/ Mutmaßlich Drogenbaron: Als Laurent Biltgen unerwarteten Besuch von der „Police judiciaire“ bekam
Knapp eine Woche vor den Europawahlen bekam Laurent Biltgen unerwarteten Besuch von der Polizei. Der frühere Escher Gemeinderat der Partei „déi Lénk“ und jüngere Bruder des ehemaligen Ministers und EuGH-Richters François Biltgen wurde verdächtigt, eine große Menge Cannabis bei sich zu Hause zu lagern. Deshalb durchsuchten Polizisten sein Haus. Den Verdacht führten die Beamten auf ein Foto zurück, das angeblich bei Laurent Biltgen daheim aufgenommen worden sei. Doch die GPS-Daten des digitalen Fotos waren entweder sehr ungenau oder geändert worden.
Laurent Biltgen staunte nicht schlecht, als an einem Montagnachmittag im Mai plötzlich vier Polizeibeamte in Zivilkleidung bei ihm vor der Tür standen. Es war kurz nach 17.00 Uhr. Der 47-jährige Grundschullehrer war gerade von der Arbeit zurückgekehrt. Seine Frau Brenda war mit der zweijährigen weißen Schweizer Schäferhündin Odine in der Hundeschule. Ihre 22-jährige Tochter und ihr 20-jähriger Sohn waren unterwegs.
Plötzlich klingelte es. Vor der Tür seines Einfamilienhauses in der rue de Belvaux in Esch standen vier Männer. Sie seien von der „Police judiciare“, zeigten ihre Ausweise. Um was es denn ginge, wollte Laurent Biltgen wissen. Das würden sie ihm im Haus erklären, meinte einer der Männer. „Komm wir gehen lieber hinein, als hier auf dem Bürgersteig zu schreien“, habe einer der Polizisten gemeint, erzählt Biltgen.
Das ganze Haus besichtigt
Im Flur haben sie ihm dann einen von einer Untersuchungsrichterin unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss gezeigt. Sie würden nach einer großen Menge Cannabis suchen und wollten von Laurent Biltgen wissen, ob er Drogen im Haus habe. „Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Biltgen, woraufhin einer der Polizisten meinte, das sei aber jetzt die falsche Antwort gewesen. Wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeiten wolle, könnten sie auch andere Saiten aufziehen und sofort die Hundestaffel holen.
Nur zwei der Beamten hätten überhaupt geredet, sagt Biltgen: „Sie haben guter Bulle, böser Bulle gespielt.“ Eigentlich seien beide korrekt gewesen, doch einer habe mehrmals versucht, ihn unter Druck zu setzen. Nachdem sie den zweifachen Familienvater darüber ausgefragt hatten, wer alles in dem Haus wohne, erzählten sie ihm von einem Foto, das sie auf einem Mobiltelefon eines Mannes aus den Niederlanden gefunden hätten, den sie zuvor im Rahmen einer Drogenaffäre verhaftet hatten. Die Auswertung der GPS-Koordinaten dieses digitalen Fotos hätte ergeben, dass es exakt in Laurent Biltgens Haus aufgenommen worden sei. Daran bestehe kein Zweifel. Es sei ausgeschlossen, dass das Bild bei einem Nachbarn gemacht worden sei.
Auf der Suche nach Cannabis
Daraufhin wollten die Beamten sein ganzes Haus sehen. Biltgen ging vorne weg, die vier Polizisten folgten ihm. „Sie haben nur einen kurzen Blick in die Zimmer geworfen, sie haben nichts durchwühlt“, berichtet der Familienvater. Anschließend wollten sie noch den Speicher, den Keller und die kleine Gartenlaube sehen, wo der Hobbygärtner seine Blumenerde lagert. „In dem Moment habe ich mich schon gefragt, wieso sie den Schuppen am Ende meines 50 Meter langen Gartens sehen wollen, wenn die Geolokalisierung anscheinend so präzise ist“, sagt Biltgen.
Nachdem die Polizisten offensichtlich nicht gefunden hatten, wonach sie suchten, klärten sie Laurent Biltgen auf. Auf dem Foto, das sie auf dem Mobiltelefon des Verhafteten aus den Niederlanden gefunden hatten, sei eine große Menge Cannabis vor einer gefliesten Wand zu sehen gewesen. Nach diesen Fliesen hätten sie gesucht, doch bei Biltgen hätten sie sie nicht gefunden.
