Dorfleben / Das „Gesicht von Schengen“ hört nach elf Jahren im Syndicat d’initiative auf
Schengen hat ein lebendiges Dorfleben. „Hunnefeier“, „Markusturm“ oder „Frischmaart“ sind ein Auszug aus der Liste der Veranstaltungen, die das örtliche „Syndicat d’initiative“ (SI) ins Leben gerufen hat. Dahinter steckt ein Kopf, der offenbar nie ruht. Das soll sich jetzt ändern. Marc Schoentgen (50) hört als Präsident des Syndikats auf.
Polizist, Publizist, Fotograf und Tourismusmanager, die Person Marc Schoentgen (50) lässt sich nicht auf eine Sache reduzieren. Dafür ist der Mann zu umtriebig. Mangel an Ideen? Kennt er nicht. Dranbleiben und Biss zeigen? Gehört dazu. Schnellschüsse? Gibt es bei ihm nicht. Seine Projekte sind durchdacht. Das zeigt sich schon als Jugendlicher bei der freiwilligen Feuerwehr in Hassel, wo er aufwächst. Er liebt es zu dekorieren und zu organisieren. Beim von der Feuerwehr organisierten Weihnachtsmarkt werden damals die üblichen weißen Zelte aufgestellt. Reicht nicht. Jugendmitglied Schoentgen besteht auf weihnachtliche Dekoration. Sie hängt, als der Markt losgeht.
Bis ins letzte Detail durchgeplant
Heute verbreiten bepflanzte Blumenkübel auf der Grenzbrücke zwischen Perl und Schengen das Gefühl, auf der jeweils „anderen“ Seite willkommen zu sein. Das ist Schoentgens erste Initiative als Vizepräsident des „Syndicat d’initiative“. Keine andere Moselbrücke über dem gemeinsam von Deutschland und Luxemburg verwalteten Grenzfluss hat das. So geht es 12 Jahre lang weiter. Initiativen und Veranstaltungen reihen sich aneinander, Schengen ist immer wieder in aller Munde. Die Feste und Projekte, die entstehen, sind heute Selbstläufer.
Der Spitzname „Gesicht von Schengen“ ist hart erarbeitet. Trotzdem steht die Entscheidung fest. Schoentgen hört als Präsident des „Syndicat d’initiative“ auf. Die Gründe: „Ermüdungserscheinungen und eine andere Lebensplanung“, sagt er. Umso befreiter plaudert er in der „Brasserie de Schengen“ neben dem Europamuseum über diese Zeit. Das Lokal in der rue Robert Goebbels ist ein symbolträchtiger Platz. Von den Tischen fällt der Blick auf die vorbeifließende Mosel. Unweit dieses Ausblicks haben seinerzeit die Staatschefs von fünf europäischen Ländern die Zeiten der Passkontrollen, Barrieren und Zollhäuser beendet.
Grenzüberschreitend feiern
Als 2010 das 25-jährige Jubiläum des als „Schengener Abkommen“ in die Geschichtsbücher eingegangen Vertrages ansteht, fängt alles an. Das Dorf hat keinen Tourismusverband, wer soll das organisieren? Das Rathaus verschickt Briefe an die Bewohner und ruft dazu auf, sich zu engagieren. Zusammen mit dem ersten Präsidenten Ramon Hemmer und sechs anderen gründet er 2008 den Verein. Schoentgen wird Vizepräsident. Nur ein paar Monate später findet im Oktober die erste entstaubte Auflage der „Hunnefeier“ statt. Seitdem feiert Schengen das Ende der Traubenlese grenzüberschreitend und mit internationalen Künstlern. 7.000 und 8.000 Besucher aus der gesamten Region besuchen das Weinfest.
Parallel läuft damals die Fleißarbeit, das Jubiläum zum Abkommen vorzubereiten. „Wir sind zwei Jahre lang durch das Dreiländereck gezogen“, sagt Schoentgen. Die Gespräche mit Gemeinden, Ministerien und Verwaltungen haben sich gelohnt. Frankreich, Deutschland und die federführenden Luxemburger feiern die Reisefreiheit in Europa an einem Wochenende im Jahr 2010 zusammen. Eine Musikwiese auf der deutschen Seite neben der Mosel imitiert „Rock am Ring“ im Kleinformat. Im französischen Apach laden die verkleideten Dorfbewohner zu „Musette“ und „Zaubertrank“ ins Druidendorf neben dem Fluss. Auf der Grenzbrücke stehen wieder Zollhäuschen, in denen „Zöllner“ statt zu kontrollieren Literatur vortragen. An der Esplanade in Schengen beherbergt die Marie-Astrid Besucher und Bluesmusiker, die der Mosel ganz neue Töne beibringen. Tausende sind bis tief in die Nacht auf den Beinen.
Schengen ist mehr als ein Vertrag
In Eigenregie organisiert Schoentgen zusätzlich eine Ausstellung mit 50 großformatigen Schwarz-Weiß-Porträts der Einwohner des Winzerdorfes. Briefträger, Pfarrer, Küster oder Winzer hängen quer durch das Dorf in den Straßen und Gassen verteilt. „Schengen ist nicht nur der Vertrag“, sagt der Hobbyfotograf, der sich alles selbst beigebracht hat. „Ich wollte zeigen, dass hier gewohnt, gearbeitet und gelebt wird.“ Später entsteht das Buch „Ein europäisches Winzerdorf und seine Einwohner“ daraus. Es ist bis heute das einzige Buch über das Dorf, dessen Name auf allen Flughäfen der Welt Passagiere in „Nicht-Schengener“ und „Schengener“ teilt. 4.500 Exemplare der Auflage über 5.000 Stück sind verkauft.
Das ist erst der Anfang. Es folgen der Bildband „Vun der Rief zum Wäin“ und die Wanderausstellung „Schengen. Vins et Vues“, die in den Luxemburger Botschaften in Brüssel und Berlin Station macht. Ein weiterer Fotoband und eine Wanderausstellung über die Dynastie Luxemburg-Nassau folgen 2015. „Ich mag meine Heimat und die Traditionen“, sagt der Autor. „Sie geben den Menschen Halt und gehören zur Kultur eines Landes.“
Markusturm mit neuem Leben
Teil der Kultur sind auch Gebäude. Der Markusturm ist so eines. Das Gebäude aus der napoleonischen Zeit gehört zu Schengen wie der Wein und ist nicht zu übersehen. Vergessen gammelt er lange Zeit vor sich hin. Das SI trommelt Sponsoren zusammen, um ihn zu restaurieren. Seit 2017 enden Wanderungen dort mit einem „Patt“, es gibt romantische Dinner zu zweit und wechselnde Ausstellungen. Demnächst ziert eine Plakette – ein Abschiedsgeschenk seiner Vorstandsmitglieder – das Gebäude und verewigt den Initiator der unorthodoxen „Denkmalpflege“.
Das wird bleiben, Schoentgen aber geht andere Wege. Nach 25 Jahren Streifendienst im Remicher Kommissariat ist er zum „Chef de service“ vom „Service palais“ der großherzoglichen Residenzen aufgestiegen. Er ist aus Schengen weggezogen und will durchatmen. Und sein ehrenamtliches Engagement? „Es fehlt mir bis jetzt nicht“, sagt er. Ob das lange so bleibt, ist bei einem Menschen wie ihm nicht abzusehen.
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