts mit den seit Jahren herrschenden Ungerechtigkeiten zu tun, betonen sie. Die von der ACEN geforderten Anpassungen sollten der Gewerkschaft zufolge so schnell wie möglich wirksam werden, da der Fehler auf das Jahr 2017 zurückgehe, als die „Chargés“ erneut nicht berücksichtigt wurden.
Diplome der „Chargés“ sollten anerkannt werden
Was sagen die beiden Ministerien dazu? „Es ist eine globale Neubearbeitung des Gesetzes über den ,Enseignement musical, vorgesehen“, so die beiden Minister. Der Bereich der Karrieren von den „Chargés“ sei ein wichtiges Element in dieser Reform. In den nächsten Wochen soll ein Treffen zwischen Taina Bofferding und Claude Meisch stattfinden, bei dem unter anderem auch die Karrieren der Musikunterricht-Beauftragten auf der Tagesordnung stehen.
Die „Chargés“ werden wie jeder andere „Employé“ im öffentlichen Dienst nach ihren Diplomen einklassifiziert. Das sind die Karrieren A1 (Master), A2 (Bachelor) und B1 („Première“). Dennoch werden jene aus dem „Enseignement musical“ nicht dementsprechend entlohnt. Die ACEN sagt: „Ein ,Chargé’ aus dem ,Enseignement musical’ wird also nach seinem Diplom eingestellt, bekommt seine Arbeit dort aber nicht diesem Diplom entsprechend entlohnt.“ Für die Vertreter der ACEN ist die Diplomanerkennung also keine außergewöhnliche Forderung. „Wir wollen nur, dass auch diese Lehrbeauftragten ihre Diplome vollwertig wie in anderen Sektoren anerkannt bekommen.“ Laut ACEN sei es wichtig, dass die nächsten Generationen, die Musik studieren, darauf vertrauen können, dass ihre Diplome auch vollwertig anerkannt werden. Musik sei für viele Menschen nicht nur Leidenschaft, sondern Lebensmittelpunkt. Ein universitäres Studium – egal in welchem Fach – müsse beim Staat auch gleichwertige Anerkennung finden. „Ein Bachelor ist ein Bachelor und ein Master ein Master. Punkt.“
Was die Situation der „Chargés“ zusätzlich komplizierter macht, ist die Tatsache, dass sie lange unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums standen und erst vor zwei Jahren dem Bildungsministerium neu zugeordnet wurden.
„Chargés“ sind heutzutage schlichtweg billige Lehrer, sagen die Lehrbeauftragten. Seit die ACEN dagegen ankämpft und auf die unzähligen Missstände hinweist, wurde im Bildungssystem bereits einiges verbessert, doch die Chargés im „Enseignement musical“ müssten ihre Diplome nun auch endlich vollwertig wie alle anderen beim luxemburgischen Staat anerkannt bekommen. Die ACEN-Vertreter sagen, dass die Lehrbeauftragten nicht mehr wie vor 30 Jahren eine Minderheit seien und einfach den Mund halten müssten. Gerade für den Musikunterricht seien diese sogar unerlässlich.
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