Interview / Mutiny-on-the-Bounty-Gitarrist Nicolas Przeor über das neue Album
Seit der Veröffentlichung von „Digital Tropics“ hat Mutiny on the Bounty die wichtigsten Post- und Mathrock-Festivals weltweit bespielt, ist eifrig getourt und hat ihren Ruf als eine der weltweit wichtigsten Math-Rock-Bands gefestigt. 2020 arbeitet die Kultband an einer neuen Platte, die Ende des Jahres erscheinen soll. Wir haben uns mit dem Gitarristen Nicolas „Pzey“ Przeor über das neue Material, den Auftritt in den Rotunden, das Touren im Ausland, die Entwicklung der Musikindustrie und Genre-Scheuklappen unterhalten.
Tageblatt: Am Samstag werdet ihr während eures Konzertes in den Rotunden zum ersten Mal seit fast fünf Jahren neue Songs spielen. Wie viel neues Material darf sich der Mutiny-Fan erwarten?
Nicolas Przeor: Wir spielen ganz bestimmt einen neuen Song, wahrscheinlich sogar einen zweiten. Wir befinden uns gerade in einem langen Schaffensprozess, es gibt sehr viele Demos und wir sind dabei, alle Elemente so zusammenzustellen, damit sie kohärente Songs ergeben. Zurzeit sind drei oder vier der Songs fertiggestellt und wir werkeln an einem Dutzend Demos.
Handelt es sich dabei um ein konkretes Albumprojekt oder schreibt ihr einfach drauf los und schaut, worauf der Prozess hinausläuft?
„Digital Tropics“ erschien 2015 – mittlerweile sind also fünf Jahre verstrichen, seit wir unsere letzte Platte herausgebracht haben. In den letzten Jahren hat sich der Prozess der Musikveröffentlichung grundlegend verändert, weil der Musikhörer im digitalen Zeitalter Musik eben anders hört. Wir veröffentlichen ganz sicher mal einen Song, vielleicht auch ein paar Singles oder eine E.P., bevor das Album erscheint.
Begrüßen Sie diese Entwicklung – oder bevorzugen Sie das Album-Format, das einem ja erlaubt, die Songs als Gesamtwerk aufzustellen und zu konzipieren?
Ich bin da eher oldschool, das Albumkonzept gefällt mir schon sehr gut. In der Musikindustrie hat sich sehr vieles sehr schnell verändert. Die neue Veröffentlichungslogik erlaubt es natürlich, viel flexibler zu sein – ich denke trotzdem, dass wir eher nur zwei, drei Songs vorab veröffentlichen, damit der Überraschungseffekt zum Zeitpunkt der Albumveröffentlichung erhalten bleibt.
Sacha Hanlet hat mit Them Lights ein Solo-Projekt ins Leben gerufen, das R’n’B-Einflüsse trägt. Sie selbst sind eher ein Indie-Rock-Hörer. Wie synthetisiert ihr dies in eurem Klangbild – und wie beschreiben Sie die Entwicklung eures Klangbildes in den letzten Jahren?
Je älter man wird, desto mehr kehrt man wieder zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Wir sind immer eine Rockband gewesen, die komplexe Strukturen bevorzugt hat. In letzter Zeit haben wir uns etwas von dieser Komplexität gelöst, um uns auf Atmosphäre, Texturen und Songwriting zu fokussieren. Dass wir privat unterschiedliche Musik hören, sehe ich eher als Bereicherung an.
Wie klingt das neue Material im Vergleich zum Vorgänger?
Es geht definitiv in die Richtung von „Digital Tropics“. Wir wollten uns noch mehr von der Idee einer klassischen Rockband lösen. Es wird noch tanzbarer, es wird mehr Grooves und weniger gesättigte Gitarren geben, auch wenn die Energie einer Rockband noch da sein wird.