Im falschen Haus?
Mit der Begründung, sie würden bloß ihre Arbeit machen, verabschiedeten die Beamten sich. Doch nicht ohne Laurent Biltgen noch ein Protokoll unterschreiben zu lassen, das bestätigt, dass sie wirklich nichts bei ihm gefunden haben. Die Adresse, die die Beamten auf diesem Protokoll vermerkt haben, ist zwar nicht die von Laurent Biltgen – die Polizisten haben sich bei der Hausnummer geirrt – doch auf dem Durchsuchungsbeschluss stimmt die Adresse, sodass nicht davon auszugehen ist, dass sie das falsche Haus durchsucht haben. Bevor sie gingen, erklärten sie ihm, die Sache sei aber womöglich noch nicht abgeschlossen. Die Untersuchungsrichterin könne noch entscheiden, dass er vor der Polizei aussagen müsse. „Ich wüsste nicht einmal, worüber ich aussagen sollte“, sagt Biltgen lachend. Bislang habe sich jedenfalls noch niemand wegen einer Aussage bei ihm gemeldet.
Nachdem die Beamten sein Haus verlassen hatten, hätten sie noch Briefkästen an Nachbarhäusern untersucht und mit einem Autofahrer geredet. Danach waren sie verschwunden. Laurent Biltgen ist kein Informatikexperte. Nachdem die Beamten weg waren, hat er sich erkundigt, ob diese GPS-Daten von digitalen Fotos wirklich so präzise seien, wie die Polizisten behaupteten. Sein Haus ist lediglich sieben Meter breit und als gelegentlicher Geocacher weiß er, dass die Geräte meist keine ganz genaue Position angeben.
„Metadaten sind unzuverlässig“
Der ehemalige Hacker Jan Guth bestätigt diese Vermutung: „Die Metadaten von digitalen Fotos sind nicht zuverlässig. GPS-Geräte in Mobiltelefonen funktionieren nicht präzise, schon gar nicht in geschlossenen Räumen oder in dicht besiedelten Wohnvierteln.“ Zudem sei es leicht, die Metadaten von Fotos zu manipulieren und zu ändern, sagt Guth. Entsprechende Programme finde man ganz einfach und kostenlos im Internet.
Auf die Frage, wieso der Untersuchungsrichterin solch unzuverlässige und leicht manipulierbare Hinweise wie Fotos von Mobiltelefonen ausreichen, um Hausdurchsuchungen anzuordnen, konnte die Justiz uns keine eindeutige Antwort geben.
Eine Sprecherin der Justiz teilte lediglich mit, prinzipiell gelte: Wenn ein Indiz zu der Aufklärung einer Affäre beitragen könne, liege es im Ermessen der Untersuchungsrichterin, einen Durchsuchungsbeschluss auszustellen. Zu dem konkreten Fall könne sie sich nicht äußern, weil die Ermittlungen noch laufen, schrieb die Sprecherin in einer Mail.
Laurent Biltgen will nicht ausschließen, dass seine Tochter oder sein Sohn, wie die meisten Jugendlichen, schon einmal gekifft haben. Doch, dass er oder jemand anders aus seiner Familie im großen Stil mit Drogen handelt, kann er guten Gewissens verneinen.
„Obwohl die Polizisten keinen Schaden angerichtet haben, war ich froh, als sie weg waren“, sagt Laurent Biltgen. Am Anfang hatte er befürchtet, die Polizisten würden die Schränke durchsuchen und seine Sachen in Kisten packen und mitnehmen. Zum Glück waren sie zurückhaltend. Doch ein ungutes Gefühl bleibt. Die Nachbarn haben ihn gleich darauf angesprochen. „Wie heißt es im Sprichwort. Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Man weiß ja, wie das in Luxemburg ist“, sagt Biltgen. Ob jetzt im zuletzt viel diskutierten geheimen Polizeiregister steht, dass man bei ihm nach einer großen Menge Drogen gesucht hat? Laurent Biltgen kann es nicht ausschließen.
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