In den letzten Jahren habt ihr zwar wichtige Festivals bespielt, im Vergleich zu anderen Jahren war es aber etwas ruhiger …
Als „Digital Tropics“ erschien, haben wir fast 100 Konzerte in einem Jahr gespielt. Seit Ende 2017 hat der Kompositionsprozess von/an neuem Material begonnen. Wir sind zwischen 2005 und 2017 fast pausenlos getourt. Als wir planten, an neuen Songs zu arbeiten, haben wir uns auch entschieden, eine kurze Auszeit vom Touren zu nehmen – was uns eigentlich in dieser Form noch nie gelungen war. Wir sind nie eine Band gewesen, die gleichzeitig touren und schreiben konnte.
Schreibt ihr eure Songs eher im Probesaal oder kommt jeder Einzelne mit Songideen?
Bei uns schreibt jeder für sich an Riffs und Songideen, die wir uns dann immer und immer wieder anhören. Wir sind nie eine Jam-Band gewesen. Unsere Musik ist zu strukturiert, zu präzise, zu komplex, um aus der Improvisation heraus zu entstehen. Ein paar Ideen sind jedoch aus Jamsessions entstanden, die dann jeder für sich weitergesponnen hat.
Schon allein wegen der Mietpreise ist es fast unmöglich, als unabhängiger Musiker zu überlebenGitarrist von Mutiny on the Bounty
Im Laufe der Jahre wurdet ihr zu Ikonen des Mathrocks – ihr habt auf dem Dunk!-Festival sowie zweimal auf dem Arc Tangent gespielt und vor kurzem mit Mouse on the Keys getourt.
Für uns ist es immer wichtig gewesen, so viele Konzerte wie möglich zu spielen. Während unserer ersten Tournee traten wir in Kopenhagen auf, dort meinte jemand, er würde uns gerne für Konzerte in Deutschland buchen. Es ist dieser Art der Mund-zu-Mund-Propaganda, die uns weitergebracht hat. Für uns ist es wichtig, im Ausland aufzutreten, nicht in Luxemburg festzusitzen, auch wenn die vielen Konzerte hierzulande es uns erlaubt haben, uns zu verbessern. Es sind die Auftritte im Ausland, das Reisen, die Bekanntschaften, die man dort knüpft, die uns angespornt haben.
music:LX betreibt eine Exportarbeit, die strukturierter ist als die Mund-zu-Mund-Propaganda, die euch in euren frühen Tagen weitergebracht hat …
Der Arbeit des Exportbüros liegt eine ganz andere Vorgehensweise zugrunde. Es gab uns bereits einige Jahre, bevor das Exportbüro überhaupt ins Leben gerufen wurde. music:LX hat uns aber erlaubt, wichtige Fortschritte zu machen. Man muss wissen, wie und zu welchem Zeitpunkt man auf das Exportbüro zurückgreift – als music:LX geschaffen wurde, waren wir musikalisch bereit, einen Schritt weiterzugehen. Das Exportbüro hat uns erlaubt, einige Festivals zu bespielen, auf denen wir sonst nicht aufgetreten wären, und dank music:LX haben wir einige unserer Booker kennengelernt. Andere Länder haben gar kein Exportbüro – und wenn sie eins haben, muss dieses sich um eine viel größere Menge an Bands kümmern, sodass die Verpflegung der einzelnen Bands viel weniger intensiv ausfällt.
Wie urteilen Sie über den Fortschritt der luxemburgischen Musikszene?
Als wir anfingen, war die Szene sehr stark in der harten Rockmusik verankert. Jetzt gibt es eine spannende Hip-Hop-Szene, tolle Elektro-Musiker wie Edsun oder Napoleon Gold. Dies hat in meinen Augen mit der Professionalisierung zu tun – wenn ich anstrebende Musiker sehe, die mit 16 mehr draufhaben als ich, dann sage ich mir, dass die Musikschulen und Exportbüros eine gute Arbeit leisten. Vielleicht fehlt es aber ein bisschen an einer DIY-Punkszene. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Musikszene und der Musikkonsum verändert haben – wer heute Punk hört, hört auch Hip-Hop und hat vielleicht auch Lust, Hip-Hop zu machen. Die Intensität bleibt gleich, wenn sie nicht sogar stärker ist. 2020 Metal oder Hardcore zu spielen, ist nicht mehr sehr identitätsstiftend. Früher gab’s Musikzyklen, während Jahren hörte man Grunge oder Indierock, heute gibt es das vielleicht auch noch, aber die Zyklen sind kürzer und vermischen sich.
Ihr mögt Genre-Bezeichnungen wie Post- und Mathrock nicht wirklich, spielt aber oft auf Festivals, die sich in diesen Genres spezialisiert haben. Ist das widersprüchlich?
Post- und Mathrock sind sehr kodifizierte Genres. Das gilt auch für andere Richtungen: New Wave definiert sich durch traurige Lyrics, dunkle Texturen, stoische Bassläufe. Ich verstehe, dass man uns generisch klassifizieren will – aber wir wollten immer etwas anderes machen, etwas, was uns spezifisch als Mutiny on the Bounty charakterisieren sollte. Sobald etwas zu identifizierbar klang, haben wir es geändert. Wir hören auch nicht wahnsinnig viel Postrock zu Hause. Die Summe der Individuen, die in der Band sind, ergeben eine Musik, die halt anders klingt – auch wenn ich kein Problem damit habe, wenn jemand sagt, dass wir eine Mathrock-Band sind.
Die Frage ist nicht, ob man Zeit hat, die Frage ist vielmehr, wie man die zur Verfügung stehende Zeit nutzt: Tourst du mit deinen Kumpels oder legst du dich an den Strand?Gitarrist von Mutiny on the Bounty
Seit „Digital Tropics“ gibt es keinen Gesang mehr. Wieso?
Es gibt mehrere Gründe dafür. Wir haben unsere Songs nie mit Gesang geschrieben, haben den Gesang stets im Nachhinein draufgelegt. Irgendwann stellten wir fest: Wenn wir den Gesang weglassen, ändert das nichts. Denn die Gitarren singen eigentlich schon. Es war auch eine Art, unsere Musik purer zu gestalten – in unseren Songs gab es immer sehr viele Informationen, die zur gleichen Zeit vermittelt wurden. Ohne Gesang klingt es klarer – es entspricht mehr unserer musikalischen Identität.
Wie überlebt man als Musiker in Luxemburg?
Das alltägliche wirtschaftliche Überleben in Luxemburg gestaltet sich schwierig – schon allein wegen der Mietpreise ist es fast unmöglich, als unabhängiger Musiker zu überleben. Wir sind oder waren alle schon mal „Intermittents du spectacle“ – das reicht aber nicht, um in Luxemburg zu überleben. Danach stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine gute Idee ist, eine Musikerkarriere in Luxemburg zu starten – Luxemburg liegt zwar in der Mitte Europas, ist aber weit davon entfernt, ein musikalisches Epizentrum zu sein. Bevor ich bei Mutiny spielte, bin ich nie weiter als nach Südfrankreich oder Spanien gereist, mit Mutiny haben wir in allen europäischen Ländern gespielt, in Japan, China, in den Vereinigten Staaten – das kompensiert ein Stück weit die wirtschaftliche Notlage.
Gibt es bereits ein Erscheinungsdatum für das Album? Gelingt es euch mit all euren anderen Jobs und Projekten, eine Tour zu organisieren?
Wir wollen das Album Ende des Jahres veröffentlichen. Wir arbeiten gerne mit Deadlines, weil wir sonst immer wieder meinen, wir müssten hier oder dort noch was ändern und die Songs nie fertig werden. Was die Tour anbelangt: Als wir mit der Band anfingen, waren wir alle fest angestellt. Die Frage ist nicht, ob man Zeit hat, die Frage ist vielmehr, wie man die zur Verfügung stehende Zeit nutzt: Tourst du mit deinen Kumpels oder legst du dich an den Strand?
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Info
Mutiny on the Bounty spielt am Samstag zusammen mit Lingua Nada in den Rotunden.
Einlass: 20.00 Uhr
Konzert: 20.30 Uhr
Vorverkauf: 13 Euro
Abendkasse: 17 Euro
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